Krebszellen haben vielfältige Mechanismen entwickelt, mit denen sie Todesrezeptoren und deren Zelltod-Programm umgehen können. Pankreaskarzinomzellen wandeln deren Funktion sogar so um, dass diese für eine noch aggressivere Ausbreitung der Erkrankung sorgen.
Die Wissenschaftler unter der Leitung von Professorin Anna Trauzold und Professor Holger Kalthoff am Institut für Experimentelle Tumorforschung an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel beschäftigen sich seit mehr als zehn Jahren mit den Todesrezeptoren, die in fast allen Körperzellen und prinzipiell auch in Krebszellen für das kontrollierte Absterben der Zelle, den programmierten Zelltod, sorgen können. Dieses Selbstmordprogramm wird typischerweise über Rezeptoren auf der Zellmembran ausgelöst. Krebszellen haben jedoch vielfältige Mechanismen entwickelt, mit denen sie dieses Programm umgehen können. Ein körpereigener Sicherheitsschalter wird so gewissermaßen ausgeschaltet und es entstehen Resistenzen gegenüber Chemotherapeutika oder Bestrahlung. „Wir konnten nachweisen, warum Todesrezeptoren paradoxerweise bei vielen Krebszellen gehäuft vorkommen und wie die Umprogrammierung der Todesrezeptoren in der Zelle bewerkstelligt wird“, erklärt Trauzold. Rezeptoren für den programmierten Zelltod sind Oberflächenmoleküle auf der Membran von Krebszellen wie beispielsweise das Molekül CD95 oder die Moleküle der TRAIL-R-Gruppe. Es konnte nachgewiesen werden, dass Bauchspeicheldrüsenkrebszellen die Signale dieser Rezeptoren umprogrammieren können. Statt des erwünschten Zelltodprogramms initiieren sie dann einen alternativen zellbiologischen Mechanismus. Der Schutzschalter der Zelle wird also in seiner eigentlichen Funktion deaktiviert und sorgt stattdessen im Gegenteil für eine aggressive Ausbreitung der Krebserkrankung. „In der klinischen Krebsforschung gelten die Rezeptoren TRAIL-R1 und TRAIL-R2 eigentlich als vielversprechende Therapieansätze, weil der zugehörige Botenstoff prinzipiell Krebszellen gut abtöten kann und normale Körperzellen nicht schädigt“, sagt Kalthoff. In diesem Zusammenhang sei die Wirkung des defekten Sicherheitsschalters allerdings besonders fatal, da eine Behandlung mit TRAIL-Liganden dann eine starke gegenteilige Wirkung entfaltet und zur beschleunigten Ausbreitung des Tumors führen kann. Pankreaskarzinomzellen produzieren diesen Botenstoff häufig selbst und stimulieren sich selbst.
Eine wichtige Rolle in dieser Umprogrammierung der Todesrezeptoren spielt die genaue Verteilung der Todesrezeptoren. Analysen zeigen, dass diese Moleküle oft nicht auf der Zellmembran positioniert sind, wo sie in normalerweise für die Auslösung des Zelltodes sorgen. Stattdessen befinden sie sich im Zellkern der Krebszelle und kommen dort gehäuft vor. Dort bewirken sie dann verschiedene zum Zelltodprogramm alternative Prozesse, deren Ergebnis ein verstärktes Wachstum und eine verstärkte Wanderung der Krebszellen ist. Der TRAIL-Rezeptor bekommt bei seiner unerwünschten Tätigkeit Unterstützung von einem seit langem bekannten Krebsgen: Bei vielen bösartigen Tumoren und in fast allen Bauspeicheldrüsenkrebszellen liegt eine Mutation des sogenannten KRAS-Gens vor. Es kooperiert mit dem Todesrezeptor so, dass dieser sein Programm von der Einleitung des Zelltodes hin zu Wachstum und Ausbreitung von Krebszellen abändert – auch wenn sich der Todesrezeptor an der „richtigen“ Stelle auf der Zellmembran befindet.
„Unsere Ergebnisse bedeuten, dass auch bei konventionellen Krebsbehandlungen mit Chemotherapeutika oder Bestrahlung künftig die Rolle der Todesrezeptoren und ihr Einfluss auf die Ausbreitung von Krebszellen stärker berücksichtigt werden muss“, sagt Trauzold. Gleichzeitig zeigen die Untersuchungen auch neue Ansätze auf, wie die Therapieresistenz von Krebszellen möglicherweise überwunden werden kann. Versuche mit Zellkulturen zeigen, dass ein sehr stark gehäuftes Vorkommen von Todesrezeptoren auf der Zelloberfläche dafür sorgt, dass auch Bauspeicheldrüsenkrebszellen absterben. Dringenden Forschungsbedarf sehen Trauzold und Kalthoff demnach in der Frage, wie die Rezeptoren zurück an ihre Position an der Zelloberfläche von Krebszellen gebracht werden können, um dort effektiv, zum Beispiel durch Hemmung der unerwünschten Signalwege, aktiviert werden zu können. Originalpublikationen: Nuclear Death Receptor TRAIL-R2 Inhibits Maturation of Let-7 and Promotes Proliferation of Pancreatic and Other Tumor Cells Anna Trauzold et al.; Gastroenterology, doi: 10.1053/j.gastro.2013.10.009; 2015 Autonomous TRAIL-R Signaling Promotes KRAS-Driven Cancer Progression, Invasion, and Metastasis Holger Kalthoff et al.; Cancer Cell, doi: 10.1016/j.ccell.2015.02.014; 2015