Etwa ein Viertel aller Harnblasenkarzinome befindet sich zum Zeitpunkt der Diagnose im muskelinvasiven Stadium. Für viele der betroffenen Patienten bedeutet das, dass bei der Tumorresektion auch die gesamte Harnblase entfernt wird.1 Doch wie leben die Patienten ohne Blase und was muss bei ihrer Nachsorge berücksichtigt werden? Wir haben einige Praxistipps für Sie zusammengestellt.
Generell gibt es sehr unterschiedliche Arten der Harnableitung, die je nach Tumorstadium, Vorerkrankungen, den individuellen Bedürfnissen und dem Allgemeinzustand des Patienten gewählt werden können. Man unterscheidet zunächst zwischen der „trockenen“ (kontinenten) und der „nassen“ (inkontinenten) Harnableitung. Bei ersterer wird der Urin zunächst ähnlich wie in der Harnblase gespeichert und dann gezielt abgegeben. Bei letzterer fließt der Urin dagegen kontinuierlich ab. Die häufigsten Formen der Harnableitung werden ganz oder teilweise aus Teilen des Darms gebildet.2 Diese Gemeinsamkeit führt zu einigen Besonderheiten, die Ärzte wie auch Patienten im Blick behalten müssen.
Patienten mit einer Harnableitung müssen ganz besonders darauf achten, ausreichend viel zu trinken. Empfohlen werden 2 bis 3 Liter täglich, um die Neoblase, die erhaltenen Harnwege und die Niere z. B. vor Infektionen zu schützen.2,3Außerdem beugt eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr einer Harnsteinbildung vor, für die bei den meisten Formen der operativen Harnableitung ein leicht erhöhtes Risiko besteht.2 Da die Nierenfunktion nach einer Harnableitung abnehmen kann, sollte bereits vor einer Operation die Nierenfunktion untersucht und in die Überlegungen einbezogen werden.4
Auch mit der Ernährung können Patienten Einfluss auf ihren Körper nehmen. Vor allem eine ausreichende Energiezufuhr ist wichtig, um bei Kräften zu bleiben. Da die Harnableitung aus Teilen des Darms gebildet wird, kann es außerdem nach der Operation vorübergehend zu Verdauungsproblemen kommen. Eine spezielle Ernährung ist allerdings in der Regel nicht nötig.2,5
Das Darmgewebe, aus dem eine Neoblase gebildet wird, sondert normalerweise Natrium und Bicarbonat ab, während es zum Beispiel Chlorid resorbiert. Durch den hohen Gehalt von Ammoniak, Ammonium, Wasserstoffionen und Chlorid im Urin, können diese nun von der Neoblase rückresorbiert werden. Das kann zu einer Übersäuerung bis hin zur metabolischen Azidose führen. Das Ausmaß ist dabei individuell vom Patienten abhängig, aber z. B. auch von der Länge und Art des Darmabschnitts, der zur Harnableitung genutzt wurde.4 Erste Anzeichen für eine Übersäuerung sind Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit.3 Beim Follow-up, insbesondere in der ersten Zeit nach der Operation, sollten die Blutwerte entsprechend regelmäßig überprüft werden. Zudem kann eine alkalisierende Therapie (z.B. Natriumhydrogencarbonat 1–2 g, 3x tgl.) bereits direkt nach der Operation begonnen und entsprechend der Follow-ups reduziert bzw. angepasst werden.4 Über die Ernährung lässt sich der Säure-Basen-Haushalt dagegen nur bedingt regulieren.5 Dennoch ist im Allgemeinen eine pflanzenbasierte Kost mit wenig Fleischprodukten empfohlen.2,5
Patienten mit einer Harnableitung leiden meist an einer klinisch unauffälligen Hypokaliämie. Es kann allerdings im Zusammenhang mit der Behandlung einer metabolischen Azidose zu einem vermehrten Verlust von Kalium kommen, der sich in Muskelschwäche bemerkbar macht. Deshalb sollte zusammen mit einer Azidose-Therapie auch Kalium supplementiert werden.4
Bei einigen Patienten kommt es nach der Operation durch die verkürzte Darmpassage zu Durchfällen. Insbesondere, wenn längere Dünndarmabschnitte verwendet wurden, kommt es zur mangelnde Rückresorption von Gallensäuren, die normalerweise Fette binden würden. Die Gallensäuren gelangen stattdessen ins Colon und wirken dort abführend.2,4 Zunächst können ballaststoffreiche bzw. „stopfende“ Lebensmittel den Betroffenen helfen. Zusätzlich können Gallensäuren mit Hilfe von Cholestyramin gebunden werden. Hier sollte die Dosis langsam gesteigert werden und die Einnahme nicht zusammen mit anderen Medikamenten erfolgen. Die Flüssigkeitszufuhr sollte dagegen nicht reduziert werden, da Patienten mit Harnableitungen anfälliger für Dehydrierung sind.4
Gerade, wenn große Teile des Ileums zur Blasenrekonstruktion verwendet wurden, kann die Verwertung von Vitamin B12 beeinträchtigt sein. Da Vitamin B12 langfristig im Körper gespeichert wird, fällt dies allerdings nicht unmittelbar nach der Operation auf. Zur Sicherheit sollte etwa 2 Jahre nach der OP eine Blutuntersuchung erfolgen und Vitamin B12 bei Bedarf ergänzt werden.2,4 Dazu bietet sich die orale Einnahme (1–2 g pro Tag) ebenso an wie regelmäßige Injektionen (1 g pro Monat).4
Neben den behandelnden Ärzten können auch Pflegefachleute, Stomatherapeuten und insbesondere andere Betroffene dabei helfen, die Lebensqualität der Patienten im Alltag zu verbessern. Noch im Krankenhaus werden Patienten im Umgang mit ihrer künstlichen Harnableitung geschult. Auch Angehörige können in diese Schulung miteinbezogen werden. Abseits von Krankenhaus und Praxis sind sie oft eine wichtige Hilfe beim Umgang mit dem neuen Alltag. Eine weitere Unterstützung können Selbsthilfegruppen bieten, in denen Betroffene sich austauschen und von eigenen Erfahrungen berichten können.6
Jeder Patient erlebt nach einer operativen Harnableitung eine metabolische Umstellung. Letztlich lassen sich die verschiedenen Harnableitungen ebenso wenig wie die individuellen Patienten über einen Kamm scheren. Dennoch ist es im Praxisalltag wichtig, die Besonderheiten, die mit einer künstlichen Harnableitung einhergehen können, im Blick zu haben. So lassen sich Beschwerden frühzeitig erkennen und die Betroffenen bestmöglich unterstützen.
Eine kurze und illustrierte Darstellung zu den verschiedenen Formen der Harnableitung, Informationen zu weiteren Selbsthilfegruppen und vieles mehr finden Sie patientengerecht aufgearbeitet auf der Patienten-Website “Das K Wort”.
Referenzen:
Copyright 2017 Catalenca / Photocase
M-DE-00006289