Durch einen niedrigen pH-Wert wird das Hitzeschockprotein Sip1 beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans aktiviert und verhindert das Verklumpen lebenswichtiger Proteine. Aufgrund der Kristallstruktur vermutet man ein ähnliches Protein beim Menschen.
Auch Zellen kennen Katastrophen. Die Zerstörung, die etwa Hitze oder Strahlung anrichten können, ist verheerend: Wichtige Proteine, die beispielsweise chemische Reaktionen steuern, Stoffe transportieren oder Signalstoffe erkennen, verlieren ihre Struktur und werden so unbrauchbar. Die Prozesse in der Zelle laufen dann aus dem Ruder. Doch auch die Zelle hat Katastrophenhelfer. Kleine Hitzeschockproteine verhindern, dass die anderen Proteine zu einem wirren Knäuel verklumpen und sorgen dafür, dass sie ihre korrekte Struktur behalten. Auf diese Weise können sie weiter ihre Arbeit verrichten und die Zelle überlebt. Neun solcher Helferproteine sind derzeit im Menschen bekannt, und sie sind sehr vielseitig. Sie agieren in unterschiedlichen Geweben: in Hirn, Herz und Muskelgewebe bis hin zur Augenlinse, deren Trübung sie verhindern. Struktur des kleinen Hitzeschockproteins Sip1 (Röntgenstrukturanalyse; Draufsicht). © Tilly Fleckenstein / TUM Funktioniert ein kleines Hitzeschockprotein nicht richtig, können ganz unterschiedliche Krankheiten wie grauer Star, bestimmte neuronale Erkrankungen oder Krebs die Folge sein. Forscher sind daher sehr interessiert daran, heraus zu finden, wofür welche Hitzeschockproteine zuständig sind, wie sie molekular aufgebaut sind und wie sie reguliert werden. Wissenschaftler der TU München um Johannes Buchner, Professor für Biotechnologie, Sevil Weinkauf, Professorin für Elektronenmikroskopie und Michael Groll, Professor für Biochemie, charakterisieren im Fadenwurm Caenorhabditis elegans Molekularstruktur und Funktion eines kleinen Hitzeschockproteins, das ausschließlich in den Eizellen und Embryos des Wurms vorkommt.
Die Forscher fanden heraus, dass das Protein Sip1 spezifisch für die Entwicklung der Embryos zuständig ist und dass es nicht etwa über die Temperatur, sondern über den pH-Wert reguliert wird. „Sip1 ist das einzige kleine Hitzeschockprotein mit diesen Eigenschaften, das wir kennen“, sagt Buchner. „Es übernimmt die schwierige Aufgabe, in der embryonalen Lebensphase in einem sich schnell teilenden Gewebe und in saurer Umgebung das Proteingleichgewicht aufrecht zu erhalten. Kein anderes uns bekanntes Hitzeschockprotein kann das“. Die Mitglieder der Familie der kleinen Hitzeschockproteine teilen sich quasi die Arbeit – jeder ist für den Katastrophenschutz in einer anderen Situation zuständig. Auch wenn Sip1 nur im Fadenwurm vorkommt, sind die Erkenntnisse auch für den Menschen interessant. „Wir wissen noch nicht, ob ein Protein mit ähnlicher Funktion auch in der menschlichen Embryonalentwicklung eine Rolle spielt, doch wir vermuten es“, sagt Buchner. Wie ähnlich sich die kleinen Hitzeschockproteine des Wurms und des Menschen an manchen Stellen sind, zeigt die Kristallstruktur des Sip1 Proteins. Die Art und Weise, wie zwei zentrale Teile des Proteinkomplexes zusammenwirken, gleicht der des Alpha-B-Crystallins der menschlichen Augenlinse.
Zunächst stellten sie in biologischen und biochemischen Experimenten fest, wie bedeutsam Sip1 für das Überleben der Fadenwurm-Embryos ist. Sie fanden heraus, wie es, aktiviert durch einen niedrigen pH Wert, wichtige embryonale Proteine bei Hitzestress am Verklumpen hindert. Elektronenmikroskopische Aufnahmen und Kristallstrukturanalysen fügten ein weiteres Puzzleteil zum Gesamtbild hinzu: Sie zeigten, dass das Protein nicht nur in einer, sondern in mehreren Formen gleichzeitig vorliegt, die entweder aus 32, 28 oder 24 identischen Untereinheiten bestehen. Bei hohem pH Wert sind mehr große Proteinkomplexe vorhanden und das Protein ist nicht aktiv. Sinkt der pH Wert jedoch, zerfallen die großen Komplexe und das Schutzprotein wird aktiviert. Originalpublikation: The Chaperone Activity of the Developmental Small Heat Shock Protein Sip1 Is Regulated by pH-Dependent Conformational Changes Johannes Buchner et al.; Molecular Cell, doi: 10.1016/j.molcel.2015.04.019; 2015