Jeder macht sie anders und nicht alle machen sie richtig: die Nachbesprechung von Einsätzen im Rettungsdienst. Für euch haben wir den perfekten Fahrplan erstellt.
Einsatzbezogenes Lernen mithilfe von Nachbesprechungen ist wichtig und im Ausbildungskonzept für den Rettungsdienst fest integriert. Die jeweilige Durchführung variiert dabei stark. Dies liegt mitunter daran, dass ein uneinheitliches Vorgehen herrscht.
Es ist sinnvoll, eine korrekte Einsatznachbesprechung gut zu strukturieren und in ein entsprechendes Setting zu etablieren. In der Ausbildung ist sie zur Bewertung im Rahmen der vollständigen Handlung ein gern genutztes Mittel, um die individuelle Reflektionsfähigkeit zu fördern und den Lernerfolg durch Evaluation zu optimieren. Wertvoll wäre eine standardmäßige Einsatznachbesprechung jedoch für jede/n Beteiligte/n am Rettungsdienst. Es empfiehlt sich hierbei nach den Grundregeln des folgenden Akronyms vorzugehen (orientiert an Luxem et al. 2016):
Es wird Verschwiegenheit vereinbart – alles Gesagte bleibt „im Raum“ und wird nicht nach außen getragen. Auf diese Weise wird ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis hergestellt und eine sichere Umgebung für alle Meinungen und Rückmeldungen gewährleistet. Ebenso ist es wichtig, dass nur das am Einsatz beteiligte Team involviert wird. Bei Bedarf (z.B. nach komplexen, potenziell belastenden Einsatzlagen) kann ein speziell geschulter „peer group member“ bzw. eine PSNV-Einsatzkraft vertraulich hinzugezogen werden. Diese/r kann gleichzeitig auch als Mediator:in fungieren. Wichtig ist hierbei stets die Einhaltung der DSGVO bzw. der Schweigepflicht (vgl. §203 StGB).
Es ist ungemein wichtig, Konflikte offen, direkt und zeitnah anzusprechen. Dies sollte jedoch möglichst objektiv geschehen. Ein offener Umgang mit Fehlern wäre ebenfalls wünschenswert, denn sie gehören zu unserem beruflichen Alltag dazu. Jede/r macht Fehler, unabhängig ihrer bzw. seiner Qualifikation und nahezu keine/r macht diese absichtlich!
Ein nachträgliches Erstellen einer CIRS Meldung (Beispiel: CIRS Bayern) bei kritischen Zwischenfällen empfiehlt sich vor allem dann, wenn der Vorfall das Potenzial hat erneut aufzutreten. „Nur wenn wir Fehler veröffentlichen und analysieren, können wir und andere daraus lernen.“ (Marx 2017). Fakten sollten die Feedbacks dominieren um möglichst objektiv zu kommunizieren. Fakten aka objektive Daten sind unabhängig von den jeweiligen Beobachter:innen zu sehen, beispielsweise Sinneseindrücke, standardisierte Abläufe oder gemessene Werte – Stichwort: Reliabilität. Ein Augenmerk sollte auch auf den durchgeführten Maßnahmen liegen und inwiefern diese zur Ergebnisqualität beigetragen haben.
Subjektive Daten sind wertend und von den jeweiligen Beobachter:innen abhängig (Ersteindruck, Schubladendenken, Bauchgefühl etc.). Alle Aussagen über Beobachtungen sollten möglichst wertneutral und als eigene Wahrnehmung in Form von Ich-Botschaften kommuniziert werden. Auf diese Weise wird versucht eine vorwurfsvolle Darstellung zu vermeiden. Die Äußerungen sollten stets zielführend und wohlüberlegt sein.
Nachbesprechungen sollten möglichst zeitnah nach dem Einsatz erfolgen. So wird gewährleistet, dass das Geschehene noch gedanklich/inhaltlich bei allen Beteiligten verfügbar ist. Je länger hier gewartet wird, desto mehr wird unser Gehirn die erinnerten Erlebnisse perspektivisch anpassen und verändern, sowie episodische Details löschen (vgl. Akhtar et al 2017).
Falls dies jedoch nicht möglich ist, bietet sich überbrückend ein stichwortartiges Gedankenprotokoll an. Diskussionen während des Einsatzes sollten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, insofern sie nicht zwingend für den weiteren Einsatzablauf erforderlich sind bzw. keine Patient:innengefährdung besteht. In diesem speziellen Fall kann ein Team-Time-out hilfreich sein bzw. muss nötigenfalls ein Veto eingelegt werden. Die Rolle und Verantwortung der Teamleader:innen bzw. der medizinisch Verantwortlichen sollte hierbei stets berücksichtigt werden.
Als geeigneter Ort für eine Einsatznachbesprechung bietet sich ein möglichst neutraler Raum an, wie z.B. ein leerer Behandlungsraum in der Zielklinik. Da dieser in der Regel nicht verfügbar ist, kann zur Not auf den Patient:innenraum des RTW zurückgegriffen werden. Kritisch betrachtet ist dieser jedoch nicht neutral.
Gegenseitige Wertschätzung und Empathie sind wichtig und richtig. Genauso sollte ein gesunder Respekt vor der Qualifikation, Erfahrung und individuellen Stärke des Einzelnen bestehen. Um niemanden zu diskreditieren sollte die WWW-Regel für ein gelungenes Feedback berücksichtigt werden:
Grundsätzlich sollte ein Feedback wie ein Mantel angeboten und nicht wie ein nasser Waschlappen ins Gesicht geklatscht werden. Im Sinne der Professionalität lohnt es sich, Feedback anzunehmen, gerade als Teamleader:in, denn es signalisiert die Bereitschaft sich stetig weiterzuentwickeln, die eigenen Fehler und Mängel anzuerkennen und selbstkritisch an ihnen zu arbeiten.
Die Teammitglieder sollten wertschätzend argumentieren und kommunizieren. Hierbei empfiehlt es sich gedanklich einmal in die Position der Anderen zu schlüpfen und primär das eigene Handeln zu hinterfragen (Reflexion): Wie habe ich auf meine Kolleg:innen gewirkt? Habe ich deutlich und adressatengerecht kommuniziert? Wie hätte ich mich an Stelle der Anderen verhalten? In welcher Art und Weise möchte ich selbst auf Fehler und Mängel hingewiesen werden? Die Frage: „Was ist besonders gut gelaufen?“ sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden. Denn positive, gut koordinierte Abläufe sind motivierend und stärken darüber hinaus langfristig den Zusammenhalt im Team. Lob tut gut!
Feedbacks, Anregungen und Verbesserungsvorschläge sollten stets in konstruktiver Absicht vermittelt werden. Kann mein Gegenüber ihr/sein Verhalten optimieren? Hierbei sei gesagt, dass sich menschliches Verhalten nicht immer ad hoc verändern lässt. Beispiel: Nervosität, Unstrukturiertheit, Schusseligkeit lassen sich nicht von heute auf morgen ändern und haben oft externe Ursachen wie z.B. Stress oder vergangene belastende Erfahrungen. Eine Möglichkeit wäre hier zu erfragen was dem- oder derjenigen in dieser Situation geholfen hätte den Stress zu reduzieren (Algorithmen, Support, Training etc.).
Wichtig ist es, sich vor einer Äußerung folgendes zu fragen: Trägt mein Vorschlag wirklich zu einer Verbesserung bei, also: ist er zielführend? Oder ist mein Vorschlag persönlicher Vorliebe geschuldet und mehrere Wege führen hier nach Rom? Ist meine Anmerkung wertschätzend und bietet sie die Möglichkeit zur Weiterentwicklung? Hier wird bei genauerer Betrachtung oftmals klar werden, dass der „gut gemeinte“ Ratschlag eher ein Aufzwingen der eigenen Meinung bzw. der eigenen, vermeintlich besseren Vorgehensweise darstellt (also ein kalter Waschlappen). Besser wäre es hier, eine gemeinsame, optimierte Lösung zu finden und dadurch voneinander zu lernen.
Jedes Teammitglied hat die gleiche Stimme unabhängig ihrer/seiner medizinischen oder einsatztaktischen Qualifikation. Jede/r im Team, von Praktikant:in bis Notärzt:in, sollte angehört und darin bestärkt werden, sich frei und ohne Angst vor negativer oder destruktiver Rückmeldung zu äußern. Hierarchien sind im Rahmen der Einsatznachbesprechung nebensächlich.Die Fähigkeit zur Selbstreflexion als Personalkompetenz ist nicht bei jedem Teammitglied gleichwertig vorhanden. Ist sie schwächer ausgeprägt, kann es zu einem „Missverhältnis zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung“ kommen.
Daher sollten wir uns bewusst im Team, regelmäßig unsere Stärken und Schwächen gegenseitig widerspiegeln. Denn kognitive Verzerrung kann gefährliche Auswirkungen haben: „Beim sogenannten Dunning-Kruger Effekt haben relativ inkompetente Menschen die Tendenz, das eigene Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen“ (vgl. Marx 2017). Verständlicherweise kann eine solch verzerrte Selbstwahrnehmung schlimme Folgen haben. Das Ziel sollte es sein aktiv im Team mittels strukturierter Einsatznachbesprechung Lösungen zu erarbeiten und konstruktiv mit aufgetretenen Fehlern umzugehen (Zielvereinbarung).
Hierzu empfiehlt es sich, zu Beginn der Reihe nach jedes Teammitglied einzeln ihre/seine Wahrnehmung schildern zu lassen. Hierbei sollte der/die Redner:in möglichst nicht unterbrochen oder gar eine Verteidigungsposition eingenommen werden, denn voreilige Rechtfertigungen sind fehl am Platz. Auftretende Rückfragen sollten erst im Anschluss gestellt werden. Anmerkungen können ggf. später als eigene Wahrnehmung kommuniziert werden, wenn man an der Reihe ist. Als Gedankenanstoß für die Redner:innen bieten sich die folgenden Fragen an:
Sind alle Teammitglieder an der Reihe gewesen, können nachfolgende Fragen dabei helfen, eine Zielvereinbarung zu treffen und ein Resümee zu ziehen:
„Welche Rahmenbedingungen müssten wir ändern um besser performen zu können?“ (Stichwort Performance: xaqu1n hat hierzu eine tolle Zusammenfassung zum Thema TRM und Sex, Drugs & Rock’n’Roll geschrieben).
Im Sinne unserer „Mental Health“ erscheinen besonders in Zeiten der SARS-CoV-2 Pandemie Einsatznachbesprechungen hilfreich, um belastende Erlebnisse besser zu verarbeiten. Stress ist stets individuell, ebenso wie seine Auslöser. Eine koordinierte Nachbesprechung hilft dabei, belastende Einsätze besser und objektiver zu reflektieren und sollte als fester Bestandteil des wiederkehrenden Prozesses „Notfallrettung“ gesehen werden.
Hier finden wir wieder einmal die Wichtigkeit eines gelebten Qualitätsmanagements im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP). Außerdem ist es irrelevant, wie selten oder ereignisreich die jeweilige Lage war, da die Wahrnehmung sowie das individuelle Erleben und das persönliche Empfinden stets unterschiedlich sind. Dies gilt übrigens auch für Simulationen von Fallbeispielen. Je realer, desto intensiver ist der Lerneffekt. Umso wichtiger ist jedoch auch eine gute Nachbesprechung (vgl. Sawyer et al. 2016, sowie xaqu1n mit Scripted Debriefing nach PEARLS.)
Generell gilt: Achtet auf euch und euer Team, seid stets aufmerksam für das Erleben anderer und habt ein offenes Ohr für eure Kolleg:innen. Seid lieb zueinander – wertschätzend und respektvoll!Einsatznachbesprechungen machen auch außerhalb der Ausbildung Sinn und sollten stets professionell vorgelebt und durchgeführt werden, um die Selbstreflexion im Team zu fördern. Eine Strukturierung ist sinnvoll, um einen gewissen Standard zu erreichen. Fakten sollten die Feedbacks dominieren um möglichst objektiv zu kommunizieren. Fehler sind normal und sollten aktiv angesprochen und im Team aufgearbeitet werden um aus ihnen lernen zu können.
Bildquelle: Mat Napo, unsplash