Was ich nach einem Jahr Corona-Pandemie mit Kindern gelernt habe: Man muss die aktuelle Situation nicht von ihnen fernhalten. Der Nachwuchs kommt meist überraschend gut klar. Dafür müssen Eltern einen entscheidenden Punkt beachten.
Ich staune jeden Tag ein bisschen darüber, in was für einer Welt wir aktuell leben. Wie anders sie ist im Vergleich zu vor einem Jahr. Trotzdem leben wir das „neue Normal“, trotzdem verändert es sich immer noch. Wer hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, wie es heute ist. Und kaum einer denkt noch, dass dieser Zustand in ein paar Wochen oder in ein paar Monaten vorbei sein wird.
„Denkt an die Kinder!“ hört man aus den verschiedensten Ecken. Wie müssen die das alles empfinden? Die möglichen psychologischen Auswirkungen, die „verlorene Zeit“ für die Weiterbildung in der Schule. Allgemein wird danach gestrebt, die Kinder möglichst fernzuhalten von all den Änderungen, die das Virus und die Reaktionen darauf mit sich bringen. Aber bringt das überhaupt etwas?
Ich denke, dass die meisten Kinder mit der aktuellen Situation recht gut umgehen können. Und dass der Grund für die oft fehlenden negativen Reaktionen darauf nicht darin liegt, dass sie ihre Probleme nicht äußern können. Kinder sind anpassungsfähig. Für sie änderte sich sowieso schon immer so viel in ihrer Entwicklung. Umzüge innerhalb des Hauses in ein eigenes Zimmer, Umzüge an einen neuen Wohnort, Kindergarteneintritt, Schuleintritt, Klassenwechsel, neue Lehrer, andere Hobbies. Eigentlich schon alleine der Verlauf der Jahreszeiten: Wir „Alten“ wissen nach Jahren, was wir zu erwarten haben, wenn die Blätter fallen und es kalt wird. Schnee und Eis und Erkältungen, sie überraschen (und verunsichern) uns nicht mehr. Wir haben damit zu leben gelernt – und Kinder lernen mit der jetzigen Situation zu leben.
Ich denke auch, dass unsere Reaktion als Eltern und Erwachsene auf Situationen viel Einfluss darauf hat, wie das Kind die Situation einschätzt. Ein Beispiel, das wohl jedes Elternteil kennt: Das Kind lernt laufen, es fällt hin. Vielleicht hat es sich wehgetan, vielleicht nicht. Es fängt es an zu schreien. Reagiere ich mit ausgesprochener Besorgtheit und entsprechendem Sorgen-Gesichtsausdruck und eile ihm etwas zu geben, damit es besser wird (Salbe, Pflaster, Arnika o.Ä. ), oder versuche ich darüber wegzusehen, es zu ignorieren und weitermachen zu lassen? Beides kann nötig sein.
Beides kann aber auch im schlechtesten Fall und übertrieben angewendet zu psychologischen Problemen führen, zu einer Erwartungshaltung auch beim Kind. Ich bin kein Psychologe, aber ich behaupte: Kinder schauen sehr darauf, wie wir Eltern (und Bezugspersonen, Lehrer etc.) auf eine Situation reagieren. Wenn wir besonnen und nicht übertrieben reagieren, dann wird aus der neuen und seltsamen Situation etwas Normales für sie.
Man muss und kann die aktuelle Situation nicht von den Kindern fernhalten. Das ist mit Kindern im schulpflichtigen Alter auch gar nicht möglich. Im Lockdown letztes Jahr wurde das Homeschooling mittels Online-Unterricht innerhalb kürzester Zeit organisiert – etwas, das ansonsten in der Schweiz Jahre gebraucht hätte. Und das hat bei uns gut funktioniert. Unterricht fand statt, Junior hat zu Hause und weitgehend selbstständig Aufgaben erledigt, sie zum Korrigieren eingesendet, sich online in Sitzungen mit der Klasse ausgetauscht. Klar, dabei bekommt man nicht denselben Unterrichtsstoff durch wie beim Frontalunterricht, aber es ging. Noten gab es keine.
Dann gab es wieder Präsenzunterricht mit Abstandsregelung, vorgeschriebenem Händewaschen und Desinfizieren (Junior hat so häufig desinfiziert, dass er ein Handekzem bekommen hat, die Anwendung von viel und regelmäßig angewendeter Handcreme hat das Problem aber beseitigt).
Außerschulische Aktivitäten wurden eingeschränkt bis abgesagt. Nichts mehr mit Schwingen, Schwimmunterricht, etc.
Reichlich spät wurde dann das Masketragen in den Gängen und in der Pause eingeführt. Die Masken wurden durch die Schule gestellt. Über die Qualität von den Dingern sage ich lieber nichts, supergünstige und chemisch stinkende Ware jedenfalls. Junior bekommt davon Kopfschmerzen und deshalb jetzt von mir Masken aus der Apotheke.
Dann (nach ein paar positiven Fällen und Quarantäne der Klasse) wurde die Maskenpflicht (endlich) auf den Unterricht ausgeweitet. Kontraproduktiv fand ich hier manche Lehrer, die den Schülern praktisch suggerierten, dass sie auch bei normalen Aktivitäten damit Mühe hätten zu Atmen. Und daneben praktisch Werbung für gewisse Stoffmasken machten).
Momentan schließen sie ganze Schulen und gehen erstmal wieder auf Homeschooling und Online-Unterricht zurück. Die Mutationen des Corona-Virus breiten sich wirklich rasant aus. Sie schicken jetzt nicht mehr nur die Kontaktpersonen 1 (direkter Kontakt mit positiver Person), sondern auch Kontakt 2 (Kontakt mit Kontaktperson 1) in Quarantäne. Das bedeutet, dass auch die Eltern von Schülern mit positivem Klassenkamerad automatisch in Quarantäne landen.
Als nächstes werden regelmäßige Massentests auf COVID-19 in der Schule durchgeführt. Dabei handelt es sich um Spucktests. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, wird die Spucke der ganzen Klasse gemischt getestet. Falls das positiv ausfällt, gibt es im Anschluss Einzeltestungen … und dann wieder Quarantäne.
Ich bin gespannt. Die Schulen kämpfen um ihren Betrieb, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass das nicht reichen wird, um dem Virus Herr zu werden. Ich bin deswegen jetzt dafür, dass wir einen richtigen Schnitt machen sollten. Mit obligatorischem Homeschooling für alle.
Junior ist inzwischen auch nicht mehr in der Tagesstätte für Schulkinder. Auch die haben gekämpft mit der Virus-Übertragung und nachdem er wiederholt nicht gehen konnte – am Schluss, weil praktisch das gesamte Betreuungsteam in Quarantäne musste – und er auch das Alter hat, dass er nicht mehr die Rundum-Betreuung braucht, habe ich ihn abgemeldet. Das spart uns außerdem noch etwas Geld. Da es auch mit großen Ferien nicht so gut aussieht dieses Jahr und wir auch nicht essen gehen können, gebe ich mein Geld momentan für Lieferservice aus. Das erleichtert es mir etwas, denn nach einem Arbeitstag habe ich aktuell wirklich keine Lust zum Kochen. Und einkaufen mag ich in der Situation auch nicht wirklich.
Juniors „neues Normal“ ist also: Er ist mehr zu Hause. Mehr Essen mit uns zusammen. Essen halt vom Lieferservice (wer mag keine Pizza?). Soziale Kontakte mehr online – er benutzt seinen PC für Online-Spiele wie Roblox, auch jetzt höre ich zu, wie er nebenan (englisch) mit seinen Kollegen da redet. Schulweg und Schule ist mit Maske, auch das ist für ihn normal und er beklagt sich nicht. Klassenkameraden hat er auch schon früher kaum eingeladen. Ab übernächster Woche können wir hoffentlich mit Oma und Opa wieder etwas unternehmen. Ansonsten haben wir das soziale Leben wirklich heruntergefahren – wir warten und wir reden abends.
Ich habe nicht das Gefühl, dass er davon psychologische Schäden davontragen wird. Als Kind ist die Familie seine Welt, als Teenager wird sie weiter, aber momentan scheint er keine Freunde zu haben, die er vermisst. Sozialkontakte sind mit seinem ADHS sowieso immer ein „Problem“ gewesen, aber ich selber (ohne ADHS, dafür sehr introvertiert) hatte auch immer sehr wenige Freunde, vielleicht beunruhigt es mich deshalb auch nicht sehr. Und es wird vorbeigehen. Dann gibt es wieder ein „neues Normal“ – ein hoffentlich sozialeres. Es liegt an uns Eltern, wie unsere Kinder daraus hervorgehen. Und an der Schule. Geben wir alle unser Bestes.
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