Habt ihr schon mal vom Leigh-Syndrom gehört? Wenn nicht, seid ihr nicht allein. Welche Probleme die Erforschung seltener Erkrankungen hat und wie man sie lösen könnte, lest ihr hier.
Schwierige Finanzierung, kaum Studienteilnehmer und die Interessen der Pharmaindustrie – die Erforschung seltener Erkrankungen ist nicht leicht. Beispiel Leigh-Syndrom: Es ist eine seltene Erkrankung, die bei etwa einem von 36.000 Neugeborenen auftritt. Und es ist eine der schlimmsten: Betroffene Kinder zeigen häufig Schäden im zentralen Nervensystem, was zu geistiger Behinderung und Muskelschwäche führen kann. Die Lebenserwartung liegt im Schnitt gerade mal bei drei Jahren. Andere seltene Erkrankungen hingegen treten erst später im Leben auf, darunter die recht bekannte Huntington-Krankheit.
Von „selten“ sprechen wir in Europa, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Das klingt wenig, doch es gibt mehr als 6.000 dieser Erkrankungen. Allein in Deutschland gehen Schätzungen von vier Millionen Patienten aus, in der EU sogar von 30 Millionen. Die Mehrzahl der seltenen Erkrankungen ist genetisch bedingt und die Symptome treten zumeist bereits im Kindesalter auf, gefolgt von einem chronischen Verlauf. Die Website Orphanet bietet hier Ressourcen für Mediziner zur besseren Diagnose und Versorgung ihrer Patienten.
All das zeigt, wie wichtig die Erforschung solcher Krankheiten ist. Doch das ist gar nicht so einfach. Oft ist etwa der genaue Mechanismus unbekannt. Beim Leigh-Syndrom wissen wir: Es handelt sich um einen genetischen Defekt der Mitochondrien. Allerdings können verschiedene Gene verändert sein, und es ist nicht klar, wie sich die einzelnen Mutationen auswirken. Tiermodelle, die in der Grundlagenforschung oft sehr wertvoll sind, zeigten entweder nicht die gleichen Symptome wie Menschen, oder die Auswirkungen auf die Nervenzellen waren anders.
Dass solche Probleme lösbar sind, belegten jetzt Wissenschaftlerer um Alessandro Prigione, Professor für Pädiatrische Stoffwechselmedizin an der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf, und Markus Schülke, Professor für Experimentelle Neuropädiatrie an der Charité in Berlin. Sie schafften es, mit Zellen direkt von Patienten ein menschliches Modell des Leigh-Syndroms zu schaffen – in 2D als Nervenzellkultur und in 3D als Hirnorganoid. Mit diesem Modell hoffen sie nun, die Mechanismen besser erkunden und letztendlich Therapien entwickeln zu können.
Einfacher ist es bei Krankheiten, die durch Mutationen in einem bestimmten Gen verursacht werden – monogenetische Erkrankungen, wie etwa Huntington. Um ihren Mechanismus zu ergründen, können Forscher das entsprechende Gen in Tieren verändern und dadurch Erkenntnisse gewinnen, die letztendlich zu neuen Therapien führen können.
Eine große Hürde für die Forschung bleibt Finanzierung. Besonders klinische Studien sind teuer, sie können schnell über eine Millionen Euro kosten, sagt Schülke: „Da kommen ganz verschiedene Kosten zusammen: etwa die Organisation, die Anreise der Patienten und die Versicherungen.“ Pharmaunternehmen haben zudem kaum Gründe, solche Studien zu finanzieren, denn der Markt für mögliche Medikamente ist klein. Als Anreiz hat die EU für die Entwicklung von Orphan Drugs eine Verordnung erlassen. Dadurch können sie schneller eine Zulassung erhalten, werden von bestimmten Gebühren befreit und die Hersteller bekommen für maximal 12 Jahre ein Exklusivrecht für die Vermarktung.
Um die Forschung an seltenen Erkrankungen zu fördern, gibt es in Deutschland und der EU außerdem spezielle Programme, etwa vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom European Joint Programme on Rare Diseases (EJP RD). „Natürlich bewerben sich dann alle dort, die an seltenen Erkrankungen arbeiten“, sagt Prigione. Die Finanzierung zu bekommen bleibt also schwierig. Das EJP RD hat deshalb einen Mentoring-Service gegründet. Hier können Forschungsgruppen kostenlos Hilfe bekommen, wenn sie einen Antrag für Forschungsgelder stellen möchten.
Ist die Finanzierung gesichert, folgt für klinische Studien die nächste Herausforderung: genug Patienten zu finden. Das sieht Franz Schaefer, Professor für Pädiatrische Nephrologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Mitglied des Executive Committee der EJP RD, als schwierigsten Schritt: „Meistens müssen sich Forschungsgruppen aus verschiedenen Ländern zusammenschließen, um genug Teilnehmer für ihre Studien zu bekommen.“ Hierbei helfen Europäische Referenznetzwerke (ERNs). Doch selbst nach Ende der Studie ist es für die Forschungsgruppen nicht einfach. Sie müssen ihre Erkenntnisse schließlich noch veröffentlichen. Und wissenschaftliche Fachzeitschriften sind darauf angewiesen, dass ihre Artikel häufig zitiert werden – was bei Studien über seltene Erkrankungen unwahrscheinlich ist.
So stellen sich Wissenschaftler weiterhin großen Herausforderungen, ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten der Betroffenen selbst. Durch die nationalen und internationalen Bemühungen und Netzwerke verbessert sich einiges. Doch auch unter den seltenen Erkrankungen gibt es eine Rangordnung, sagt Schaefer: „Bei so vielen seltenen Erkrankungen muss sich die Forschung fokussieren, oft auf diejenigen Krankheiten, bei denen schon eine Therapie in Sichtweite ist.“ Das bedeutet im Umkehrschluss, dass andere seltene Erkrankungen kaum erforscht werden. Es gibt also noch viel zu tun.
Bildquelle: Stephanie LeBlanc, Unsplash