Regionale Unterschiede der natürlichen Hintergrundstrahlung erhöhen das Risiko für bestimmte Krebsarten bei Kindern, so eine aktuelle Studie aus der Schweiz. Sie liefern einen weiteren Puzzlestein für ein detaillierteres Verständnis der Krebsentstehung bei Kindern.
Auch wenn die Wahrscheinlichkeit vergleichsweise niedrig ist, können auch Kinder und Jugendliche an Krebs erkranken. In dieser Altersgruppe gehören Leukämien und Hirntumore zu den häufigsten Krebsarten. Warum gerade sie besonders oft auftreten, ist allerdings noch weitgehend unklar. Als einzig gesicherter Risikofaktor gilt bislang ionisierende Strahlung. Diesen Zusammenhang zeigten Studien an Überlebenden der Atombombenabwürfe in Japan. Doch diese Studien haben womöglich nur eine eingeschränkte Aussagekraft: „Unter Strahlenexperten wird seit langem debattiert, ob man die sehr hohe Belastung der durch die Atombomben freigesetzten Strahlung in Hiroshima und Nagasaki einfach linear nach unten extrapolieren kann auf die geringe Belastung durch die Strahlung aus Erdboden und Weltall, der alle Menschen ausgesetzt sind“, sagt Claudia Spix, stellvertretende Leiterin des Deutschen Kinderkrebsregisters an der Universitätsmedizin Mainz.
Um herauszufinden, ob sich diese relativ niedrige Belastung durch die natürliche Hintergrundstrahlung tatsächlich auf das Krebsrisiko bei Kindern auswirkt, hat nun ein Forscherteam der Universität Bern im Rahmen einer Studie Daten der Schweizerischen Nationalen Kohorte analysiert. Diese schließt unter anderem alle Kinder ein, die in den Volkszählungen von 1990 und 2000 erfasst wurden – insgesamt etwas mehr als zwei Millionen Kinder unter 16 Jahren. Wie die Wissenschaftler um Ben Spycher und Claudia Kuehni in der Fachzeitschrift Environmental Health Perspectives mitteilten, könnte die regional unterschiedliche Intensität der Hintergrundstrahlung das Krebsrisiko von Kindern in der Schweiz beeinflussen. Die beiden Forscher und ihr Team verwendeten Strahlungskarten der Schweiz, um die örtliche Dosisleistung terrestrischer und kosmischer Strahlung am Wohnort der Kinder zum Zeitpunkt der Volkszählungen abzuschätzen. „Je höher der Ort liegt, wo die Kinder leben, desto größer ist die kosmische Strahlung, die terrestrische Strahlung dagegen hängt von der Gesteinsart ab“, erklärt Spycher, Leiter einer Forschungsgruppe am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern.
Im Rahmen ihrer Untersuchung berechneten die Forscher zwei Expositionen: die Dosisleistung der natürlichen Hintergrundstrahlung am Wohnort eines Kindes zum Zeitpunkt der Volkszählung und die seit dessen Geburt anfallende Gesamtdosis. Im Mittel waren die Kinder einer Dosisleistung von 109 Nanosievert pro Stunde (nSv/h) ausgesetzt, was über ein Jahr gerechnet eine Dosis von etwa 0,96 Millisievert (mSv) ergibt. „Die große Mehrheit der Kinder bekam eine Dosisleistung von bis zu 150 nSV/h, aber immerhin rund ein Prozent 200 nSv/h und mehr“, sagt Spycher. Anhand von Daten des Schweizer Kinderkrebsregisters ermittelten er und sein Team anschließend die Zahl der Krebserkrankungen. 1.782 Kinder, die im Zeitraum von 1990 bis 2008 an Krebs erkrankten, wurden in der Studie berücksichtigt. Die Kinder, die einer Dosisleistung von mehr als 200 nSv/h ausgesetzt waren, erkrankten häufiger an Leukämien und Hirntumoren. „Im Vergleich zu Kindern mit einer Exposition von 100 nSv/h oder weniger verdoppelte sich ungefähr das Risiko einer Erkrankung“, sagt Spycher.
Aufgrund der seit Geburt anfallenden Dosis schätzten die Forscher eine Risikozunahme um etwa 4 Prozent pro mSv zusätzlicher Gesamtdosis, sowohl für Leukämien wie auch für Hirntumore. Bei anderen Krebsarten konnten Spycher und sein Team keinen relevanten Zusammenhang zwischen Hintergrundstrahlung und Erkrankungsrisiko feststellen. Eine weitere statistische Analyse ergab, dass die Risikounterschiede sich nicht durch andere Faktoren erklären lassen, wie zum Beispiel sozioökonomischer Status, Urbanisierungsgrad oder die Nähe zu Autobahnen, Hochspannungsleitungen oder Radio- und TV-Sendern. „Insgesamt deuten unsere Resultate darauf hin, dass ionisierende Strahlung auch im Niedrigdosisbereich das Krebsrisiko bei Kindern erhöhen kann“, sagt Spycher. Terrestrische und kosmische Strahlung sind aber nur zwei Komponenten der gesamten Strahlenbelastung der Bevölkerung. Eine weitere Belastung entsteht durch radioaktives Radongas, das sich beim Zerfall von natürlich vorkommendem Uran im Erdreich bildet. Es erhöht vor allem das Risiko für Lungenkrebs. Zudem trägt die medizinische Diagnostik mit durchschnittlich 1,2 mSv pro Jahr und Person zur Strahlenbelastung bei.
Claudia Spix vom Deutschen Kinderkrebsregister bewertet die Untersuchung ihrer Schweizer Kollegen positiv: „Es ist eine sinnvolle und sorgfältig gemachte Studie, die nur etwas darunter leidet, dass die Fallzahl wie bei anderen Studien in der Schweiz relativ klein ist“, findet die Forscherin. „Dafür ist aber die Bandbreite der auftretenden Hintergrundstrahlung in der Schweiz größer als in Deutschland.“ Natürlich, so Spix, könne solch eine ökologische Studie, in deren Rahmen räumliche Daten in Bezug auf Personen gesetzt würden, nur sehr grobe Aussagen über die tatsächliche individuelle Belastung machen. Dennoch ist die Studie ihrer Meinung nach von hohem wissenschaftlichen Wert. Sie liefert zusätzliche Erkenntnisse bezüglich der Entstehung von Krebs bei Kindern. Originalpublikation: Background ionizing radiation and the risk of childhood cancer: a census-based nationwide cohort study B. D. Spycher et al.; Environ Health Perspect, doi: 10.1289/ehp.1408548; 2015