Der Lockdown verschärft das Problem der häuslichen Gewalt, befürchten viele. Eine britische Studie kommt zu einem anderen Schluss.
Bislang gibt es nur wenige repräsentative Studien zu der Frage, ob Isolation und Kontaktbeschränkungen im Lockdown das Problem häuslicher Gewalt verschärfen. Die Daten einer aktuellen britischen Studie legen jetzt nahe: Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist es nicht zu mehr bekannten Fällen häuslicher Gewalt gekommen als vor dem Lockdown. Anders sah es bei Fällen von Gewaltverletzungen außerhalb des Hauses aus, sie nahmen rapide ab.
Für ihre Studie untersuchten Forscher des Crime and Security Research Institute (CSRI) der Cardiff University und der US-amerikanischen Seuchenbehörde (CDC) von März bis Juni 2020 Daten aus der einzigen Notaufnahme (ED) von Cardiff, Hauptstadt von Wales, und verglichen sie mit wöchentlichen Daten ab Januar 2019. Die Ergebnisse wurden im Journal of the American Medical Association veröffentlicht.
Ihre Studie zeigt für die außerhalb des Hauses zugezogenen gewaltbedingten Verletzung eine deutliche Tendenz: Es gab insgesamt 60 Prozent weniger Fälle dieser Art in der Notaufnahme. Bei weiblichen Patienten unter 18 Jahren wurde ein signifikanter Rückgang von 92 Prozent beobachtet, bei männlichen Patienten jeden Alters reduzierte sich die Zahl der Fälle um 65 Prozent. Die Forscher fanden auch heraus, dass nur noch sehr wenige Patienten mit Schussverletzungen in die Notaufnahme kamen (92 Prozent weniger). Während die Anzahl der von Fremden verletzten Personen signifikant zurückging (um 65 %), änderte sich die Anzahl der von im Haushalt lebenden verletzten Personen nicht signifikant.
Aus dieser Studie lassen sich somit keine Hinweisen auf eine Verschärfung der häuslichen Gewalt erkenen. Erstautor Prof. Jonathan P. Shepherd bezeichnet das als „beruhigend“. Die Aussagekraft der Studie ist allerdings durch einige Aspekte eingeschränkt. Auch wenn weder ein Anstieg noch ein Rückgang der Fälle beobachtet wurde, ist es nicht ausgeschlossen, dass es möglicherweise doch mehr Fälle gegeben hat. Es bleibt unklar, wie viele Patienten mit Verletzungen durch häusliche Gewalt erst gar nicht die Notaufnahme aufgesucht haben. Außerdem spiegeln die Daten nur die beobachteten Fälle in einer britischen Stadt wider. Inwiefern sie sich die Zahlen generalisieren lassen, bleibt fraglich. Und auch wie sich die Fälle im weiteren Verlauf der Corona-Krise entwickelt haben, kann die Studie nicht beantworten.
In Deutschland haben sich im letzten Jahr deutlich mehr Opfer häuslicher Gewalt an den Weißen Ring gewandt. Die Organisation spricht von einer Zunahme von 10 Prozent für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2020.
Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr seien die Zahlen noch sehr verhalten gewesen, so der Bundesvorsitzende des Weißen Rings, Jörg Ziercke zur Tagesschau. Seit Juni hätten sie aber zugenommen. „Unsere Erfahrung ist, dass sich häusliche Gewalttaten nicht sehr schnell in Zahlen niederschlagen. Das kommt erst nach und nach“, so Ziercke.
In den kommenden Tagen wird das Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA) eine Dunkelfeld-Sudie mit rund 40.000 Bürgern starten. Sie soll aktuelle Zahlen über nicht angezeigte Übergriffe und Straftaten – vor allem im Bereich der häuslichen Gewalt – liefern. „Wir wissen, dass nur sehr wenige Taten von den Betroffenen angezeigt werden. Gerade im Lockdown müssen wir aber wissen, ob es hier Zunahmen gibt und wie wir weiter gegensteuern und den Personen helfen können, die unter gewalttätigen Partnern leiden müssen“, sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius.
Alle Details zur Studie könnt ihr unter diesem Link nachlesen.
Bildquelle: Nikola Johnny Mirkovic, unsplash