Forschende der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover haben in zwei Studien untersucht, wie Pestiviren in Zellen ihrer Wirte eindringen. Die Erkenntnisse zu den Mechanismen könnten helfen, Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.
Das effiziente Eindringen in einzelne Wirtszellen ist die Voraussetzung, dass sich ein Virus in einem Organismus ausbreiten kann. Um innovative Präventions- und Interventionsstrategien zu entwickeln, ist es wichtig, die molekularen Mechanismen des Zelleintritts von Viren zu kennen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Virologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) veröffentlichten nun zwei Studien zu dieser Thematik.
In der ersten Studie wurden Zellkulturen tierischen Ursprungs gentechnisch gezielt verändert. Die Verfahrensweise beruht auf der CRISPR/Cas9-Technik, die auch als Genschere bekannt ist. Die Forschenden sind nun in der Lage, Gene für bestimmte Zellfaktoren auszuschalten und zu untersuchen, ob diese Faktoren für den Eintritt von Viren in die Zielzelle von Bedeutung sind.
„Mit Hilfe dieser gentechnisch veränderten Zellen untersuchten wir Strukturen, die Pestiviren nutzen, um in Schweinezellen einzudringen. Wir haben uns auf zwei Pestivirus-Vertreter fokussiert: das Virus der Klassischen Schweinepest (KSPV) und das erst seit 2016 bekannte Atypische Porzine Pestivirus (APPV)“, so Projektleiter Dr. Alexander Postel.
Das Atypische Porzine Pestivirus löst bei neugeborenen Ferkeln die Zitterferkelkrankheit aus, bei der die Viren bestimmte Zellen im Gehirn infizieren und die Ferkel unkontrolliert zittern.
Ihre Untersuchungen zum Viruseintritt ergaben, dass Pestiviren, je nach Spezies, offenbar ganz unterschiedliche Zielstrukturen an der Zelloberfläche nutzen, um in die Wirtszelle einzudringen. Vor fast 20 Jahren wurde von Forschenden nachgewiesen, dass das mit dem APPV verwandte Pestivirus, der Tierseuchenerreger Bovines Virus Diarrhoe Virus (BVDV), über ein antennenartiges Protein namens CD46 in Rinderzellen eintreten kann.
Das CD46-Protein ist nicht nur für das BVDV, sondern auch für andere Pathogene die Eintrittspforte, darunter unterschiedliche Bakterien und Viren, wie beispielsweise bestimmte Adeno- und Herpesviren des Menschen oder auch Impfstämme des Masernvirus.
Die Arbeiten der TiHo zeigen nun, dass das CD46 auch für den Eintritt des neuartigen APPV in Schweinezellen wichtig ist. Anders als jahrelang vermutet, scheint CD46 für den Zelleintritt des KSP-Virus in Schweinezellen keine wesentliche Rolle zu spielen. „Wie das KSP-Virus in die Schweinezellen gelangt, bleibt vorerst ein Geheimnis, wir arbeiten jedoch mit viel Elan daran, es zu entschlüsseln“, erklärt Postel.
In einer zweiten Studie konnte die Arbeitsgruppe der TiHo zeigen, dass der Mechanismus, mit dem Pestiviren in Zellen gelangen, viel komplexer ist, als Jahrzehnte lang angenommen.
„Wir untersuchten, von welcher Seite BVD-Viren sogenannte polarisierte Epithelzellen der bovinen Atemwege infizieren und auf welcher Seite der Zelle die Virus-Nachkommen die Zelle anschließend wieder verlassen“, erläutert Institutsleiter Prof. Paul Becher.
Methodisch werden für diese Untersuchungen primäre Epithelzellen aus Lungen geschlachteter Rinder gewonnen und in Zellkultur dazu gebracht, in Zellverbänden zu wachsen, die denen im lebenden Tier in ihren Eigenschaften sehr ähnlich sind.
„Es zeigte sich, dass die Viren offenbar besonders gut durch das ‚Hintertürchen‘ (basolateral) in die polarisierten Lungenepithelzellen eindringen können, obwohl hier, im Gegensatz zur apikalen Zellseite, kaum CD46 auf den Zielzellen zu finden ist. Auf welchem Weg das geschieht, wissen wir noch nicht. Neu entstandene Virus-Nachkommen werden hingegen sehr effizient durch die ‚Vordertür‘ (apikal) an die Umgebung abgegeben. Das ist optimal, um große Virusmengen über die Lunge auszuscheiden“, fasst Becher zusammen.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Hier findet ihr die Originalpublikationen der ersten Studie und hier gelangt ihr zur zweiten Studie.
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