In vielen Regionen Afrikas und Indiens übertragen Vierbeiner Rabies-Viren. Dabei wäre es nicht schwer, die Tollwut vor Ort auszurotten – ohne große Beträge. Westliche Länder dürfen sich nicht heraushalten. Ein Knackpunkt: Armutsassoziierte Erkrankungen erforschen sie kaum.
In Europa und Nordamerika ist Tollwut längst zur Randerscheinung geworden, mit Ausnahme von Fledermäusen. Zeitgleich berichten Ärzte aus Indien und aus Ländern südlich der Sahara von etlichen Fällen, ausgelöst durch Hundebisse. Genaue Zahlen fehlten bislang, da viele Länder selbst keine Daten erheben. Ihnen fehlen schlicht und ergreifend geeignete Infrastrukturen. Jetzt haben Forscher versucht, das Ausmaß zu quantifizieren.
Katie Hampson, Glasgow, wertete für ihre Studie unterschiedliche Quellen aus. Teams befragten Ärzte, Tierärzte und Labormediziner in den entsprechenden Gebieten. Damit gelang Hampson zumindest eine grobe Schätzung, wenn auch mit extremer Streuung. Jahr für Jahr sterben Extrapolationen zufolge 25.000 bis 159.200 Menschen an Tollwut. Felix Lankester, Pullman, spricht in einer Veröffentlichung von „mehr als 69.000 Opfern“ [Paywall]. Die meisten Todesfälle treten in Asien (59,6 Prozent) und Afrika (36,4 Prozent) auf. Überraschend: In Lateinamerika gilt Haiti als „Hot Spot“ – mit rund 70 Prozent aller Infektionen, bezogen auf die Region. Die Folgen sind fatal: In Summe führt Tollwut zum volkswirtschaftlichen Verlust von 3,7 Millionen Lebensjahren und zu Einbußen von 8,6 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Angesichts dieser gewaltigen Schadenssumme wären Kosten vernachlässigbar, um Hunde konsequent zu impfen, schreibt Katie Hampson weiter. Postexpositionsprophylaxen gehen deutlich mehr in das Geld, von der mangelhaften Verfügbarkeit geeigneter Vakzine abgesehen. Ohne vorherige beziehungsweise postexpositionelle Impfung führt die Infektion mit wenigen Ausnahmen innerhalb von 15 bis 90 Tagen zum Tode.
Lankester schlägt in die gleiche Kerbe: Meistens infizieren sich Patienten bei Hunden mit dem tödlichen Virus. Rein statistisch gelten Haushunde als größtes Risiko, vor allem bei hoher Populationsdichte wie in manchen afrikanischen Ländern. Sie übertragen das Virus auf bis zu zwei andere Lebewesen, Menschen eingeschlossen, bis sie selbst zugrunde gehen. Genau hier müssten Gesundheitsbehörden und NGOs ansetzen, lautet die Forderung. Erst an nachrangiger Stelle nennen Wissenschaftler streunende Artgenossen, gefolgt von Wildtieren. Mehrere Staaten haben Massenimpfungen für Haushunde initiiert. In Südafrika, Tansania, Zimbabwe, und im Tschad sind weniger als elf Prozent aller Tiere herrenlos. Vor diesem Hintergrund lassen sich Durchimpfungsraten von 70 Prozent realisieren – mit 100 US-Dollar pro Quadratkilometer. Die Wahrscheinlichkeit eines Tollwut-Ausbruchs geht unter diesen Voraussetzungen gegen null Prozent. Dass Ärzte, Tierärzte und Behörden gemeinsam die Tollwut ausrotten können, zeigt sich besonders deutlich in einigen Gebieten Lateinamerikas. Hier gelang es, Erkrankungsfälle bei Hunden um 99 Prozent zu verringern. Nachhaltige Konzepte stoßen bei manchen Politikern vor Ort aber auf Skepsis. Einmal mehr reagieren sie auf Probleme anstatt zu agieren. Bestes Beispiel: Aufgrund mangelhafter Quarantänebestimmungen gelangte ein tollwütiger Hund im Jahr 2008 nach Bali. Er infizierte weitere Tiere, und eine Lawine kam ins Rollen. Die Folge: schätzungsweise 130 Todesfälle. Erst im April 2015 haben sich Behörden aufgerafft, Hunde konsequent zu impfen. Ob sich Tollwut nur durch Vakzine kontrollieren lässt, ist eine andere Frage.
In diesem Zusammenhang wird Kritik an pharmazeutischen Herstellern laut. Seltene Krankheiten stehen auf der Prioritätenliste ganz weit unten. Bei Tollwut werden in regelmäßigen Abständen die Impfstoffe knapp, zuletzt im Februar. Es fehlen Schnelltests, aber auch Pharmakotherapien. Unmittelbar nach einer Exposition gelingt es Ärzten derzeit nicht, virale Infektionen nachzuweisen oder auszuschließen. Wohin mangelndes Interesse an vernachlässigten Erkrankungen führt, musste die internationale Staatengemeinschaft bei Ebola am eigenen Leibe spüren. Ärzte ohne Grenzen Deutschland kritisiert die teils überhöhten Preise für Impfstoffe. Gleichzeitig werden Schwachstellen angeprangert. „Ebola hat das Versagen der Welt bei der globalen Gesundheitsforschung drastisch offen gelegt“, erklärt Philipp Frisch von Ärzte ohne Grenzen. „Und auch über Ebola hinaus sind unsere Teams oft hilflos, weil wirksame, angepasste und bezahlbare Medikamente, Impfstoffe und Diagnostika fehlen.“ Experten aus mehreren Ländern schlagen deshalb einen international aufgestellten Innovations- und Forschungsfonds vor, finanziert über den Haushalt aller G7-Staaten. Ihre Idee: von der Regierung unterstützte Produktentwicklungspartnerschaften zwischen Forschungsinstituten, Stiftungen und Herstellern. Jetzt müssen Staats- und Regierungschefs Farbe bekennen.