Wegen seltener Blutgerinnsel kommt der Impfstoff von Johnson & Johnson erstmal nicht nach Europa. Das erinnert an AstraZeneca. Liegt's am Vektor? An diese Hypothese glauben nicht alle.
Jetzt trifft es auch den Single-Shot-Impfstoff von Johnson & Johnson: Am Dienstag empfahl die US-Aufsichtsbehörde FDA einen temporären Impfstopp. Als Grund nennt sie sechs Fälle von seltenen Blutgerinnseln, die in den USA nach Impfungen auftraten und jetzt untersucht werden müssen. Wie auch schon bei AstraZeneca handelt es sich um Sinusvenenthrombosen in Kombination mit Thrombozytopenie. Steckt die gleiche Ursache dahinter?
Der Impfstopp folgt wenige Tage nachdem die EMA angekündigt hatte, seltene Blutgerinnsel bei vier Personen in den USA zu untersuchen, die eine Impfung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson erhalten hatten. In der Pressemitteilung der FDA und CDC ist nun von sechs Fällen die Rede bei insgesamt 6,8 Millionen verabreichten Dosen in den USA. Alle sechs Betroffenen waren Frauen im Alter zwischen 18 und 48 Jahren. Eine Frau starb und eine zweite Frau wurde in einem kritischen Zustand ins Krankenhaus eingeliefert.
Auch auf die deutsche Impfkampagne hat das Auswirkungen. Hersteller Johnson & Johnson verschiebt nun seinen Auslieferungstermin an die EU. Eigentlich sollte die Auslieferung der Impfstoffe schon in dieser Woche starten. Insgesamt 10 Millionen Dosen sollten ursprünglich bis Mitte Juni nach Deutschland gehen.
Die Ähnlichkeiten zur AstraZeneca-Impfung sind nicht von der Hand zu weisen. Erst letzte Woche erklärte die EMA, dass sie eine Verbindung zwischen den AstraZeneca-Impfungen und dem Auftreten seltener Thrombosen sieht. Ob die Entscheidung bei Johnson & Johnson ähnlich ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Noch spricht die FDA von „extrem seltenen Fällen“. Mit dem Impfstopp gerät nun ein essentieller Bestandteil des Impfstoffs, den beide Hersteller nutzen, näher in den Fokus. Spielt der Adenovirus-Vektor eine Rolle bei der Ursache?
Erst kürzlich verkündeten deutsche Wissenschaftler bei der Ursachenforschung einen Durchbruch. Inzwischen ist die Untersuchung von Greinacher et al. zusammen mit einer Veröffentlichung einer norwegischen Arbeitsgruppe im NEJM erschienen, doch schon seit Erscheinen des Preprints wird ihre Hypothese heiß diskutiert und als bislang plausibelste Erklärung gehandelt – auch wenn noch Fragen offen sind.
Ihnen war bei der Untersuchung von Blutproben von Betroffenen mit Sinusvenenthrombosen aufgefallen, dass einige Fälle eine große Ähnlichkeit mit einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) haben. Bei einer HIT handelt es sich um eine ernste Nebenwirkung einer Heparin-Therapie. Dabei werden Antikörper gegen einen Komplex aus Heparin mit dem Plättchenfaktor 4 (PF4) gebildet. PF4 ist ein für die Blutgerinnung wichtiges Protein der Thrombozyten. Der resultierende Antigen-Antikörper-Komplex führt über die Aktivierung am Fc-Rezeptor der Blutplättchen zur Thrombozytenaggregation. So erklärt sich auch der scheinbar paradoxe Umstand, dass Thrombosen gleichzeitig mit einem Mangel an Blutplättchen auftreten können: Die Bindung löst eine weitere unangemessene Thrombozytenaktivierung aus, weshalb die Zahl der freien Blutplättchen sinkt.
Allerdings waren die Betroffenen zuvor nicht mit Heparin behandelt worden, sie wiesen aber Autoantikörper gegen PF4 auf. Inzwischen weiß man von anderen Triggern, die eine spontane HIT auslösen können, schreiben Greinacher et al. in ihrer Untersuchung. Dazu zählen etwa Pentosanpolysulfat oder hypersulfatiertes Chondroitinsulfat, aber auch virale und bakterielle Infektionen. Unklar ist, welcher Partner mit PF4 im Fall einer Impfung diesen Komplex bilden könnte. Die Forscher schlagen jetzt vor, das Phänomen impfstoffinduzierte immune thrombotische Thrombzytopenie (VITT) zu nennen.
„Bisher konnte ein kausaler Zusammenhang zwischen bestimmten COVID-19-Impfungen, Thrombozytenanomalien und Blutgerinnseln nicht bestätigt werden“, erklärt Prof. Eleanor Riley, Immunologin der University of Edinburgh, „Doch der Verdacht steigt, dass diese seltenen Fälle durch die Adenovirus-Komponente der Impfstoffe von AstraZeneca und J&J ausgelöst werden könnten.“ Anders als AstraZeneca nutzen Biontech und Moderna für ihre mRNA-Impfstoffe keinen viralen Vektor sondern Lipidnanopartikel. Hier wurde eine Häufung dieser speziellen seltenen Blutgerinnsel bislang nicht beschrieben.
Der Frage nach dem Adenovirus-Vektor als mögliche Ursache gehen auch die Wissenschaftler in ihrer Studie nach. Sowohl AstraZeneca als auch Johnson & Johnson nutzen Adenoviren als Transporter, um die Erbinformation von SARS-CoV-2 in Zellen einzuschleusen. Im Fall von Vaxzevria® kommt ein Adenovirus zum Einsatz, das normalerweise Schimpansen infiziert (ChAdOx), Johnson & Johnson nutzen hingegen ein humanes Adenovirus (Ad26).
Und hier wird es spannend: Für humane replikationsunfähige Adenoviren ist aus präklinischen Studien sowie Phase-I-Studien bei Gentherapien bereits bekannt, dass sie sekundäre Thrombozytopenien und DIC verursachen können, insbesondere bei der intravenösen Gabe dieser Vektoren – allerdings nur sehr selten. Eine Erklärung für die pro-thrombotischen Effekte der Adenovirus-Vektoren scheint es auch zu geben. So sind Adenoviruspartikel dazu in der Lage, an Thrombozyten zu binden. Interessanterweise können sie auch den Plättchenfaktor 4 binden. Ist das Rätsel damit also gelöst?
So einfach ist es anscheinend nicht. Die Forscher argumentieren, dass die Menge der Adenoviren in einer einzigen Impfdosis zu gering ist, um diese Immunreaktion auszulösen. Auch der zeitliche Abstand der Komplikation, die ein bis zwei Wochen nach der Impfung auftritt, würden eine Auslösung der Reaktion durch die Adenoviren eher unwahrscheinlich machen. Zum Vergleich: Eine HIT ist eindeutig mit der Dauer der Heparintherapie assoziiert – das Absetzen des Heparins verbessert das Problem typischerweise. Bei einer Impfung kommt es im Gegensatz dazu aber nur zu einer einzigen Verabreichung des Wirkstoffs und zu keiner kontinuierlichen Gabe wie beim Heparin.
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