In einer klinischen Studie wurde erstmals ein mutationsspezifischer Impfstoff gegen bösartige Hirntumoren geprüft. Die Ergebnisse sind vielversprechend.
Diffuse Gliome sind meist unheilbare Hirntumoren, die sich im Gehirn ausbreiten und operativ nur schwer vollständig entfernt werden können. Auch Chemo- oder Strahlentherapie sind häufig nur begrenzt wirksam.
In über 70 % der Fälle tragen die Tumorzellen eine übereinstimmende Genmutation: Ein identischer Schreibfehler im Erbgut, der dazu führt, dass im Enzym IDH1 ein einziger, bestimmter Eiweißbaustein ausgetauscht wird. Dadurch entsteht eine neuartige Proteinstruktur – ein so genanntes Neoepitop, das vom Immunsystem des Patienten als fremd erkannt werden kann.
„Unsere Idee war, die Immunabwehr der Patienten zu unterstützen und mit einer Impfung gezielt auf das tumorspezifische Neoepitop aufmerksam zu machen“, sagt Studienleiter Michael Platten, Universitätsmedizin Mannheim.
Die IDH1-Mutation ist dafür besonders geeignet: Sie tritt hochspezifisch in den Gliomen auf und kommt in gesunden Geweben nicht vor. Außerdem ist das mutierte IDH1 ursächlich für die Entstehung der Gliome: „Das heißt, mit einer Impfung gegen das mutierte Protein packen wir das Problem an der Wurzel“, erklärt der Neurologe.
Sein Team hatte bereits vor einigen Jahren den Abschnitt des IDH1-Proteins mit der charakteristischen Mutation synthetisch nachgebaut. Mit diesem mutationsspezifischen Peptid-Impfstoff ließ sich bei Mäusen das Wachstum von IDH1-mutierten Krebszellen aufhalten.
Ermutigt von diesen Ergebnissen entschieden sich die Ärzte, den mutationsspezifischen Impfstoff erstmals an Patienten zu prüfen, die neu an einem IDH1-mutierten Gliom erkrankt waren. Insgesamt 33 Patienten erhielten die Peptid-Impfung zusätzlich zur Standard-Therapie. Bei 30 Patienten konnten die Immunreaktionen ausgewertet werden.
Bei keinem der Geimpften beobachteten die Ärzte schwerwiegende Nebenwirkungen. Bei 93 Prozent der Patienten reagierte das Immunsystem spezifisch gegen das Impfpeptid. Das galt unabhängig vom genetischen Hintergrund des Patienten, der über die wichtigen Präsentationsmoleküle des Immunsystems, die HLA Proteine, bestimmt.
Bei einem großen Teil der Geimpften beobachteten die Ärzte eine Pseudoprogression, ein Anschwellen des Tumors bedingt durch eine Armada einwandernder Immunzellen. Diese Patienten hatten besonders viele T-Helferzellen im Blut, deren Immunrezeptoren spezifisch auf das Impfpeptid reagierten, wie Einzelzell-Sequenzierungen ergaben. „Wir konnten außerdem nachweisen, dass die aktivierten mutationsspezifischen Immunzellen in das Hirntumorgewebe eingewandert sind“, berichtet Theresa Bunse, die die immunologischen Analysen für diese Studien koordinierte.
84 % der vollständig Geimpften lebten noch drei Jahre nach der Behandlung, bei 63 % schritt das Tumorwachstum innerhalb dieses Zeitraums nicht weiter voran. Unter den Patienten, deren Immunsystem spezifisch auf die Vakzine reagiert hatte, lebten sogar 82 % für drei Jahre ohne Tumorprogress.
„Darüber hinaus gehende Aussagen zur Wirksamkeit der Impfung können wir bei dieser frühen Studie ohne Kontrollgruppe nicht machen“, erklärt Platten. „Die Sicherheit und Immunogenität des Impfstoffs waren so überzeugend, dass wir das Impfkonzept in einer weiteren Phase-I-Studie fortgeführt haben.“
In dieser Folgestudie kombinieren die Ärzte die IDH1-Vakzine mit einer Immuntherapie, einem Checkpoint-Inhibitor, der als Immun-Booster wirkt. „Wir sehen gute Chancen, dass sie die Immunzellen noch deutlicher gegen die Gliome aktivieren“, so Platten.
Außerdem bereiten die Mediziner eine Studie der Phase II vor, mit der sie erstmals prüfen können, ob der IDH1-Impfstoff zu besseren Behandlungsergebnissen als die Standardtherapie allein führt.
„Jedes Jahr wird bei etwa 5.000 Menschen in Deutschland ein Gliom diagnostiziert, etwa 1.200 davon sind diffuse Gliome mit IDH1-Mutation. Bislang können wir die Tumoren bei diesen Patienten meist nur begrenzt aufhalten. Wir sehen Chancen, mit der IDH1-Vakzine eine Behandlung zu entwickeln, die diese Tumoren wirkungsvoller und langfristig zurückdrängt“, sagt Ko-Studienleiter Wolfgang Wick, Universitätsklinik Heidelberg.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums. Hier geht's zur Originalpublikation.
Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash