Es sollte nur eine Fortbildung in Tropenmedizin werden. Aber eine Reise nach Sierra Leone wird für drei Medizinstudenten aus Witten zur Bewährungsprobe. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft steht Ebola vor der Tür ihrer Klinik.
Die Tropenmedizin gehört zweifelsohne zu den interessantesten Fächern im Verlauf eines Medizinstudiums. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine derartige Fülle an Parasiten, Viren und anderen Keimen als in der Nähe des Äquators. In der feucht-heißen Welt Westafrikas gedeiht ein Großteil der gefährlichsten Infektionskrankheiten. Obgleich in Deutschland eine ganze Reihe tropenmedizinischer Institute existieren, lernt man doch am besten direkt vor Ort. Genau das war auch der Plan dreier Medizinstudenten der Uni Witten/Herdecke. Ziel von Nicolas Aschoff, Simon Scheiblhuber und Till Eckert war Sierra Leone. Als die Planungen für den Auslandsaufenthalt ernst wurden, war von Ebola noch keine Rede.
Zu Beginn der Reise im Juli 2014 ist die Ebola-Epidemie in weiten Teilen West- und Zentralafrikas schon in vollem Gange, Guinea und Liberia melden bereits zahlreiche Ansteckungen. Das hält die drei jungen Männer nicht von ihrer Fortbildungsreise ab, zumal Sierra Leone zu diesem Zeitpunkt betroffen ist. Doch in den folgenden Wochen steigt bei den Jungakademikern die Sorge. Bis die Infektionskrankheit schließlich vor den Toren der Klinik in der Stadt Makeni steht. Von Anfang an hatten die örtlichen Behörden Sierra Leones die Situation viel zu harmlos eingeschätzt und die Ebola-Erkrankungen als allenfalls regional begrenzt und unter Kontrolle deklariert. Nicolas, Simon, Till und Krankenpfleger Harvey Santos proben den Ernstfall.© Uni-WH Nicolas Aschoff bringt es auf den Punkt: „Heute wissen wir, dass ausschließlich ‚Ärzte ohne Grenzen‘ die Lage rechtzeitig richtig eingeschätzt und Alarm geschlagen haben. Leider hat die internationale Gemeinschaft – einschließlich der Bundesregierung – auf die dringenden Appelle und offenen Briefe der Organisation erst viel zu spät reagiert.“ Die geplante vierwöchige Hospitation im Magbenteh Community Hospital droht somit zu einem lebensgefährlichen Unterfangen zu werden. Für viele wäre die Entscheidung somit klar gewesen. Nicht so für die drei Nachwuchsmediziner: Wir hätten abreisen oder in einem anderen Teil des Landes einfach Urlaub machen können. Wir haben uns dafür entschieden, zu bleiben und zu helfen“, resümiert Till Eckert.
Da Sierra Leone auch unabhängig von der Ebola-Epidemie in einem Hochrisikogebiet für Infektionen liegt, war in der Klinik bereits lange der Aufbau einer Isolierstation geplant. Als die ganze Stadt im Würgegriff des Ebola-Virus steht, gilt es zu handeln. Die drei Medizinstudenten entschließen sich – zusammen mit einem Pfleger – zum Aufbau einer Isolierstation speziell für Ebola-Patienten. Dabei genießen die Deutschen das uneingeschränkte Vertrauen des Personals: „Eine Abwehrhaltung gab es nicht, die leitenden Ärzte haben uns vertraut“, so Eckert. Das Hauptproblem bei der Realisierung liegt in der Finanzierung. Besonders erwähnenswert hierbei: Die Studenten legen das Geld für die notwendigen Materialien vor. Insgesamt 150 Euro werden benötigt, um in Makeni alle notwendigen „Zutaten“ zu erwerben. Hierzu gehören Plastikplanen, Eimer, Absperrbänder, etc. „Allerdings muss klar dazu gesagt werden, dass uns ein leerstehendes Gebäude zur Verfügung gestellt wurde, ohne das unser Unterfangen natürlich erheblich aufwändiger und teurer gewesen wäre. Auch die umfangreichen Schulungen, die wir von holländisch-britischen Tropenmedizinern einer anderen Hilfsorganisation (Masanga Leprocy Hospital) bekommen haben, [...] wurden uns nie in Rechnung gestellt“, so Aschoff. Gegen Ende des Auslandsaufenthaltes erhalten die Ärzte in spe das Geld zwar wieder, darum geht es ihnen aber auch nicht primär. Aufgrund der katastrophalen medizinischen Versorgungslage im Land musste schnell gehandelt werden.
Nicht jeder Arzt wird auf Anhieb wissen, wie eine wirksame Isolierstation gebaut wird. Medizinstudenten im 5. Fachsemester erst recht nicht – sollte man meinen. Auch wenn das Thema noch nicht auf dem offiziellen Lernplan der Uni Witten/Herdecke stand, Aschoff, Scheiblhuber und Eckert wissen sich zu helfen: Günstigerweise befindet sich in der Nähe eine Klinik mit entsprechender Isolierstation, die nach den strengen Vorgaben der Ärzte ohne Grenzen errichtet wurde. Hier holen sich die drei Männer viele wichtige Anregungen und Informationen. „Außerdem haben wir im Internet recherchiert, uns Fotos und Videos angeschaut und viel gelesen“, so Eckert. Beides hat sich in vielerlei Hinsicht gelohnt: Neben dem eigentlichen Aufbau der Isolierstation können die Medizinstudenten das bisher in Sierra Leone übliche 14-schrittige Verfahren zum sicheren Entkleiden reformieren. Sie konzipierten gemeinsam mit ihren holländisch-britischen Mentoren und einheimischen Ärzten ein System, in dem die gleiche Sicherheit in nur neun Schritten erzielt wird. Das spart kostbare Zeit. Zeit, um das einheimische medizinische Personal zu schulen, bleibt dagegen kaum. Bemerkenswert: Das Dekontaminationsverfahren muss aufgrund des hohen Zeitdruckes ohne fließendes Wasser und Chlorspritzpumpen vonstatten gehen. Schon am Tag nach Fertigstellung der Einrichtung stehen die ersten Patienten vor der Tür. Eine Mutter mit zwei Kindern. Eines davon ist bereits zu geschwächt, es verstirbt in der Nacht. Der Mutter und dem anderen Kind kann geholfen werden. Skizze zum neunschrittigen Verfahren.
Doch nicht nur Umsetzung und Finanzierung sind problematisch: So fehlt es vielerorts an der richtigen Aufklärung für die Bevölkerung. Nicht wenige Einwohner Sierra Leones sehen Ebola als eine Strafe Gottes an. Andere wiederum glauben an einen Test oder eine Verschwörung durch die Staatsregierung. Wieder andere leugnen die Existenz des Virus, da sie es nicht sehen können. Gerade letztgenannte Gruppe neigt zu einem leichtsinnigen Umgang mit dem Krankheitserreger. So wurden, Berichten zufolge, sogar schon infizierte Leichen aus Kliniken und Instituten gestohlen, um an ihnen die in Afrika weit verbreitete rituelle Totenwaschung durchzuführen. Kein Geheimnis sei auch die Tatsache, dass viele Westafrikaner erst lernen müssten, mit dem Ernst der Lage umzugehen, so Eckert. Vieles in Afrika laufe langsamer ab, als wir es in Europa gewohnt seien. Disziplin, Pünktlichkeit und Ehrgeiz seien ebenfalls Hilfen, die die deutschen Studenten mit nach Afrika gebracht hätten.
„Die stellvertretende Gesundheitsministerin hat sich dafür eingesetzt, dass alle Krankenhäuser im Land eine Isolationsstation nach unserem Vorbild bekommen“, freut sich Eckert, der sich eine weitere Zusammenarbeit zwischen Witten und Sierra Leone wünscht. Nach ihrer Abreise wird die Station auf 110 Betten erweitert und an die Regierung übergeben. Vielen Menschen konnte so bereits geholfen werden. Maßgeblich daran beteiligt ist der 2013 von Kölner und Wittener Medizinstudenten gegründete Verein L’appel Deutschland e.V., der sich die medizinische Hilfe in Krisensituationen auf die Fahnen geschrieben hat. Eckert, Aschoff und Scheiblhuber haben den Verein mit ins Leben gerufen. Für die Zukunft empfehlen die drei den Verantwortlichen in Sierra Leone eine Art Generationenvertrag: Mithilfe von Sponsoren könnte so eine erste Generation von Fachleuten ausgebildet werden, die genau auf die Bekämpfung von Ebola (o. a. Infektionen) spezialisiert ist. Wenn diese Generation im Arbeitsprozess angekommen ist, würde sie einen Teil ihres Gehaltes wieder in die Ausbildung der nächsten Generation zahlen.