Kontrazeptiva sind aus dem Arzneimittelschatz nicht mehr wegzudenken. Doch viele Präparate haben ihre Schwachstellen. Apotheker sollten Patientinnen stärker auf mögliche Risiken hinweisen. Und Politiker sind in der Pflicht, verhütungsbezogene finanzielle Hürden abzubauen.
Östrogen-Gestagen-Präparate erfreuen sich als hormonelle Kontrazeptiva großer Beliebtheit. Yana Vinogradova, Statistikerin aus Nottingham, warnt jetzt vor den Risiken neuerer Wirkstoffe. Zusammen mit Kollegen hat die Wissenschaftlerin im Gegensatz zu früheren Studien mit ähnlicher Thematik Zugriff auf eine riesige Zahl an Fällen erhalten. „QResearch“ und „Clinical Practice Research Datalink“ (CPRD) beziehen Informationen aus elektronischen Krankenakten britischer Patienten. Vinogradova fand mehr als 15.000 venöse Thromboembolien und wählte 10.562 Datensätze für ihre Arbeit aus. Demgegenüber stand die vierfache Zahl an Kontrollen. Das Ergebnis: statistisch signifikante Unterschiede bei alten und neuen Pharmaka zur oralen Kontrazeption. Nehmen 10.000 Frauen ein Jahr lang Desogestrel oder Cyproteronacetat ein, treten 14 zusätzliche venöse Thromboembolien auf. Bei Levonorgestrel und Norgestimat fanden Forscher nur sechs zusätzliche Ereignisse pro 10.000 Frauen. Julia Hippisley-Cox, eine der Co-Autorinnen, warnt Patientinnen jedoch, ihre Medikation eigenmächtig abzusetzen. Gleichzeitig stellt sie die veröffentlichten Zahlen in Relation zu anderen Risiken. So bekämen weitaus mehr Frauen während ihrer Schwangerschaft inklusive Postpartal-Phase eine Thrombose. Jetzt ist es an Ärzten und Apothekern, Risikopatientinnen zu identifizieren.
David Gaist aus Odense stieß bei Untersuchungen auf weitere Risiken oraler Kontrazeptiva. Über das dänische Krebsregister fand er 317 Frauen im gebärfähigen Alter, die zwischen den Jahren 2000 und 2009 an einem Gliom erkrankt waren – ein extrem früher Zeitpunkt. Hinzu kamen 2.126 Frauen in der Kontrollgruppe. Dank elektronischer Rezepte hatte der Forscher Zugriff auf ärztliche Verordnungen. Rund 59 Prozent aller Gliompatientinnen nahmen Hormone zur Empfängnisverhütung ein. In der Vergleichsgruppe waren es 50 Prozent. Gaist spricht von einem erhöhten Gliomrisiko unter oralen Kontrazeptiva. Er berechnete eine adjustierte Odds Ratio von 1,5. Bei Präparaten ohne Östrogenkomponente lag der Wert bei 2,8. Alle Daten waren statistisch signifikant. Als Argument für die Kausalität führt David Gaist an, dass Gliome an Zelloberflächen verschiedene Hormonrezeptoren exprimieren. Er fand auch eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Mögliche Fehlerquellen lägen im Körpergewicht oder im Zeitpunkt der Menarche, heißt es weiter. Die Daten haben zwar keine generelle klinische Relevanz, liefern aber Impulse, um die Pathophysiologie von Gliomen besser zu verstehen.
Weitaus wichtiger für den Apothekenalltag sind Interaktionen diverser Pharmaka mit Kontrazeptiva. Aufsichtsbehörden aus Großbritannien berichten vom Versagen Etonogestrel-haltiger Implantate, nachdem Frauen Johanniskrautöl eingenommen hatten. Etonogestrel-Implantate gelten mit einem Pearl-Index kleiner 0,1 als sehr sicher. Möglicherweise hat Hyperforin, einer der Hauptinhaltsstoffe des echten Johanniskrautöls, in der Leber die Bildung des Cytochrom-P450-Enzyms 3A4 induziert. Das wiederum führte zum beschleunigten Abbau des Etonogestrels. Grund genug für die Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA), Frauen mit hormoneller Kontrazeption von Johanniskrautöl abzuraten. Als besonders kritisch gelten nicht apothekenpflichtige Präparate ohne jegliche Beratung – in anderen EU-Ländern ein größeres Thema als hierzulande.
Bei diesen rein pharmazeutischen Betrachtungen bleibt ein Aspekt außen vor: Viele Frauen können sich – auch in Deutschland – orale Kontrazeptiva nicht leisten. „Finanzielle Probleme dürfen kein Grund dafür sein, auf sichere Verhütung zu verzichten“, hatte Manuela Schwesig (SPD) noch in ihrer Zeit als Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommerns erklärt. In ihrer Heimat startete Ende 2013 ein Modellprojekt unter Beteiligung der regionalen Apothekerkammer. Die Idee: Frauen zwischen 20 und 35, die Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beziehen, erhalten Verhütungsmittel über zwölf Monate kostenfrei. Tatsächlich hätten sich weniger Bürgerinnen gemeldet als ursprünglich erhofft. Beim letzten kleinen Parteitag in Bamberg sprachen sich Delegierte der CSU ebenfalls dafür aus, bedürftige Frauen bis 27 bei der Verhütung finanziell zu unterstützen. Wird ihr Konzept jetzt aufgehen? Es gibt durchaus andere Strategien wie im dänischen Halsnæs. Als Reaktion auf ungewöhnlich viele Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen zwischen 16 und 25 Jahren bezahlt die Stadtverwaltung Kondome, orale Kontrazeptiva und die „Spirale“ – ohne Blick auf die soziale Situation. Das Projekt läuft seit rund einem Jahr und soll bald evaluiert werden. Vielleicht auch ein Denkanstoß für Deutschland.