Die Bombe ist geplatzt: Hermann Gröhe (CDU) sorgt mit seinem jetzt vorgelegten Entwurf zum E-Health-Gesetz für Unmut bei Apothekern. Der Bundesgesundheitsminister sieht Leistungen zum Medikationsmanagement allein bei Ärzten. Jetzt wächst der Widerstand von allen Seiten.
Für Apotheker war die Sache eigentlich schon recht klar: Zusammen mit Ärzten wollten sie Dienstleistungen rund um Medikationsanalyse und Medikationsmanagement einführen. Im Herbst verabschiedeten Delegierte beim Deutschen Apothekertag ein von langer Hand verabschiedetes Perspektivpapier: „Im Grundsatz beschreibt „Apotheke 2030“, wie die Apotheken ihr heilberufliches Profil schärfen, in einem Netzwerk mit Ärzten und anderen Fachberufen zusammenarbeiten und somit ein echtes Medikationsmanagement für die Patienten ermöglichen“, fasst die ABDA zusammen.
Doch es kam anders. Jetzt liegt ein umstrittener Entwurf zum E-Health-Gesetz vor. Versicherte, die mindestens drei Medikamente gleichzeitig einnehmen, haben ab Oktober 2016 Anspruch auf einen Medikationsplan. Anfangs sollten fünf Arzneimittel als Voraussetzung gelten. Mittelfristig plant die Regierung, Medikationspläne über die elektronische Gesundheitskarte verfügbar zu machen. Wann digitale Rezepte folgen, bleibt unklar. Auch legt Schwarz-Rot Medikationspläne einzig und allein in die Hände von Ärzten – zumindest in der Anfangsphase. Mediziner erstellen entsprechende Listen, während Apotheker allenfalls Ergänzungen vornehmen. Pharmazeuten werden nicht routinemäßig eingebunden. Wie OTCs in die Zusammenstellung gelangen, geht aus dem Regierungsentwurf zum E-Health-Gesetz nicht hervor. Ohne diese Präparate bleiben Listen aus Praxissicht unvollständig und letztlich unbrauchbar – das wissen auch Mediziner. Im Mai hatten Delegierte des Deutschen Ärztetags gefordert, OTCs zu berücksichtigen. Doch profitieren Patienten überhaupt von den neuen Services? Laut ABDA-Chef Friedemann Schmidt sei „die reine Auflistung von Arzneimitteln kaum etwas wert, wenn keine Medikationsanalyse erfolgt“. Dazu gehöre, dass die Medikation systematisch auf Wechselwirkungen und andere Risiken überprüft und für Probleme Lösungen zwischen Arzt und Apotheker abgestimmt würden. „Die Liste allein bringt den Patienten nicht mehr Arzneimittelsicherheit“, ergänzt Schmidt. Und Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, ergänzt: „So wie der Medikationsplan im Gesetz angelegt ist, kann er nur als Etikettenschwindel bezeichnet werden.“
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Medikationsanalysen als zeitaufwändige Aufgaben nicht nebenbei zu erbringen sind. Mediziner erhalten eine Vergütung – Pharmazeuten gehen leer aus. Gröhe sieht Leistungen bereits mit Packungshonoraren abgegolten. Dazu ein paar Zahlen, basierend auf Simulationen der Treuhand Hannover, um den betriebswirtschaftlichen Aufwand zu quantifizieren. Als Basis dienen sieben Millionen Patienten, die entsprechende Services abrufen würden, und 40 Euro Personalkosten pro Stunde und Apotheker. Kalkuliert man mit vergleichsweise niedrigen zwei Minuten pro Patient und Quartal an, resultieren Kosten von 1.800 Euro pro Apotheke. Bei zwei Minuten pro Patient und Woche führt dies schon zu 24.000 Euro pro Apotheke. Eine 20-minütige Konsultation pro Quartal schlägt mit 18.000 Euro pro Apotheke zu Buche. Nehmen Bürger einmal pro Woche 20 Minuten Zeit in Anspruch, ist man bei 240.000 Euro pro Apotheke. Kiefer: „Die unerlässliche und aufwändige pharmazeutische Bewertung soll der Apotheker nach jetzigem Stand wohl ehrenamtlich und kostenlos erbringen. Das ist ein Gesetz zu Lasten Dritter!“
Jetzt nutzen andere Interessenvertreter die Gunst der Stunde. „Ohne pharmazeutischen Mehrwert außerhalb der Beratung, für die es die Fixspanne auf Arzneimittel gibt und die andere Heilberufe vermeintlich auch für sich in Anspruch nehmen leisten zu können, werden wir Apotheker es weiterhin schwer haben, ebenfalls in eine zusätzliche Honorierung einbezogen zu werden“, so Hans-Werner Holdermann, Chef des Bundesverbands Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV). Anders als Ärzte hätten Apotheker, die verblistern, bereits heute den Gesamtüberblick über die verabreichte Medikation. Holdermann: „Das unterscheidet den verblisternden Apotheker vom Arzt insbesondere dann, wenn der Patient bei mehreren Ärzten in Behandlung ist.“ Elektronische Tools sind in der Branche üblich; Papierausdrucke erscheinen aus Sicht des BPAV als „rückwärtsgewandte“ Lösung.
Diese Argumentation tröstet Apotheker kaum. Bleibt einmal mehr, politische Botschaften an das Bundesministerium für Gesundheit zu senden. Vielleicht werden aus Apotheker- und Patientensicht gravierende Lücken ja noch geschlossen. Friedemann Schmidt: „Da muss die Vernunft siegen. Es wäre fatal, wenn man die Chance auf eine echte Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit jetzt nicht nutzen würde. Die Leidtragenden wären die Patienten.“