Hunde verstehen den Menschen, wie wahrscheinlich kein anderes Tier. Forscher haben nun Hinweise darauf, dass dieses Können nicht erlernt, sondern vererbt wird.
Nur wenige wissenschaftliche Rätsel können mit Hilfe von fast 400 liebenswerten Hundewelpen gelöst werden – eine neue Studie hat genau das getan: Forscher konnten jetzt zeigen, dass die Fähigkeit von Hunden, den menschlichen Akt des Zeigens zu verstehen, eine Seltenheit im Tierreich und der Schlüssel für soziale Intelligenz, anscheinend fest in der DNA der Tiere verankert ist.
„Die Verwendung von Welpen zur Beantwortung dieser Frage ist ein großartiger Ansatz“, so Heidi Parker, Genetikerin am Dog Genome Project des U.S. National Institute of Health. „Verhalten ist der heilige Gral der Hundegenetik“, sagt sie. Bevor Wissenschaftler sich auf die Suche nach den Genen machen würden, die Hunde zu unseren treuen Begleitern gemacht haben, müssten sie erst sicherstellen, dass diese überhaupt vorhanden sind, erklärt sie.
Wissenschaftler wissen seit mehr als zwei Jahrzehnten, dass Hunde die Logik hinter einer erstaunlich komplexen Geste verstehen: Wenn wir auf etwas zeigen, wollen wir, dass sie es sich ansehen. Dieses Verständnis entzieht sich sogar unseren engsten Verwandten, den Schimpansen. Es hilft den Hunden, mit uns Menschen zu interagieren. Aber es war bisher unklar, ob Hunde diese Fähigkeit einfach dadurch erlernen, dass sie mit uns leben, oder ob sie in ihren Genen verankert ist. „Es ist das eine Teil des Puzzles, für das wir keine Beweise haben“, sagt Evan MacLean, Direktor des Arizona Canine Cognition Center an der Universität von Arizona.
Die Wissenschaftler gingen also von der folgenden These aus: Wenn soziale Intelligenz genetisch bedingt ist, sollten Hunde sie bereits in einem sehr jungen Alter zeigen. Und es sollte kein vorheriges Lernen dafür erforderlich sein.
Hierfür arbeiteten die Wissenschaftler mit der Organisation Canine Companions for Independence zusammen, die Hunde züchtet, um Menschen in den USA mit posttraumatischen Belastungsstörungen und körperlichen Behinderungen zu helfen. Die Gruppe stellte den Forschern 375 acht Wochen alte Labrador- und Golden-Retriever-Welpen zur Verfügung. Diese waren gerade alt genug, um an den Experimenten teilzunehmen, aber jung genug, um nur wenig Interaktion – und damit Erfahrung oder Lernen – mit Menschen gehabt zu haben.
Die Versuche verliefen anscheinend nicht ganz so angenehm, wie sie sich zuerst anhören. „Die Arbeit mit Welpen ist ähnlich wie die mit kleinen Kindern“, erzählt MacLean. „Es ist eine Balance zwischen außerordentlich niedlichen mit lohnenden Momenten und Frustration, die Sie an den Rand des Wahnsinns bringt. Es gibt nichts, worauf nicht gekaut oder gepinkelt wird, einschließlich all Ihrer Forschungsausrüstung, Ihrer Kleidung und Ihres Körpers.“
Die Forscher unterzogen die Welpen drei Tests. Zunächst führten sie ein klassisches Zeigeexperiment durch, bei dem sie die jungen Hunde zwischen zwei umgedrehte Becher stellten – einer enthielt ein Leckerli – und auf den Becher mit dem Leckerli zeigten.
Video-Quelle: sciencemag.org
Die Tiere verstanden die Geste in mehr als zwei Dritteln der Fälle und zeigten damit annähernd die Leistung von erwachsenen Hunden. Sie konnten sich jedoch über zehn bis 12 Wiederholungsrunden nicht verbessern, woraus die Forscher schlossen, dass das Verhalten nicht erlernt war.
In einem zweiten Experiment stand ein Forscher vor einem großen Laufstall und führte 30 Sekunden lang eine typische Ansprache von Welpen in hoher Tonlage durch („Hey kleines Hündchen, sieh dich an! Feines Hündchen.“) Die Tiere verbrachten durchschnittlich 6 Sekunden damit, die Person anzustarren. Ein solcher Blickkontakt ist bei Säugetieren, einschließlich der hündischen Vorfahren (Wölfe) sehr selten und stellt eine wichtige Grundlage für die soziale Interaktion mit dem Menschen dar.
In einem abschließenden Test brachten die Forscher den Welpen bei, Futter in einem Plastikbehälter zu suchen und diesen dann mit einem Deckel zu verschließen. Im Gegensatz zu erwachsenen Hunden, die in der Regel nach wenigen Sekunden aufgeben und den Menschen mit Blickkontakt um Hilfe bitten, blickten die Welpen nur selten zu ihren wissenschaftlichen Begleitern. „Welpen scheinen empfänglich für Informationen von Menschen zu sein“, wie die anderen Experimente zeigen, sagt MacLean, „aber sie wissen vielleicht noch nicht, dass sie Hilfe von uns erbitten können.“
Um zu bestätigen, dass die erfolgreichen Verhaltensweisen der Welpen genetisch bedingt waren, analysierten die Forscher auch ihre Stammbäume, um zu sehen, wie verwandt jeder Hund mit den anderen war. Dann verglichen sie diese Verwandtschaft mit der Leistung der Hunde bei den Tests.
Etwa 43 % der Leistungsunterschiede waren auf die Genetik zurückzuführen, berichtet das Team in seinen auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlichten Ergebnissen. Das entspricht in etwa der Erblichkeit von kognitiven Merkmalen wie dem IQ bei Menschen, sagt MacLean.
„Das ist eine wirklich große Zahl für ein komplexes Verhaltensmerkmal – eine ziemlich große Sache“, pflichtet Noah Snyder-Mackler bei. Er ist Evolutionsbiologe an der Arizona State University in Tempe. Er erklärt, dass die Ergebnisse darauf hindeuten, dass der Mensch in der Vergangenheit stark auf diese Fähigkeiten selektiert hat und damit den Weg für Hunde ebnete, zu den menschlichen Gedankenlesern zu werden, die sie heute sind.
Genetikerin Parker merkt an, dass Labrador- und Golden Retriever-Begleithunde extrem menschenbezogen seien und sie die Studie gerne mit einer größeren Vielfalt an Rassen wiederholen würde. Die soziale Intelligenz von Hunden sei wahrscheinlich über Hunderte von Genen verteilt, was es schwierig machen könnte, die genauen zuständigen DNA-Sequenzen zu bestimmen.
Studienautor MacLean ist bereit für die Herausforderung: Sein Team hat bereits mit einer genomweiten Assoziationsstudie begonnen, bei der die DNA von Welpen gescannt wird, um nach genetischen Varianten zu suchen, die mit diesen sozialen Fähigkeiten in Verbindung stehen. Was er dann bei Hunden finde, gelte wahrscheinlich auch für komplexe Verhaltensweisen bei anderen Tieren, einschließlich den Menschen.
Einen Vorteil haben die geplanten Analysen außerdem: DNA kann einem nicht ans Bein pinkeln.
Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Anoir Chafik, unsplash