Long Covid hat viele Gesichter. Eine Komplikation, die nach einer COVID-19-Erkrankung auftreten kann, ist die Endotheliale Dysfunktion. Wissenschaftler aus Singapur liefern nun erste Daten dazu, wie sie entsteht.
Zu den Langzeitfolgen einer überstandenen COVID-19-Erkrankung weiß die Wissenschaft langsam mehr – aber insgesamt immer noch zu wenig. Ein beträchtlicher Anteil der Genesenen hat wochen- oder monatelang noch mit Beschwerden zu kämpfen. Obwohl SARS-CoV-2 hauptsächlich den Atemtrakt infiziert, zeigten sowohl Autopsiebefunde als auch klinische Beobachtungen bei einer Vielzahl der Patienten Gefäßschäden und thrombotische Ereignisse in verschiedenen Organen.
Zirkulierende Endothelzellen (CECs) können als Folge einer vaskulären Verletzung in die Blutbahn übergehen. Obwohl CECs nur in geringen Mengen im peripheren Blut vorkommen, stellen sie einen idealen Biomarker für die endotheliale Dysfunktion dar, welche mit einer Vielzahl von Gefäßerkrankungen, einschließlich Myokardinfarkten, akutem ischämischem Schlaganfall, Atherosklerose und Vaskulitis assoziiert ist.
Im Falle von COVID-19 gibt es widersprüchliche Ergebnisse über die Bedeutung von CECs im Blut von Genesenen und eine eventuelle Erhöhung im Vergleich zu gesunden Personen. Es wurde gezeigt, dass intensivpflichtige COVID-Patienten eine höhere CEC-Zahl aufweisen können – was zu der Annahme führt, dass ein schwerer Verlauf mit ausgeprägter Endothelschädigung einhergeht. Interessanterweise zeigten Guervilly et al., dass bei Patienten mit milderen verläufen diejenigen mit chronischer Nierenerkrankung signifikant höhere CEC-Zahlen aufwiesen. Daraus könnte man schlussfolgern, dass Patienten mit Vorerkrankungen nochmal anfälliger für diese Gefäßschäden sind – sofern die Gefäßschäden nicht schon vor Infektion bestanden.
Florence WJ Chioh und Kollegen aus Singapur wollten in ihrer Arbeit den Einfluss einer SARS-CoV-2-Infektion auf den Zustand des Gefäßsystems genauer untersuchen und dabei versuchen, subklinische endotheliale Dysfunktionen durch die Erfassung und Phänotypisierung von CECs zu erfassen. Hierfür wurden rekonvaleszente COVID-19-Patienten aus der prospektiven Kohortenstudie PROTECT rekrutiert, die an drei öffentlichen Krankenhäusern in Singapur durchgeführt wurde. Als Vergleichsgruppe wurden Proben von gesunden wie von SARS-CoV-2-negativen Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren herangezogen.
Bei den COVID-Rekonvaleszenten fanden die Forscher im Vergleich zu gesunden Kontrollen erhöhte Spiegel zirkulierender Endothelzellen. Insbesondere diejenigen Patienten mit Vorerkrankungen (z. B. Bluthochdruck, Diabetes) wiesen ausgeprägtere endotheliale Aktivierungsmarker auf als Nicht-COVID-19-Patienten mit gleichem kardiovaskulären Risiko.
Mehrere proinflammatorische und T-Lymphozyten-assoziierte Zytokine waren von der akuten Infektion bis zur Genesung erhöht und positiv mit hohen CECs korreliert. Dies deutet laut den Autoren auf eine zytokin-getriebene endotheliale Dysfunktion hin. Bei COVID-19-Rekonvaleszenten konnten die Wissenschaftler ebenfalls eine höhere Zahl von Effektor-T-Zellen im Vergleich zu gesunden Kontrollen nachweisen. Insbesondere bei Patienten mit vorbestehenden erhöhtem kardiovaskulärem Risiko war eine Erhöhung von CD8+ und CD4+ T-Zellen zu sehen. Die auf den CECs nachgewiesenen Aktivierungsmarker konnten Rezeptoren zugeordnet werden, die hauptsächlich auf zytotoxischen CD8+ T-Zellen zu finden sind, weshalb die Autoren vermuten, dass diese auf aktivierte Endothelzellen abzielen.
Welche Faktoren genau zu Post-COVID-19-Komplikationen führen, ist noch nicht vollständig geklärt. Chioh et al. konnten bestätigen, dass die Zytokinproduktion der Patienten auch nach einer Infektion erhöht blieb. Interessanterweise korrelierten erhöhte CEC-Zahlen bei COVID-19-Rekonvaleszenten signifikant mit einer Reihe von proinflammatorischen Zytokinen.
Zusammengenommen schließen die Forscher aus ihren Ergebnissen, dass ein – auch nach der Genesung anhaltender – überaktiver Zustand des Immunsystems Grund für das Auftreten einer endothelialen Dysfunktion nach einer COVID-Erkrankung sein könnte.
Die Autoren schlagen die Erfassung von CECs als Maßnahme zur Überwachung der Genesung von COVID-Patienten mit erhöhtem Risiko für eine endotheliale Dysfunktion vor. So könnten subklinische Veränderungen in den Gefäßen früh erkannt, und eventuelle Folgeschäden vermindert werden.
Bei den Ergebnissen von Chioh et al. handelt es sich um erste Daten. Weiterhin sind klinische Studien zur präventiven Therapie von vaskulären Komplikationen nach einer COVID-19-Erkrankung laut den Forschern aus Singapur dringend erforderlich.
Die Studie von Chioh et al. haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: JC Dela Cuesta, unsplash