Die deutschen Ärzte stehen dem AstraZeneca-Impfstoff skeptisch gegenüber und wollen sich lieber mit einem anderen Vakzin impfen lassen. Was passiert jetzt mit dem Impfstoff?
Bis gestern wurden laut RKI in Deutschland knapp 85.000 Dosen des AstraZeneca-Vakzins verimpft. Das sind nur 20 Prozent der 390.000 Dosen, die dem Bundesgesundheitsministerium zufolge bereits geliefert wurden. Bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna ist die Quote deutlich höher: Hier wurden schon zwischen 60 und 85 Prozent der erhältlichen Dosen verabreicht. Über mangelnden Impfstoff kann man sich also diesmal nicht beschweren. Offenbar bleibt AstraZenecas Impfstoff ungenutzt liegen, weil sich viele Impfwillige lieber mit einem anderen Vakzin impfen lassen wollen – und deswegen abwarten.
Am Anfang des deutschen AstraZeneca-Debakels stand die STIKO, die den Impfstoff nicht für über 65-Jährige empfiehlt – wegen fehlender Daten, nicht wegen nachgewiesener Unwirksamkeit. Ob diese sehr frühe Festlegung besonders clever war, wird von vielen bezweifelt. Sie ist jedenfalls der Grund, warum derzeit nicht die Ü65-Jährigen, sondern viele Ärzte und Pfleger mit AstraZeneca immunisiert werden. Oder werden sollten, denn gerade hier herrscht große Skepsis. Wie das Magazin Business Insider berichtet, heißt es aus Kreisen des Bundesgesundheitsministeriums, dass die Verunsicherung unter Ärzten groß ist, ob das Mittel auch wirklich wirkt. Impftermine würden darum „massenhaft“ ausfallen.
Die Wirksamkeit von AstraZenecas Vakzin lag in der Zulassungsstudie bei etwa 70 Prozent, die mRNA-Impfstoffe schnitten mit einer Wirksamkeit von um 95 Prozent, jeweils im Hinblick auf den Schutz vor symptomatischen Infektionen, deutlich besser ab. Tatsache ist aber auch: Wie die mRNA-Impfstoffe schützen auch die Vektorimpfstoffe sehr effektiv vor schweren Verläufen. Das wurde nicht nur für den AstraZeneca-Impfstoff, sondern auch für den verwandten Impfstoff von Johnson & Johnson und für den ebenfalls eng verwandten russischen Sputnik-Impfstoff gezeigt.
Der AstraZeneca-Impfstoff wird zudem in Großbritannien millionenfach verimpft, auch an alte Menschen. Die dortigen Zulassungs- und Aufsichtsbehörden lassen bisher keinen Zweifel daran, dass sie von dessen Wirksamkeit überzeugt sind. In Deutschland wird anders diskutiert, was im Ausland auch schon negativ auffiel. So wurde bei Twitter mehrfach darauf hingewiesen, dass der russische Sputnik-Impfstoff in Deutschland eine sehr gute Presse bekomme, der (ähnliche) AstraZeneca-Impfstoff dagegen ins Kreuzfeuer genommen werde.
Nicht zuletzt hat ein Interview mit Frank Ulrich Montgomery, dem Vorsitzenden des Weltärztebundes, Wellen geschlagen. Der Rheinischen Post sagte er, dass der Impfstoff zwar genauso sicher sei wie die anderen. „Doch die geringere Wirksamkeit lässt sich nicht wegdiskutieren. Daher halte ich es für geboten, Menschen mit hohem Infektionsrisiko, zu denen medizinisches Personal oder Pflegekräfte gehören, mit besser wirksamen Vakzinen zu impfen.“ Er habe Verständnis für medizinisches Personal, dass sich nicht mit dem AstraZeneca-Impfstoff impfen lassen wolle.
Kind im Brunnen, und zwar so tief, dass sich der Vorsitzende des Virchow-Bunds, Dr. Dirk Heinrich, heute zu einer ungewöhnlich scharfen Replik veranlasst sah: „Ehemalige Ärztevertreter, zumal wenn sie in Deutschland nicht mehr in Amt und Würden stehen und die vergangenen Jahre weder selbst geimpft noch einen Patienten persönlich behandelt haben, und die weder Virologen noch Epidemiologen sind, diskreditieren sich selbst. Aber viel schlimmer ist: Sie torpedieren die Arbeit aller ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die sich derzeit dem Kampf gegen die Pandemie stellen.“
Auch andere bemühen sich um Schadensbegrenzung. Karl Lauterbach findet Montgomerys Aussage „völlig verantwortungslos“ und sieht keinen Grund für einen Boykott des Impfstoffs. Er kündigte auf Twitter an, sich selbst damit impfen zu lassen, wenn er ab Ende des Monats in Leverkusen Impfschichten übernimmt. Auch Jens Spahn würde sich „ausdrücklich“ auch mit dem Impfstoff von AstraZeneca impfen lassen, und Christian Drosten wirbt in seinem Podcast ebenfalls für den Einsatz des Vakzins.
Doch beim medizinischem Personal sorgt nicht nur die geringere Wirksamkeit für Skepsis. Es gibt zudem Zweifel an der Wirksamkeit gegen Infektionen mit der Süfadrika-Variante von SARS-CoV-2, wobei hier Daten für schwere Infektionen noch fehlen. Und auch die Verträglichkeit macht Sorgen: Wie mehrere Kliniken und Gesundheitsministerien der Länder nun berichten, klagen viele der Geimpften über Beschwerden wie Kopfschmerzen und Fieber. Einige müssen sich daher krank melden.
Bei der Dortmunder Feuerwehr etwa hatten sich rund 25 Prozent der Mitarbeiter krankgemeldet. Über Personalausfälle nach Impfungen berichten gleich mehrere Kliniken in NRW und Niedersachsen. Solche Nebenwirkungen sind bei Vektorimpfstoffen allerdings nichts Ungewöhnliches. Sie zeigen, dass das Immunsystem wie gewünscht reagiert. Dennoch rät das Gesundheitsministerium NRW jetzt dazu, wegen möglicher Personalausfälle die Mitarbeiter der Rettungsdienste in kleinen Gruppen nach und nach gegen Corona zu impfen.
Sollte es wirklich zu Überkapazitäten beim AstraZeneca-Impfstoff kommen, dann wäre es Zeit für aktive Gesundheitspolitik. Denn Impfinteressierte dürfte es genug geben. „Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass zig Impfdosen ungenutzt irgendwo lagern“, meint Hausarzt Dr. Tim Knoop gegenüber DocCheck. „Aber wenn sie keiner haben will, dann nur her damit. Wir nehmen sie gerne!“ Wäre es nicht tatsächlich eine Überlegung wert, die „übrig“ gebliebenen Impfstoff-Dosen schnellstmöglich und ohne Priorisierungschranken an Arztpraxen zu verteilen?
Tim Knoop und seine Kölner Praxis stünden dafür jedenfalls in den Startlöchern, berichtet er. Doch wann es endlich losgehen kann, darüber gibt es keine Informationen. Bislang gab es von der KV Nordrhein erstmal nur eine Mitglieder-Befragung, „mit dem Ziel, alle Praxen zu erfassen, die das Impfen übernehmen wollen“ – Stichtag 21. Februar. Wie es dann weitergeht, ist ungewiss. An impfwilligen Patienten würde es ihm zumindest nicht fehlen, so Knoop. Er habe schon mehrfach Anfragen von Patienten bekommen, die sich lieber vom Hausarzt als in einem Impfzentrum impfen lassen würden. Deswegen müsse das Impfen schnellstmöglich in die Praxen verlagert werden. „Wir haben schließlich die Expertise“, findet der Hausarzt.
Die Vorbehalte gegenüber den Impfstoff von AstraZeneca hält Knoop für unbegründet: „Mein Team und ich, wir alle würden uns mit AstraZenecas Impfstoff impfen lassen.“
Bildquelle: CHUTTERSNAP, unsplash