Am 2. April 2020 hat der Autor des Artikels in einem Leserbrief mit dem Titel „Der Coronavirus braucht keinen Passierschein, aber wir brauchen einen SARS-CoV-2 Immunitätspass jetzt!“ an den Spiegel und die Frankfurter Allgemeine die Einführung eines digitalen europäischen Immunitätspass gefordert. der zwar von Redakteuren als Idee aufgenommen, aber nie abgedruckt wurde. Das Thema wurde auch kurz in Statements des Gesundheitsministers erwähnt, aber verworfen. Allerdings ist die Einführung eines solchen Immunitäts-und-Impfpasses immer noch aktuell und man hat wie bei vielen deutschen Pandemiestrategien ein Jahr für dessen Entwicklung und Einführung verloren. Allerdings hat jetzt tatsächlich am 17. März die EU-Kommission einen digitalen Impfausweis vorgestellt, der Plan ist inzwischen vom europäischen Parlament abgesegnet worden. Er soll noch im Sommer ein europäischer Rahmen eingeführt werden, allerdings muss er und seine spezifischen Anwendungen und Bedingungen von lokalen Parlamenten verabschiedet werden. Wie lange wird das im Land der Bedenkenträger dauern? Ein europäisches Impfregister wurde (spärlichen Informationen folgend) von Seite der deutschen Regierung abgelehnt. Ob wir das bis zur Covid23-Pandemie fertigstellen können. Hier Auszüge aus dem Beitrag des Autor, die leider immer noch aktuell sind:
„Die Coranaviruspandemie überrollt auch die Staaten, die ein gut entwickeltes Gesundheitssystem haben. Das liegt auch daran, dass frühzeitige Warnungen zunächst nicht ernstgenommen wurden und nicht alle sinnvollen, technisch möglichen Gegenmaßnahmen ohne Rücksicht auf die entstehenden Kosten durchgesetzt werden. Mögliche Entwicklungen der COVID-19-Pandemie unter verschiedenen Abwehrszenarien in Großbritannien und den USA wurden in einer soliden wissenschaftlichen Analyse des Imperial College COVID-19 Response Teams vom 16.3.2020 (DOI: https://doi.org/10.25561/77482) dargestellt, eine Lektüre, die man allen mit Krisenplanungen Befassten nahelegen sollte. Diese Analyse würde auch in den Grundzügen für Deutschland gelten, das eine ähnliche Bevölkerungszahl (66,4 vs. 80,8 Mio.) und ebenso ein relativ gut funktionierendes Gesundheitssystem hat. / …/ Maßnahmen zur Einschränkung der Neuinfektionen, wie sie ja auch in Bayern geplant sind, könnten im Idealfall zu einer mehr als 10-fachen Reduktion der Todesfälle auf ca 30 000 führen. Aktuelle Bemerkung: wir haben inzwischen wegen einer mangelhaften Coronastrategie 76 138 Corona-Todesfälle. /…/. Was kann man tun, um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der langdauernden und wahrscheinlich weiter verstärkten Restriktionen abzumildern? Eine relativ einfache Lösung ist, diejenigen, die erfolgreich eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden haben und damit immun sind, wieder in ein „normales“ gesellschaftliches Leben einzugliedern. Da sie keine Infektion mehr übertragen können, sind sie anfangs besonders geeignet, kritische Positionen zu übernehmen (Krankenversorgung, Pflegeheime, zentrale Funktionen mit direkten zwischenmenschlichen Kontakten wie Lebensmittelhandel, an den Universitäten Abnahme von Prüfungen), später aber wenn der Anteil der Immunen erheblich ist und das wird wegen des exponentiellen Anstiegs der Infizierten bald so sein,, könnten sie auch Funktionen in der Wirtschaft wieder aufnehmen. Es ist sicherlich kaum vertretbar, für diese Gruppe die Kontaktrestriktionen und Reisebeschränkungen aufrecht zu erhalten. Daher müssen die Gesundheitsämter jetzt planen, Kriterien dafür aufzustellen, wann eine Person als immun anzusehen ist (z. B. nach nachgewiesener Infektion in zwei PCR-Test kein Virus in zwei Analysen mehr nachweisbar oder Nachweis spezifischer Antikörper und ein PCR-Test ohne Virusnachweis). In diesem Fall sollte auf Wunsch eine amtliche Bescheinigung für die Immunität ausgestellt werden /…/.“
Wie wir sehen, waren die obigen Vorhersagen zu optimistisch, die Anzahl der Personen, die nachweislich infiziert wurden, liegt in Deutschland bei ca. 2,8 Millionen. Allerdings gab es auch in Deutschland ein weitgehenden Wegfall aller Restriktionen während der Urlaubszeiten zusammen mit der Teilöffnung von Schulen und Kitas (2-te Welle) und eine Öffnung von Kitas und Teilöffnung von Schulen (3-te Welle),
Nimmt man an, dass wie in mehreren Studien gezeigt, die Anzahl der wirklich Infizierten 4 bis 6-mal höher ist (über die genaue Zahl kann man streiten, sie ist aber für die Argumentation unwesentlich), haben wir derzeit bei der Annahme eines Faktors von 6 insgesamt ca. 16,8 Millionen potentiell Immune (ca. 20 % der deutschen Bevölkerung). Auf ähnliche Zahlen (20,5 Millionen Infizierte und damit potentiell Immune) kommt man ausgehend von einer Letalität von 0,37 % bei 76 139 Coronatoten. Dazu kommen ca. 11 % der Bevölkerung, die eine Erstimpfung erhalten haben, d. h. ca. 31 % der Bevölkerung haben zumindest eine Teilimmunität. Diese werden ohne wirklichen Grund in ihren Freiheitsrechten und Sozialaktivitäten eingeschränkt, nicht zu reden von den wirtschaftlichen Schäden durch den weiteren Lockdown, für die wir letztendlich alle in der Zukunft zahlen müssen.
Gegen die Einführung eines Impf-und Immunitäts-Pass gab es (neben Datenschutzbedenken) im Wesentlichen zwei gleichermaßen schlechte Argumente:
1. Es wiederspräche dem Gleichheitsgrundsatz, wenn sich nur der Teil der wahrscheinlich immunen Bevölkerung ohne größere Restriktionen bewegen könnte, während die Nichtimmunen weitere Restriktionen akzeptieren müssten. Wenn man diese Argumentation ernst nimmt, dürfte niemand Autofahren, da eine Gruppe der Bevölkerung (z. B. Blinde) nicht Autofahren dürfen. Oder noch extremer, Frauen dürfen keine Kinder gebären, da Männer es ja nicht können, so sehr sie sich anstrengen. Schon vom Grundgesetz her dürfen Individualrechte nur dann eingeschränkt werden, wenn ohne diese Einschränkungen für die Allgemeinheit schwerwiegende Nachteile zu erwarten wären.
2. Da man nicht sicher wüsste, ob Geimpfte oder Personen, die eine Infektion durchgemacht haben, nicht mehr neuerlich infiziert werden könnten und dann andere Personen anstecken könnten, dürfte man keinen Impf-und-Immunitätspass ausstellen. Da haben die Entscheider und Pseudoexperten die naturwissenschaftlichen Grundlagen nicht verstanden. Es gibt für fast keine Aussage eine absolute Sicherheit. Sars-Cov-2 verhält sich nicht grundsätzlich anders als all bisher bekannten Viren. Die Virologie ist eine gut etablierte Wissenschaft. Man weiß sogar (ohne große Studien) sicher, dass es bei Sars-Cov-2 wie bei allen anderen Viren Impfversager und Mehrfachinfektionen geben wird. Triviale Gründe sind hier Fehlbestimmungen des Immunstatus (jede Messmethode hat auch einen statistischen Fehler) oder Fehler bei der Impfung (in Brasilien werden Luftimpfungen berichtet). Bekannte andere Gründe sind Immundefekte (auch iatrogen herbeigeführt), eine extreme Viruslast oder natürlich auch die Entwicklung neuer Mutanten, die die Immunität umgehen. Für die gegenwärtige Situation spielt es aber nur eine Rolle, wie gefährlich diese Effekte für die Allgemeinheit werden und dies werden sie nur, wenn sie recht häufig auftreten und damit die Epidemie weiter verstärken. Es gibt hier keine Hinweise, dass sich hier Sars-Cov-2 grundsätzlich anders als alle bekannten Viren verhält.
Ein wichtiges Argument für einen Impf-und-Immunitätspass ist zusätzlich, dass mit den jetzigen Strategien in Deutschland auch Anfang 2022 voraussichtlich keine ausreichende Immunität in Deutschland erreicht werden kann, da in allen westlichen Ländern die Impfverweigerer (und Verschwörungstheoretiker) nach Umfragen 30 bis 50 % der Bevölkerung ausmachen und sich nicht impfen lassen wollen. Einen großen Teil dieser Gruppe wird man aber wahrscheinlich von einer Impfung überzeugen können, wenn sie Nachteile in ihrem Privatleben haben, weil die Covid19-Restriktionen für Personen mit Immunitätsausweis teilweise aufgehoben werden können. Seuchenhygienisch wäre es daher sinnvoll, Aktivitäten mit erhöhtem Infektionsrisiko für Personen ohne Immunitätsnachweis (Impfung und/oder ausreichender Titer neutralisierender Antikörper). Einen tagesaktuellen negativen Covid19-Test könnte für einen kurzen Zeitraum (z. B. einem Abend) einem Immunitätsnachweis gleichgestellt werden.
Also:
1. der digitale europäische Immunitätspass sollte unverzüglich in Deutschland eingeführt werden.
2. Die Beantragung dieses Passes muss freiwillig sein.
3. Diese Daten sollten zentral auf einem europäischen Server gesichert werden und durch entsprechend autorisierten Personen abrufbar sein.
4. Soziale Restriktionen sollten für Personen mit (innerhalb immer existierender Fehlergrenzen) gesicherter Immunität auf ein Mindestmaß beschränkt werden.
5. Ein digitaler europäischer Covid19-Immunitätspass sollte zeitnah zur Entwicklung eines schon lange überfälligen, allgemeinen digitalen Immunitäts-und-Impfpass umgewandelt werden. Dies wäre dann endlich einmal ein positiver Effekt der Pandemie für die Zukunft.
Der gesunde Menschenverstand und das fundierte (medizinische) Sachwissen sollten wieder wichtiger als Pseudofachwissen und politisches Taktieren (Wahlkampf!) werden. Hier könnte (sollte) die Ärzteschaft eine deutlich aktivere Rolle als jetzt spielen.
Regensburg, 30.3.2021 Prof. Dr. Dr. Hans Robert Kalbitzer