Von einigen zur Rettung ihrer Ehe sehnlichst gewünscht, von anderen als unwirksames Mittel gegen ein nicht existentes Problem verteufelt: Die Lustpille für die Frau steht kurz vor ihrer Zulassung in den USA. Höchste Zeit? Oder wird ein unsicheres Präparat durchgedrückt?
„Ich will meinen Mann begehren, ganz einfach. Ich flehe Sie an, Flibanserin zuzulassen. Ich weiß, vielleicht funktioniert es nicht für jede, aber für mich und tausende andere Frauen“, bat eine von sexueller Unlust geplagte Frau vor dem Expertengremium der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. Mit Erfolg – 18 von 24 Experten des Gremiums empfahlen am 4. Juni, Flibanserin zuzulassen. Die kleine rosafarbene Pille soll in Zukunft betroffenen Frauen einen Weg aus der sexuellen Unlust bereiten und so amerikanische Ehen vor dem Zerfall bewahren.
Entwickelt wurde der kleine Beziehungsretter in Deutschland von Boehringer Ingelheim. Doch nach einem negativen FDA-Bericht aufgrund eines Studienfehlers beschoss der deutsche Pharmakonzern, das Projekt nicht weiter zu verfolgen. Die FDA sah die Wirkung des Medikamentes damals nicht eindeutig bewiesen. Ein amerikanisches Ehepaar war jedoch so von der Lustpille überzeugt, dass es die Rechte an der Forschung von Boehringer Ingelheim abkaufte und die Forschung in dem eigens dafür gegründeten Unternehmen Sprout Pharmaceuticals fortsetzte. Schafft Flibanserin nun die Zulassung, wäre sie die erste „Lustpille für die Frau“ überhaupt.
Wie Viagra (Sildenafil) wurde Flibanserin zufällig entdeckt. Boehringer Ingelheim wollte eigentlich ein Mittel gegen Depressionen entwickeln. Doch bereits bei ersten Versuchen zeigte sich, dass Flibanserin die sexuelle Lust von Frauen steigern kann. Obwohl das Medikament als „Viagra für die Frau“ gepriesen wird, haben die beiden Mittel wenig gemeinsam. Denn weibliche Unlust lässt sich nicht so einfach beheben wie männliches Unvermögen. Viagra, das ursprünglich ein Blutdruckmittel werden sollte, wirkt rein physikalisch, indem es dafür sorgt, dass die Schwellkörper im männlichen Penis besser durchblutet werden. Das erigierte Glied wiederum sorgt für sexuelle Lust beim Mann. Läuft bei der Erektion nicht alles nach Plan, kann „Mann“ heutzutage bereits aus etwa 25 Mitteln gegen Impotenz wählen. Betroffene Frauen können sich bestenfalls eines umfangreichen Ausredenkatalogs bedienen.
Weibliche sexuelle Unlust ist vielschichtiger und daher schwieriger zu beheben. Daher wird Flibanserin auch nur wenigen Frauen helfen können. Denn oft stecken psychische Faktoren hinter der weiblichen Unlust. Dazu gehören Schwierigkeiten in der Partnerschaft, Stress und Überforderung im Beruf oder Alltag. Nur rund 10 Prozent der Frauen, die keine Lust auf Sex verspüren, leiden unter HSDD. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich die sogenannte Hypoactive Sexual Desire Disorder – ein unteraktives sexuelles Begehren, das durch einen Mangel an Botenstoffen im Gehirn verursacht wird. Nur Betroffene dieser Erkrankung könnten überhaupt von der „Pink Viagra“ profitieren. Flibanserin regt die Produktion der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin an, die als lustfördernd gelten. Gleichzeitig hemmt es die Bildung des Lusthemmers Serotonin.
Die Gynäkologin Dr. Lauren Streicher erklärte gegenüber den „abc News“, dass HSDD weit mehr sei, als eine vorübergehende Unlust auf Sex. „Eine Frau mit HSDD denkt nicht an Sex, hat keinerlei sexuelle Fantasien und überhaupt kein Verlangen nach Sex“, so Streicher. „Das große Problem dabei sind die Folgen der sexuellen Unlust.“ Frauen mit HSDD seien extrem frustriert, Beziehungen gingen in die Brüche.
An Sprouts erster klinischer Studie nahmen mehr als 1.000 Frauen teil. Das Ergebnis laut Sprout Pharmaceutical: Im Schnitt verdoppelten die Frauen unter Flibanserin die Anzahl ihrer „sexuell befriedigenden Ereignisse“ und berichteten von einem um 50 Prozent gesteigerten sexuellen Verlangen. 15 Prozent der Studienteilnehmerinnen brachen die Studie allerdings ab, weil die Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Benommenheit und Angstzustände zu belastend wurden. Daraufhin hatte die FDA die Zulassung der „Pink Viagra“ im Dezember 2013 abgelehnt.
Böse Zungen behaupten, Flibanserin sei ein ineffektives Medikament für ein nicht existentes Problem. Auch Dr. Adriane Fugh-Berman, Associate Professor am Medical Center der Georgetown University, ist gegen die Zulassung der Sexpille. „Natürlich ist das sexuelle Verlangen von Mensch zu Mensch verschieden und ändert sich auch bei ein und derselben Person im Laufe des Lebens, aber das ist noch lange keine behandlungsbedürftige Krankheit“, sagte sie gegenüber „abc-News“. „Dieses Medikament hat keine oder nur eine geringe Wirkung und soll jeden Abend gegen einen völlig natürlichen Zustand eingenommen werden.“
Inzwischen haben etwa 11.000 Frauen die „Pink Viagra“ in insgesamt drei randomisierten, doppeltblinden und placebokontrollierten Studien getestet. Das Gesamtergebnis lässt noch Spielraum nach oben: Statt von zuvor zwei bis drei „erfüllenden sexuellen Momenten“ pro Monat berichteten die Frauen unter Flibanserin von vier dieser Ereignisse. Nach eigenen Angaben fühlen die Frauen immerhin eine gesteigerte sexuelle Lust und insgesamt mehr Wohlbefinden. Nachdem Sprout auch noch nachweisen konnte, dass trotz der Nebenwirkungen die Fahrtüchtigkeit der Probandinnen nicht beeinträchtigt wurde, sind nun alle Wege für eine baldige Zulassung der Lustpille geebnet. In nicht allzu ferner Zukunft könnten dann auch europäische Frauen mit HSDD ein Glücksgefühl im Monat mehr gegen ein bisschen Müdigkeit und Schwindel eintauschen und die Kassen der Hersteller ähnlich gut füllen wie die Viagra-Konsumenten.
Goldfischer, E.R. (2011): Continued efficacy and safety of flibanserin in premenopausal women with Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD): results from a randomized withdrawal trial. J Sex Med. 2011 Nov;8(11):3160-72. doi: 10.1111/j.1743-6109.2011.02458.x. Derogatis, L.R. (2012): Treatment of hypoactive sexual desire disorder in premenopausal women: efficacy of flibanserin in the VIOLET Study. J Sex Med. 2012 Apr;9(4):1074-85. doi: 10.1111/j.1743-6109.2011.02626.x. Thorp, J. et al. (2012): Treatment of hypoactive sexual desire disorder in premenopausal women: efficacy of flibanserin in the DAISY study. J Sex Med. 2012 Mar;9(3):793-804. doi: 10.1111/j.1743-6109.2011.02595.x. Katz, M. et al. (2013): Efficacy of flibanserin in women with hypoactive sexual desire disorder: results from the BEGONIA trial. J Sex Med. 2013 Jul;10(7):1807-15. doi: 10.1111/jsm.12189.