MEINUNG | Mir dröhnt der Kopf. Manche von uns arbeiten 80 Stunden pro Woche. Es ist einfach alles extrem. Ich hab die Schnauze voll von dilettantischen Politikern, Mallorca-Reisenden und Demo-Spreadern. Denn wir müssen die Sch***e ausbaden.
Aus der Haut fahren oder endgültig mürbe werden, diese zwei Optionen gibt es für uns Mediziner jeden Tag. Und es gibt viele Gründe für beides.
Einer davon sind nach wie vor jene Menschen, die sich weigern, COVID-19 ernstzunehmen: Wenn eine einzige Querdenkerdemo für tausende Neuinfektionen verantwortlich ist, dann ist das ein sehr hoher Preis, den die vernünftige Allgemeinheit für die Versammlungsfreiheit egoistischer Schwurbler zahlen muss.
Warum nehmen wir Rücksicht auf die Rücksichtslosen? Auch harmlose COVID-Verläufe ohne Beatmung kosten im Schnitt etwa 7.000 Euro. Schwere Verläufe kosten schnell mal zwischen 30.000 bis 100.000 Euro (na, FDP? Kosten!). Und hier reden wir nur über die Akutphase, von #LongCovid, vom Verlust der Arbeitskraft und den Kosten ganz zu schweigen.
Warum dulden wir das? Diese Verwirrten sind davon überzeugt, in einer Diktatur zu leben, die ihre Freiheitsrechte einschränkt und wir glauben, sie zurück zu gewinnen, indem wir ihre Superspreaderevents weiter genehmigen?
Wisst ihr, warum mich das aufregt? WEIL ICH DIE SCH***E AUSBADEN MUSS. NICHT DIE SPINNER, DIE DA RUMLAUFEN!
Hier brennt der Baum, seit einem Jahr trage ich FFP2. JEDEN F**KING TAG! 10–12 Stunden sind mittlerweile völlig normal, manchmal auch 16 Stunden und länger. Diese bekackten Intensivtransporte mit COVID. Stundenlag sitzt man in diesen Plastikanzügen, die dicht sind wie ein Ganzkörper-Regenparka. Mir läuft die Suppe am Rücken runter und mir dröhnt der Kopf, weil es laut ist, wir uns anschreien müssen und die Patienten extrem krank sind.
Die COVID-Patienten in der Klinik zermürben. Wochenlang ist alles grottenschlecht, alles ist bei COVID-Patienten extrem. Kreislauf, Beatmung, Analgosedierung, Lagerung es ist einfach alles extrem. Kleinste Fortschritte – gefolgt von Rückfällen.
Aber wir können auch extreme Intensivmedizin. Wir versuchen, uns selbst zu motivieren, sonst macht es ja keiner. Mit mehr Geld oder mehr Personal rechnet niemand mehr, da kommt nur lauwarme Luft, sonst nichts. Ausbaden müssen es wir und letztendlich die Patienten. Dann dauert es eben länger bis sie abgesaugt werden. Und wenn mal einer so mutig ist und die Wahrheit ausspricht (@UK_Muenster), wird er mundtot gemacht und die PR-Abteilung übernimmt. Alles easy! Alles safe! Alle Patienten tip top versorgt.
Am Arsch hängt der Hammer! Ihr wisst selber, dass das nicht stimmt. Warum decken wir das? Zeigt den Leuten da draußen mal, was die jahrzehntelange Sparerei aus einstiger Spitzenmedizin gemacht hat. Ja, wir können immer noch ECMO, wir transplantieren sogar Herzen, aber das sind doch nur die schicken Aushängeschilder, die den schönen Schein bewahren sollen.
Dienstpläne werden mittlerweile von Woche zu Woche, teilweise nur tagesaktuell, gemacht. Im Vergleich zu 1980 machen wir mit der Hälfte der Pflegekräfte die doppelte Fallzahl und das, obwohl die Patienten immer älter und kränker und pflegebedürftiger werden. Manche von uns arbeiten je nach Dienstplan 70 oder 80 Stunden pro Woche. Das sind fast zwei Vollzeitstellen in anderen Branchen, aber wir machen es möglich, weil sonst die Dienste nicht besetzt sind.
Es herrscht ein enormer Druck seitens der Kollegen und Vorgesetzten. Niemand meldet sich mal eben krank. Und wenn man krank ist, wird per Whatsapp oder telefonisch täglich nachgefragt. „Bist Du wieder fit? Kannst Du den Dienst machen?“
Und wenn ich dann nein sage, weil ich nicht das vierte Wochenende in Folge arbeiten möchte, na dann ist was los. „Als Entschuldigung gilt die eigene Beerdigung“, sagte mal jemand. Jaha, super lustig, was haben wir gelacht. Diese Kultur hat sich überall etabliert und das macht die Leute fertig. Guckt euch mal das Durchschnittsalter auf Intensivstationen an. Das hat keine Zukunft.
Ich hätte auch Bock auf Mallorca. Ich würde mich liebend gerne eine Woche an den Strand legen. Einfach mal nichts tun, niemanden hören müssen. Aber es ist eben unglaublich egoistisch, sich in einen Flieger zu setzen und mit 300 Leuten so zu tun, als ob es Corona nicht gäbe. Dieses unstrukturierte, konzeptlose Hin und Her an allen Fronten macht mich mürbe.
Ich habe so keinen Bock mehr auf diese Politik! Zivilisierte Länder wie NZ und AUS haben gezeigt, wie man mit einer konsequenten Strategie hin zu #ZeroCovid hätte kommen können. Aber hier muss jeder Landespapst sein eigenes Wahlkampf-Süppchen kochen.
Corona-Demos hätte ich als erstes gestrichen, dann die Büros und so weiter. Konsequenz statt nur Gelaber und Plexiglas überall. Armin Laschet und Co. strengen sich an, ja. Aber ich glaube, die kommen einfach intellektuell nicht mehr mit. Ich kann dem das nicht mal übel nehmen, der ist Jurist. Mit einer Rechtsanwaltsgehilfin (Gebauer) und einem Maschinenschlosser (Laumann) wird dann ein Kabinett daraus. Die sind überfordert.
Epdiemiologie, die Wissenschaft von der Entstehung, Verbreitung, Bekämpfung und den sozialen Folgen von Epidemien – das übersteigt bei weitem alles, was dieses Kabinett kognitiv zu leisten imstande ist. Weil sie es aus der Politik gewohnt sind, hören sie sich verschiedene Meinungen an. Und da zählt eine Meinung von einer Virologin Melanie Brinkmann eben genauso viel oder wenig wie die Meinung des Sportredakteurs, der meint, Samstag Bundesliga ist für die Auflage wichtig.
Ich werde auch in der dritten Welle dabei sein. Ich werde mein Team motivieren, wir werden unser Bestes geben, aber es wird anders als im März und April. Alles, was jetzt kommt, ist mit Ansage. Es gab Warnungen, Hochrechnungen, ihr (ja, ich meine z.B. euch, Armin Laschet und Jens Spahn) habt sie ignoriert. Alle Zahlen, die wir gerade sehen, wurden exakt so von Experten vorhergesagt. 15 Minuten Excel reichen, um das zu verstehen, ihr wolltet es nicht hören.
Danke fürs Durchlesen. Danke fürs Zuhören. Danke auch an alle, die uns immer wieder motivieren, obwohl sie selbst genervt sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der Mehrheit sind. Das macht Mut! Trotzdem brauchen wir Veränderung. Wir brauchen wirklich gute Leute in der Politik. Nicht nur Leute, die als Schülersprecher irgendwie im Stadtrat gelandet sind und sich vor allem selbst gut finden und zum eigenen Vorteil und für ihre Freunde Deals aushandeln. Wir brauchen einen mutigen Plan für die Zukunft und gute Leute, die Pläne auch umsetzen können und sich nicht im Filz verfangen.
Bildquelle: Sebastian Herrmann, unsplash