Bei jeder fünften Krebserkrankung wird eine Mutation in einem BAF-Komplex-Gen gefunden. In einer Studie haben Wissenschaftler nun genauer untersucht, wie diese Gene die Zugänglichkeit der DNA kontrollieren.
Immer wenn Zellen sich z. B. aufgrund von Umwelteinflüssen oder Entwicklungssignalen anpassen müssen, sind entsprechende Veränderungen am Chromatin, dem Material, aus dem Chromosomen bestehen, nötig. Diese erfolgen unter anderem durch sogenannte Chromatin-Remodellierungs-Komplexe. Die Komplexe können Nukleosomen – die kleinste Einheit des Chromatins – entlang der DNA verschieben oder sogar gänzlich entfernen.
Ein wichtiger Chromatin-Remodellierungs-Komplex ist der BAF-Komplex. Seine Untereinheiten werden von 29 Genen codiert, die in unterschiedlichen Kombinationen zusammenspielen. Bei zahlreichen Krebskrankheiten konnte man in der Vergangenheit feststellen, dass in den Krebszellen bestimmte Untereinheiten dieses BAF-Komplexes Mutationen aufwiesen.
In einer aktuellen Studie hat eine Forschungsgruppe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nun die direkten Auswirkungen dieser Mutationen auf die DNA-Zugänglichkeit untersucht. Mithilfe neuartiger Techniken konnten sie zeigen, wie schnell Veränderungen der BAF-Komplex-Gene die Zugänglichkeit beeinflussen.
Um Funktionen von Chromatin-Remodellierungs-Komplexen zu beobachten, werden üblicherweise genetische Methoden herangezogen, mithilfe derer diese Proteine innerhalb von 3–5 Tagen inaktiviert werden können. Durch die Langsamkeit dieser Technologien war es allerdings bis dato kaum möglich, die unmittelbaren Auswirkungen von Veränderungen am BAF-Komplex auf die DNA-Zugänglichkeit festzustellen. Deshalb griffen die Wissenschafter auf ein sogenanntes Degron-System zurück.
„Auch hierbei verwenden wir das CRISPR Genom-Editing. Doch anstatt eine BAF-Untereinheit zu zerstören, fusionieren wir diese mit einem kleinen Protein, einem sogenannten ‚dTag‘. Durch Zugabe einer spezifischen Wirksubstanz können wir dann gezielt die mit dem ‚dTag‘ markierte Untereinheit an Bestandteile der zellulären ‚Müllabfuhr‘ rekrutieren. Dadurch wird die markierte BAF-Untereinheit binnen einer Stunde abgebaut. Dies ermöglicht eine genaue Beobachtung, ob und wie sich anschließend Zugänglichkeiten verändern“, erklären die Studienautorinnen.
Stefan Kubicek, Leiter der Forschungsgruppe, ergänzt: „Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass das Entfernen einer einzelnen Untereinheit des BAF-Komplexes sofort zu einem Verlust an Zugänglichkeit zu bestimmten DNA-Regionen führt. Der Effekt ist unmittelbar, wir sehen daher erstmals, dass der Zellzyklus dabei keine Rolle spielt. Wir konnten diese Ergebnisse auch mit pharmakologischen Inhibitoren des BAF-Komplexes bestätigen, die besonders schnelle Effekte zeigten. Wir gehen davon aus, dass ähnliche Vorgänge wie in unserem Modellsystem auch in der Krebsentstehung eine Rolle spielen, wenn in Zellen erstmals Mutationen einer Untereinheit des BAF-Komplexes auftreten.“Künstlerische Visualisierung des BAF-Komplexes in der Interaktion mit der DNA und den Nukleosomen. Bildquelle: Bobby Rajesh Malhotra/CeMM
Bereits in früheren Studien zeigte sich, dass Zellen, bei denen nur eine bestimmte BAF-Untergruppe eine Mutation aufweist und die DNA-Zugänglichkeit mindert, weiterleben und wachsen können. In manchen Fällen führt aber die Deaktivierung einer weiteren, spezifischen Untergruppe zum Zelltod. Dieses Zusammenspiel von bestimmten Genen nennt sich Synthetische Letalität.
Eine bekannte Synthetische Letalität besteht bei den beiden Genen SMARCA2 und SMARCA4. Zellen können den Verlust jedes einzelnen dieser beiden Gene verkraften, sterben aber, sobald beide mutiert sind. Besonders häufig wurden Mutationen von SMARCA4 bei Krebszellen festgestellt. Die spezifische SMARCA2-Inhibition hat das Potenzial, die Synthetische Letalität auszunutzen, um gezielt Krebszellen abzutöten, ohne gesunde Zellen dabei zu beschädigen.
In der aktuellen Studie wurden die unmittelbaren Effekte einer Synthetischen Letalität beobachtet: „Wir wollten wissen, was passiert, wenn wir beide Untereinheiten entfernen. Da SMARCA4 und SMARCA2 die Motoren der BAF-Komplexe darstellen, wird durch deren beider Verlust die Aktivität der BAF-Komplexe komplett verhindert“, so Studienautorin Sandra Schick.
Dabei zeigte sich, dass verglichen mit dem Verlust jeder einzelnen Untereinheit damit noch weitere Regionen der DNA an Zugänglichkeit verlieren, insbesondere jene, die für die Zellidentität entscheidend sind. „Wir sehen, dass sogenannte ‚Superenhancer‘, sehr aktive genregulatorische Regionen, nur dann ihre Zugänglichkeit verlieren, wenn wir diese Synthetische Letalität auslösen, also sowohl SMARCA4 als auch SMARCA2 verlieren.“
Zusätzlich versuchten die Wissenschaftler den gleichen Effekt auch mittels niedermolekularer Substanzen auszulösen. Diese führen dazu, dass der BAF-Komplex nicht aktiv werden und Nukleosomen nicht verschieben kann.
Kubicek erklärt: „Die Aufrechterhaltung der Zugänglichkeit des Genoms erfordert eine konstante ATP-abhängige Remodellierung. Das heißt: Der BAF-Komplex braucht konstante Aktivität und Energiezufuhr durch ATP, um Nukleosomen zu verschieben und so den Zugang zur DNA aufrechtzuerhalten. Die vollständige Aufhebung der BAF-Komplex-Funktion führt zu einem nahezu vollständigen Verlust der Chromatin-Zugänglichkeit an BAF-kontrollierten Stellen.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Österrreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquellen: Milada Vigerova, Unsplash