Zwei neue Virusgruppen der Bunyaviridae-Familie wurden entdeckt. An den neuen Virusgruppen konnte man nachweisen, dass sich menschliche Krankheitserreger, die durch blutsaugende Insekten übertragen werden, aus Insektenviren entwickelt haben.
Die Familie der Bunyaviridae umfasst fünf verschiedene Virengruppen, die bei Menschen und Tieren ernsthafte Erkrankungen auslösen und auch bei Gemüsekulturen – wie etwa Tomaten – schwere Schäden verursachen können. Die ersten Viren dieser Familie wurden im Ort Bunyamwera in Uganda entdeckt, von dem sich der Name ableitet. „Zu den bekanntesten Viren der Bunyaviridae zählt das Rifttalfieber-Virus, das beim Menschen Fiebererkrankungen mit schweren Blutungen verursachen kann“, sagt Dr. Sandra Junglen vom Institut für Virologie des Universitätsklinikums Bonn und vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Im Jahr 2011 machte das „Schmallenberg-Virus“ von sich reden: Ebenfalls zur Bunya-Familie zählend und von winzigen Insekten übertragen, verursachte es im Sauerland bei trächtigen Wiederkäuern schwere Missbildungen der Föten. Nicht in Schmallenberg, sondern in den afrikanischen Tropenwäldern der Elfenbeinküste, wo die Virologin bereits seit mehr als zehn Jahren forscht, machte sie sich auf die Suche nach neuen Viren aus dieser weitverzweigten Familie. Weil die meisten der Bunyaviridae durch blutsaugende Insekten übertragen werden, fing Dr. Junglen dort mehr als 7.500 Moskitos. Sortiert nach Spezies und Fangort fasste die Wissenschaftlerin die gefangenen Mücken zu 432 Mischproben zusammen. In 26 dieser Proben entdeckten die Forscher Partikel unbekannter Viren.
„Es handelte sich dabei um zwei bislang völlig unbekannte Virengruppen, die wir Jonchet-Virus und Ferak-Virus nannten“, berichtet die Virologin. Die Wissenschaftler gewannen aus den Insektenproben Bruchstücke der Viren-Erbinformation, die sie wie bei einem Puzzle in einem aufwendigen Verfahren zusammenfügten und auf diese Weise die komplette Genom-Sequenz rekonstruierten. „Das hat allein vier Jahre in Anspruch genommen“, berichten die Erstautoren Marco Marklewitz und Florian Zirkel. Beim Vergleich der Erbinformation mit anderen Viren zeigte sich, dass Jonchet und Ferak stammesgeschichtlich zwei eigenständige Linien der Bunyaviridae sind. Elektronenmikroskopische Aufnahme des Ferak-Virus: Ferak ist eine Fantasiegestalt. Das Genom des Virus weist Ähnlichkeiten zu Bunyaviren aus Pflanzen und Tieren auf. © Dr. Andreas Kurth/Robert-Koch-Institut Berlin Wie gefährlich sind die beiden neuen Virengruppen – sind sie leicht auf Menschen und Tiere übertragbar? Um diese Fragen zu beantworten, gingen die Wissenschaftler einen neuen Weg: Sie führten an Zellkulturen Infektionsversuche bei verschiedenen Temperaturstufen durch. Während andere Bunya-Viren sich über einen weiten Wärmebereich vermehren können, stellen Jonchet und Ferak ab 32 Grad Celsius das Wachstum ein. Beide Virenlinien können damit weder Menschen noch andere Wirbeltiere infizieren. „Darüber hinaus konnten wir durch die Rekonstruktion der Abstammungsgeschichte der ganzen Virusfamilie erstmals zeigen, dass sich durch blutsaugende Moskitos übertragene Viren aus insektenspezifischen Viren entwickelt haben“, sagt die Forscherin des Bonner Universitätsklinikums. „Dies ist äußerst interessant, weil bisher nicht klar war, woher Viren stammen, die durch blutsaugende Insekten übertragen werden.“
Die Resultate seien wichtig für die Grundlagenforschung. Durch die Entschlüsselung des Genoms der Jonchet- und Ferak-Viren sei es künftig möglich, das Verhalten und Gefahrenpotenzial unbekannter Viren mit ähnlicher RNA-Sequenz zu finden und besser einzuordnen. „Außerdem lassen sich die Temperaturversuche zur Abschätzung des Übertragungsrisikos auch auf andere Viren übertragen“, sagt Dr. Junglen. „Mit unserem Ansatz haben wir hierzu einen einfach durchzuführenden Test entwickelt.“ Originalpublikation: Evolutionary and phenotypic analysis of live virus isolates suggests arthropod origin of a pathogenic RNA virus family Marco Marklewitz et al.; Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.1502036112; 2015