Wenn die Variante P1 einmal da ist, geht es schnell – in Kanada mehrten sich die Fälle binnen Tagen: Aus zwei- wurde dreistellig. Jüngster Vorfall ist ein COVID-Ausbruch unter Eishockey-Spielern. Wird P1 auch für Deutschland zum Problem?
Die bislang vermeintlich gefährlichste Corona-Variante P1 ist kürzlich in Kanada aufgetaucht. Vor wenigen Tagen sorgte ein COVID-Ausbruch im Eishockey-Team der Vancouver Canucks für Schlagzeilen. Mittlerweile wurden Medienberichten zufolge 17 Teamspieler und -Trainer positiv getestet, bei einigen von ihnen wurde P1 nachgewiesen.
Brisant ist, dass sich P1 nun nicht mehr nur in Einzelfällen nachweisen lässt, sondern, dass es offenbar auch schon zu Übertragungen innerhalb des Landes gekommen ist. Die höchsten Werte sind in der kanadischen Provinz British-Columbia zu beobachten. Wie Modellierung bereits nahelegen, scheint P1 sehr ansteckend zu sein: „Innerhalb weniger Tage haben die Fälle sich von einem zweistelligen in einen dreistelligen Bereich bewegt“, heißt es in einem Zeitungsbericht von Montag. Darin ist von bislang 379 P1-Fällen in B.C. die Rede, gefolgt von 103 Fällen in Ontario, sechs in Alberta und zwei Fällen in Quebec. Ein „super spreading event“ sei nicht bekannt, es habe sich bisher um größere und kleinere Cluster gehandelt.
Ursprünglich stammt P1 aus Brasilien. Schon seit Monaten blicken Wissenschaftler besorgt auf die Lage in dem südamerikanischen Land. Dort ist die COVID-19-Pandemie völlig außer Kontrolle geraten und bietet ideale Voraussetzungen für die Entstehung und Ausbreitung neuer Corona-Mutanten – so entstand auch die Corona-Variante P1, ein Abkömmling der B.1.1.28-Variante.
P1 weist insgesamt 17 Mutationen auf und ähnelt in der Zusammensetzung der südafrikanischen Variante. Ganze 10 Mutationen sind im Spike-Protein zu finden, darunter K417T, E484K und N501Y. Diese Mutationen sorgen vermutlich dafür, dass das Virus besser an die menschlichen ACE2-Rezeptoren andocken kann – und somit möglicherweise infektiöser ist als ursprüngliche Varianten.
Während sich die Variante B.1.1.7 hierzulande inzwischen als vorherrschende Mutante durchgesetzt hat, wird P1 laut aktuellem Bericht vom RKI in Deutschland seit Januar konstant in nur wenigen Einzelfällen detektiert (0 bis 1 %). Am 21. Januar wurde P1 das erste Mal in Deutschland nachgewiesen. Damals wurde am Frankfurter Flughafen ein infizierter Reiserückkehrer aus Brasilien positiv getestet.
Woher die anderen Fälle stammen, ist unklar – möglicherweise handelt es sich auch um Reisende. In vielen anderen Ländern, in denen P1 nachgewiesen wurde, wie in den USA, Schweiz und Italien, traten die dokumentierten Fälle bislang ebenfalls nur bei Reisenden auf ohne Übertragungen im Land. Die derzeit konstant niedrigen Nachweiszahlen für P1 sprechen dafür, dass das auch in Deutschland der Fall ist. Andererseits verbreitet sich diese Variante etwa in Schweden und Belgien auch bereits mit Ansteckungen im Land – Kanada ist das aktuellste Beispiel dafür.
„Natürlich könnte die ‚brasilianische‘ Variante die ‚britische‘ Variante verdrängen, wenn sie noch infektiöser ist“, sagt Dr. Andreas Bobrowski, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Laborärzte (BDL). „So lief es schließlich auch bei der britischen Variante ab, die langsam aber sicher die ursprüngliche Variante aus Wuhan verdrängte.“
Aber man müsse dazu auch sagen, dass viele Prozesse gleichzeitig ablaufen, die einer solchen Entwicklung entgegen wirken könnten: „Dazu zählt die stille Immunisierung der Bevölkerung und die Immunisierung durchs Impfen. In Großbritannien gehen die infektionszahlen ja auch zurück, obwohl B.1.1.7 ansteckender ist.“
Etwas fraglich ist, ob sich P1 in einem „B.1.1.7-Umfeld“, wie es Deutschland jetzt ist, überhaupt genauso effizient ausbreiten kann wie in einem Umfeld wie in Brasilien oder jetzt Westkanada, wo B.1.1.7 vor der „P1-Ansiedelung“ noch nicht dominant war. Daran gibt es unter Wissenschaftlern starke Zweifel. Die Tatsache, dass P1 in Deutschland bisher keine Ausbreitungstendenz zeigt, spricht zumindest dafür, dass es P1 bei hoher Maskenadhärenz und einem „starken“ Konkurrenten wie B.1.1.7 nicht gerade einfach hat.
Ob P1 gefährlicher als andere kursierende Varianten ist, weiß man noch nicht genau. Auch über die Wirkung der Impfstoffe gegen P1 herrscht Uneinigkeit. Eine Studie weist darauf hin, dass die durch Impfstoffe produzierten Antikörper die Viren der P1-Variante weniger effizient zu neutralisieren scheinen als die der ursprünglichen Virusvariante. Forscher der Oxford-Universität kommen hingegen zu dem Ergebnis, dass die Impfstoffe von Biontech und AstraZeneca besser wirken als gedacht – P1 ist möglicherweise weniger resistent gegen die durch Impfstoffe ausgelöste Immunantwort. An dieser Stelle muss allerdings erwähnt werden, dass in den genannten Studien nicht auf die T-Zell-Antworten eingegangen wird, die einen wichtigen Teil zur Immunität beitragen.
Im schlimmsten Fall könnte P1 dahingehend weiter mutieren, dass Escape-Varianten entstehen. Gegen diese würden dann auch keine der aktuell erhältlichen Impfstoffe etwas bewirken. Glücklicherweise ist das bislang nicht der Fall. Und selbst wenn: Hersteller arbeiten bereits an Impfstoffen der nächsten Generation, die auch effektiv vor Infektionen durch die neuen und zukünftigen Varianten schützen sollen. Moderna hat etwa bereits einen „Varianten-Booster“ mit dem Namen mRNA-1273.351 entwickelt, der gezielt gegen die Variante aus Südafrika wirken soll (wir berichteten). Auch Biontech soll bereits an neuen Versionen des Impfstoffs BNT162b2 arbeiten.
Dass angesichts der neuen Varianten bald kein Impfstoff mehr wirkt, halten Experten allerdings für nicht sehr wahrscheinlich: „Wir haben gute Tools, um Schritt zu halten mit der Pandemie“, erklärt Infektiologin Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Wichtig bleibe besonders, das Infektionsgeschehen klein zu halten, „dann gibt es auch weniger Mutationen.“
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