Das ist ein echter Game Changer: Wissenschaftler haben erstmals Strukturen gezüchtet, die menschlichen Embryonen ähneln – ganz ohne Befruchtung.
Die Wissenschaftler aus Australien programmierten dazu Fibroblasten um und ließen sie auf einem 3D-Gerüst wachsen. Es entstanden Blastozysten, die normalerweise wenige Tage nach der Befruchtung einer Eizelle entstehen.
Die „iBlastoide“ (i = induziert) weist dabei die typischen Bestandteile auf, die man auch bei „echten“ Blastozysten findet: epiblastähnliche Zellen, aus denen später bei einer befruchteten Eizelle der eigentlich Embryo entstehen würde, Zellen, die dem Trophoblast ähneln, aus dem sich Plazenta und Eihäute entwickeln, sowie der typische mit Flüssigkeit gefüllte Hohlraum, der auch als Blastocoel bezeichnet wird.
Die iBlastoide ist aber nicht völlig identisch mit einer Blastozyste, erklärt Prof. José M. Polo, Leiter des Projekts. „Zum Beispiel sind frühe Blastozysten von der Zona pellucida umschlossen, einer von der Eizelle stammenden Membran, die während des Befruchtungsprozesses mit den Spermien interagiert und später verschwindet. Da iBlastoide von adulten Fibroblasten abgeleitet sind, besitzen sie keine Zona pellucida.“
Eine Forschergruppe aus den USA hat fast zeitgleich eine ähnliche Arbeit in Nature publiziert. Ihnen gelang es nach eigenen Angaben menschliche „Blastoide“ aus embryonalen Stammzellen in 3D-Zellkultur zu differenzieren. Beide Forschergruppen erklären, dass ihre Arbeiten einzigartige Modelle böten, mit denen die menschliche Embryogenese, frühe Entwicklungsdefekte sowie die Ursachen frühen Schwangerschaftsverlusts erforscht oder neue Verhütungsmittel entwickelt werden könnten.
„Es gibt noch viele ungelöste Rätsel über diese Phase der frühen menschlichen Entwicklung, welche die Grundsteine für fast alle Prozesse, Organe und leider auch Erkrankungen legt“, sagt Prof. Thomas Zwaka von der Abteilung für Stammzell- und Entwicklungsbiologie der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York. „Deshalb ist eine Methode wie die Blastoide dringend nötig, die diese Tür ein wenig weiter öffnet, auch wenn sie nicht perfekt ist. Die Verfügbarkeit eines alternativen Modells wird auch den Druck auf Forscher verringern, echte menschliche Embryonen in der Forschung zu verwenden.“
Aus forschungsethischer Perspektive stellt sich allerdings die Frage, wie solche menschlichen Blastoid-Strukturen ethisch und rechtlich zu bewerten sind und wie lange Forscher menschenähnliche, sich selbst organisierenden embryonale Gebilde entwickeln lassen dürften. Ein internationaler Konsens und die meisten nationalen Gesetze zur Kultivierung menschlicher Embryonen legen bisher fest, dass durch künstliche Befruchtung gewonnene Embryonen maximal bis zu 14 Tage nach der Befruchtung und/oder bis zur der Bildung des Primitivstreifens in vitro kultiviert werden dürfen – je nachdem, was zuerst eintritt.
Die rechtliche Einordnung von Blastoiden oder Embryoiden hängt nun davon ab, inwiefern sie menschlichen Lebewesen mit Entwicklungsfähigkeit ähneln und entsprechend als menschliche Embryonen eingestuft werden sollten. Dann könnte ihnen unter Umständen Menschenwürde und Lebensschutz zuzuweisen sein. Es ist unklar, ob die nun erstmals erzeugten Blastoide vom Embryonenschutzgesetz in Deutschland erfasst wären und erforscht werden dürften.
Die Studien haben wir euch im Text verlinkt und ihr findet sie hier und hier.
Bildquelle: Christina Deravedisian, Unsplash