Lange war Impfstoff knapp, bald soll es eine Flut an Dosen geben. Die letzten Tage haben gezeigt: Auch Deutschland kann Massenimpfung. Wie geht es jetzt weiter? Experten geben ihre Prognose ab.
Im laufenden zweiten Quartal 2021 soll beim Impfen alles besser werden: Die Hausarztpraxen sind – wenn auch erst in geringem Umfang – seit dieser Woche endlich an den Corona-Impfungen beteiligt. Und plötzlich scheint es zu laufen: Erstmals rückt auch hier zu Lande die magische Quote "ein Prozent der Bevölkerung pro Tag" bei den Corona-Impfungen in Reichweite. Das ist auch ein Verdienst der Hausarzt-Lobby, aber nicht nur: In erster Linie ist der derzeitige Anstieg eine Folge dessen, dass mehr Impfstoff geliefert wird. Auch die Impfzentren sind jetzt deutlich voller.
Laut Angaben aus dem Gesundheitsministerium rollt in den kommenden Monaten Impfstoff in großen Dimensionen auf Deutschland zu. Trotzdem: Nur 23 Prozent der Deutschen glauben einer Umfrage nach an das Impfversprechen der Kanzlerin, allen bis zum 21. September ein Impfangebot machen zu können. Andererseits gibt es auch Stimmen, die genau das schon bis Juni für möglich halten. Was jetzt? Experten erklären, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, damit das Versprechen zu halten ist. Und geben eine Prognose ab: Das Ziel ist ehrgeizig, aber keineswegs unrealistisch.
Im laufenden April soll Deutschland so viele Impfdosen zur Verfügung haben, wie in keinem Monat zuvor. Nach Prognosen des Gesundheitsministeriums liefern die Hersteller mehr als 16 Millionen Impfdosen. Der Mammutanteil stammt dabei von Biontech und Pfizer mit gemeinsam mehr als zehn Millionen Dosen. Von Astrazeneca werden mehr als 3,8 Millionen Dosen erwartet, von Moderna mindestens eine Million. Außerdem wird nun auch das Johnson & Johnson-Vakzin geliefert, in den Kalenderwochen 15 und 17 sollen mehr als 700.000 Dosen des Single-Shot-Impfstoffs kommen. Bis zum Sommer sollen die Lieferungen dann weiter deutlich ansteigen – im gesamten Jahr könnten es laut aktueller Schätzung des Bundes bis zu 322 Millionen Dosen werden.
Aber: Es kommt immer wieder zu Verzögerungen oder Ausfällen einzelner Impfstoff-Lieferungen. Aktuell bremst zum Beispiel eine ausgefallene Lieferung von Biontech/Pfizer das Impftempo in Rheinland-Pfalz, hier seien rund 10.000 fest zugesagte Dosen nicht geliefert worden, so Landesimpfkoordinator und Gesundheitsstaatssekretär Alexander Wilhelm (SPD). Die Gründe hierfür sind bislang unklar.
In Deutschland hängt in puncto Impfen fast alles von Biontech ab. Das Unternehmen soll bis zum Halbjahresende rund 60 Prozent des gesamten benötigten Impfstoffs liefern, wie Spiegel berichtet. Zudem sollen laut Empfehlung der STIKO nur Menschen über 60 mit Astrazenca geimpft werden. Biontech soll diese Lücke füllen. Kommt es hier in Zukunft zu starken Verzögerungen oder Ausfällen, wird das die Impfkampagne entsprechend zurückwerfen.
Neben eingehaltenen Lieferterminen ist vor allem wichtig, dass der Impfstoff auch zügig in den Armen der Menschen landet. Berechnungen von Wissenschaftlern des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung sorgen für Aufsehen – demnach ist die vollständige Impfung aller impfwilligen Erwachsenen bis Ende Juli machbar. Sie legen einen „Impfpfad“ vor, der zeigt, wie viele Impfungen täglich verabreicht werden müssten, um das Ziel bis Ende Juli zu erreichen. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, zeigt ihn auf Twitter, die blauen Balken geben an, wie viele Impfungen dafür nötig sind:
Ihr Ergebnis sieht folgendermaßen aus: Ab jetzt müssten täglich 470.000 Dosen verimpft werden, ab Mai sei ein großer Sprung nötig. Dann müssten etwa 715.000 Dosen täglich verabreicht werden. Diese Beschleunigung sei zwar ambitioniert, aber nicht illusorisch, so der Wissenschaftler.
Und die aktuellen Impfzahlen geben ihm Recht. Sie zeigen, dass das Impftempo jetzt tatsächlich deutlich anzieht: Nach Ostern haben am Mittwoch (07. April 2021) die Impfzahlen massiv zugelegt. Insgesamt wurden laut RKI 656.357 Dosen verimpft, das sind fast doppelt so viel wie der bisherige Tagesrekord vom 26. März. Dullien: „Entscheidend war für den Sprung der Einsatz der Hausärzte: Rund 300.000 Dosen wurden dort als verimpft gemeldet, nach 100.000 Dosen am Dienstag. Nach den Erfahrungen der Vortage könnten die Gesamtimpfzahlen noch einmal nach oben revidiert werden.“
Die gute Nachricht ist für Dullien vor allem: Die aktuellen Zahlen würden zeigen, dass das Impfsystem im Prinzip skalierbar ist. „Wenn aus dem Stand ein Hochfahren auf fast 660.000 Impfungen klappt, dann ist es bis 715.000 nicht mehr weit.“
Sein Fazit: „Insgesamt scheinen diese Zahlen [...] bei Einbindung von Haus- und Betriebsärzten weiter realistisch“. Wenn große Unternehmen ihre Betriebsärzte in die Impfkampagne einbeziehen, kämen ausreichend große Kapazitäten ins Spiel. Nach Einschätzung des Hausärzteverbandes könnten allein in den niedergelassenen Praxen im Wochendurchschnitt relativ problemlos 2,5 Millionen Patienten immunisiert werden.
Impfende Ärzte sind sich einig: Um das Tempo weiter hochzuschrauben, muss ihnen die Arbeit erleichtert werden. Vor allem die Zeit, die für Papierkram bei den Impfungen anfällt, sorgt für Ärger und Unverständnis. „Diese Impfung gegen COVID-19 ist eine Impfung wie jede andere auch: Es wird geimpft, es wird dokumentiert, aber es werden nicht neun oder zehn Seiten Papier ausgefüllt", das fordert Ulrich Weigeldt vom Deutschen Hausärzteverband. Impfärztin Dr. Sandra Masannek würde wie folgt entschlacken: „Chargennummer und Patient reicht, so wie bei allen anderen Impfungen auch“.
Grundsätzlich gilt die in der Coronavirus-Impfverordnung festgelegte Priorisierung auch für Hausarztpraxen. Angesichts steigender Liefermengen plädiert Masannek – wie auch der Hausärzteverband –für mehr Flexibilität beim Impfen: „Gerade wenn mehr Impfstoff da ist, könnte man auch die Priorisierung etwas lockern, damit die verimpfenden Ärzte Rechtssicherheit haben“. Sie macht einen weiteren Vorschlag, der das Impfen in der Praxis beschleunigen könnte: „In Anbetracht der Seltenheit von Impfreaktionen sollte man auch die Nachbeobachtung grundsätzlich auf 15 Minuten begrenzen, außer es handelt sich z.B. um heftige Allergiker mit Notfall-Set“. Damit würde man die Nachbeobachtungsräume gerade in den Praxen entlasten und könnte insgesamt mehr Leute impfen.
Bildquelle: Serghei Trofimov, unsplash