Statt ein „Stopp“ für alle Impfgruppen auszusprechen, hätte es andere Optionen gegeben. Denn: Nicht alle scheinen gleichermaßen von den seltenen Nebenwirkungen betroffen zu sein. Jetzt legt das Paul-Ehrlich-Institut nach.
„Diese FAQ zur AstraZeneca hätte es gestern gebraucht. Damit hätte sehr viel Chaos vermieden werden können“, sagt ein Allgemeinmediziner. Es geht um den FAQ-Bogen des Paul-Ehrlich-Instituts, der häufig gestellte Fragen zum Astra-Stopp in Deutschland beantworten soll. Er kam einen Tag nachdem die temporäre Aussetzung verkündet wurde – also definitiv zu spät. Das kommunikative Chaos war längst ausgebrochen. Und selbst nachdem man den Fragenkatalog durchhat, bleiben Fragen offen.
Insgesamt zehn Fragen werden in dem Dokument gelistet:
1. Warum wurde das Impfen mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca ausgesetzt?
2. Wie schwerwiegend sind die Verdachtsfälle von Nebenwirkungen?
3. Bei Anti-Baby-Pillen kann es doch auch zu Thrombosen kommen. Warum gibt es dann die Aufregung um den COVID-19-Impfstoff AstraZeneca?
4. Wie viele Fälle in Deutschland und Europa sind betroffen?
5. Wer ist betroffen?
6. Was kann ich tun, wenn ich eine Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca erhalten habe?
7. Am Freitag, den 12.03.2021, wurde die Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca noch nicht ausgesetzt. Jetzt schon. Was hat sich seit dem Freitag geändert?
8. Worauf müssen diejenigen achten, die mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca geimpft worden sind?
9. Können diejenigen, die bisher nur die Erstimpfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff erhalten haben, jetzt mit einem anderen Impfstoff geimpft werden?
10. Wann wird entschieden, ob die Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca fortgesetzt wird?
Besonders interessant sind Frage und Antwort Nummer fünf. Hier geht es darum, wer von schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen betroffen ist. Von sieben gemeldeten Fällen in Deutschland traf das auf sechs Frauen im Alter von 20 bis 50 Jahren zu. Bei ihnen wurden Sinusvenenthrombosen festgestellt.
Sinusvenenthrombosen sind selten, aber wie selten, das ist gar nicht so einfach zu sagen. Im Zusammenhang mit dem Impfstopp wird meist von 3 bis 4 pro 1 Millionen pro Jahr gesprochen. Es gibt aber auch andere, höhere Zahlen. „Cerebrale Sinus- und Venenthrombosen (CSVT) treten in Deutschland jedes Jahr bei einem bis zwei von 100.000 Personen [10–20 / 1 Mio.] auf und betreffen mehrheitlich Frauen“, heißt es etwa in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Selbst wenn die Impfung wesentliche Ursache für die Thrombosen bzw. die Gerinnungsstörung sein sollte, handelte es sich dennoch um eine extrem seltene Nebenwirkung, die durch die Vorteile der Impfung bei weitem aufgewogen wird.“
Panikreaktion mit fatalen Folgen
Es stellt sich die Frage: War es richtig, den Stopp für alle Impfgruppen gleichermaßen zu veranlassen? Oder wäre es sinnvoller gewesen, die Impfung vorerst bei jüngeren Personen und Frauen im Speziellen auszusetzen, bis man zu einer neuen Einschätzung gekommen ist? Ein solches Vorgehen wurde möglicherweise dadurch erschwert, dass sich Deutschland ursprünglich gerade für die Jüngeren als Zielgruppe für den AstraZeneca Impfstoff entschieden hatte. Ein genereller Impf-Abbruch erschien angesichts dieser Historie vielleicht als die probatere Maßnahme – denn sonst hätte man zugeben müssen, einen Fehler gemacht zu haben.
Wir erinnern uns: Die STIKO und im Gefolge die Bundesregierung hatten entschieden, das Vakzin von AstraZeneca erst nur an Menschen unter 65 Jahren zu verabreichen. Dieser Schritt wurde mit Verweis auf fehlende Wirksamkeitsdaten bei Menschen über 55 (nicht 65) Jahren begründet. Allerdings ist diese Begründung von vielen Experten nie akzeptiert worden. Insbesondere auch die EMA sah das anders und hatte den Impfstoff von Anfang an für alle Erwachsenen zugelassen.
Der deutsche Astra-Sonderweg implizierte, dass der Impfstoff an Menschen verimpft wurde, bei denen Nutzen-Risiko-Verhältnis längst nicht so groß ist wie im höheren Alter – eine problematische Entscheidung bei einer recht neuen Impfstofftechnologie wie den Vektorimpfstoffen, und eine, die den Verantwortlichen jetzt möglicherweise auf die Füße gefallen ist.
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