In Düsseldorf trägt jede fünfte positiv auf SARS-CoV-2 getestete Person die britische Mutation in sich. In Flensburg ist es sogar jede dritte. Was bedeutet das für Deutschland?
„Ein entscheidender Grund, warum weitere Maßnahmen trotz sinkender Fallzahlen im Moment notwendig sind, ist, dass wir überall dort, wo genetische Sequenzierungen [...] stattfinden, sehen, dass der Anteil an gefährlichen Mutationen in Deutschland [steigt]“, erklärt Janosch Dahmen, Notarzt und Grünen-Abgeordneter im Bundestag, gegenüber NTV. Das werde zu einer neuen Gefahr, „einer neuen Pandemie in der Pandemie“. Auf Twitter warnt er vor der schnellen Ausbreitung neuer Varianten von SARS-CoV-2 und nennt als Beispiel Düsseldorf.
Die Landeshauptstadt Düsseldorf lässt seit dem 1. Februar 2021 alle positiven PCR-Proben aus dem städtischen Testzentrum und den mobilen Testdiensten der Stadt zusätzlich auf Virus-Mutationen untersuchen. „Bisher konnte in 34 Fällen die britische Virus-Variante nachgewiesen werden. Das sind 19,5 Prozent der untersuchten positiven Proben und damit fast jeder fünfte Infizierte“, heißt es im Pressebericht der Stadt. „Zwar ist die 7-Tage-Inzidenz in Düsseldorf heute unter 50, doch dies sollte nicht zu einem nachlässigen, unvorsichtigen Verhalten führen“, so Dr. Klaus Göbels, Leiter des Gesundheitsamtes.
In anderen Städten ist die Lage ähnlich: „In Flensburg war etwa jede dritte nachgewiesene Ansteckung mit Sars-CoV-2 eine Infektion mit der britischen Variante. Und in den nordostbayerischen Regionen Hof, Wunsiedel und Tirschenreuth beträgt der Anteil der neuen Mutanten an den positiven Tests bereits 40 bis 70 Prozent“, schreibt der Spiegel.
Am 5.2. veröffentlichte das Robert-Koch-Institut einen ersten „Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland, insbesondere zur Variant of Concern (VOC) B.1.1.7“. Die Sequenzierungsdaten, die dem RKI zu diesem Zeitpunkt vorlagen, legten nahe, dass der Anteil an Corona-Fällen, die eine der neuen Varianten aufweisen, bei 6,9 Prozent lag. Der Anteil der britischen Mutation wurde im Bericht hier mit 5,8 Prozent angegeben – mit Hinweis auf mögliche Verzerrungen. Mittlerweile wurde die UK-Variante laut RKI schon bei 11,2 Prozent der Fälle festgestellt, wie es am Donnerstag berichtete.
„Der Anstieg des Anteils von B.1.1.7 kann erstmals relativ zuverlässig für Deutschland bestimmt werden: 8,5 % pro Tag oder 75 % pro Woche – das ist konsistent mit den Beobachtungen im Ausland“, sagt Data Scientist Cornelius Römer auf Twitter zu den aktuellen RKI-Zahlen.
Er hat ein Rechenmodell aufgestellt, das er folgendermaßen erklärt: „Abgeleitet sind diese Zahlen aus diesem Plot mit exponentieller Trendline. Klar, kann man das sauberer machen mit Konfidenzintervallen etc. aber das verändert das Ergebnis nicht. Es handelt sich natürlich um relatives Wachstum, also pro Woche mal Faktor 1,75 bzw Tag 1,085. Die Auswirkung auf den R-Wert (nach RKI-Rechnung mit 4T Generationszeit) ist 1,085^4=1,39 also eine Erhöhung um ca. 40%. Das deckt sich wieder mit allem was bisher aufgrund von Daten aus dem Ausland angenommen wurde. Keine große Überraschung, aber gut zu sehen, dass es stimmt.“
Währenddessen hat auch Dänemark mit den neue Varianten zu kämpfen. Dort ist die Ausbreitung schon deutlich weiter fortgeschritten. „In Dänemark kann man derzeit beobachten, wie es aussieht, wenn aus einer SARS-CoV-Epidemie eine B.1.1.7-Epidemie wird“, twitterte Molekularbiologe und Wissenschaftsjournalist Kai Kupferschmidt diesen Donnerstag. Tatsächlich berichteten Medien über eine wöchentliche Zunahme von 70 Prozent bei positiv getesteten Fällen, die die UK-Variante aufwiesen. Von einem Anteil von 0,5 % Anfang Dezember stieg der Anteil an Corona-Fällen mit der neuen Variante auf 13 % im späten Januar.
Das Land reagierte schnell. Als sich Anfang Januar abzeichnete, mit welcher Geschwindigkeit die UK-Variante sich auszubreiten drohte, folgte ein Lockdown mit geschlossenen Schulen und Restaurants. Das half, die Zahl der täglichen Neuinfektionen deutlich einzudämmen.
Quelle: Pangolin
„Dänemarks Fähigkeit, B.1.1.7 abzuwehren, ist beeindruckend“, schreibt US-Wissenschaftler Eric Topol und meint damit vor allem die Genomsequenzierung aller Testproben – mittlerweile sind es über 11.300 an der Zahl. Zeitungsberichten zufolge scheinen sich die Neuinfektionen, die B.1.1.7 enthalten, langsam einzupendeln. Das liege unter anderem auch an dem Lockdown Anfang Januar und an den weiterhin im Land geltenden strikten Maßnahmen.
Janosch Dahmen findet es bedauerlich, dass es bundesweit kein einheitliches Vorgehen entlang eines Risikostufen-Schemas gibt. Dabei gehe es gar nicht um zusätzliche Maßnahmen, wie er erklärt: „Wir sehen schon jetzt, dass wir gar nicht so sehr hinsichtlich der Mutationen nur die Frage haben: Braucht es zusätzliche Maßnahmen? Sondern eher [geht es um die] Frage: Wann werden wir denn endlich die Maßnahmen, die gelten, auch überall diszipliniert durchhalten und wo das nicht freiwillig geschieht, auch durchsetzen?“
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