Bei der Erforschung der mesenchymalen Gliome wurde eine Kinase entdeckt, die das Wachstum der Tumoren antreibt. Wirkstoffe, die das Enzym blockieren und bereits als Medikament zugelassen sind, könnten das Wachstum aufhalten.
Zu den vielversprechendsten Zielstrukturen für moderne, maßgeschneiderte Krebsmedikamente zählt die große Enzym-Familie der Kinasen. Sie bilden die Schaltstationen der zellulären Signalwege. Viele, der in Krebszellen auftretenden Erbgutveränderungen haben zur Folge, dass diese Signalwege überaktiv sind und dadurch das Wachstum der Zellen anfeuern. Wirkstoffe, die Kinasen hemmen, blockieren die Signalweiterleitung und bremsen so die unkontrollierte Zellteilung. Einige dieser Substanzen sind bereits für die Krebstherapie zugelassen.
„Gerade bei besonders aggressiv wachsenden Krebsarten wie dem Glioblastom sind heute noch keine erfolgversprechenden Angriffspunkte für zielgerichtete Medikamente bekannt“, sagt Prof. Peter Lichter vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Die Forscher um Lichter wollten herausfinden, wie sich der Verlust dieser Enzyme auf die Zelle auswirkt. Hierfür schalteten sie in Glioblastom-Zellen von Patienten mit spezifischen RNA-Sonden jedes der Kinase-Gene einzeln aus. Dabei erwiesen sich ca. 80 der Enzyme als unentbehrlich für die Lebensfähigkeit und das Wachstum der Glioblastomzellen.
Die untersuchten Tumoren wurden, anhand differenzierter Merkmale, zwei verschiedenen molekularen Gruppen zugeordnet, den sogenannten mesenchymalen und den proneuralen Gliomen. Jeder dieser beiden Tumor-Typen, so zeigte sich, ist für sein Überleben auf ein spezifisches Set von Kinasen angewiesen. Kennzeichnend für alle zwölf untersuchten Proben der besonders aggressiven mesenchymalen Gruppe war eine starke Überproduktion der Kinase AXL, die bei proneuralen Gliomen oder in gesunden Gehirnzellen nicht zu beobachten waren. Wird AXL ausgeschaltet, sind Zellen mesenchymaler Glioblastome empfindlicher für Apoptose und bilden weniger Tochterkolonien. Diese Auswirkungen zeigen Krebszellen der proneuralen Gruppe nicht. Wirkstoffe gegen AXL werden gegen Blutkrebs bereits klinisch erprobt. Das Forscher-Team fand heraus, dass mesenchymale Glioblastomzellen in der Kulturschale gut auf die Behandlung mit diesen Substanzen ansprechen.
Die Zellkultur-Versuche wurden an sogenannten Neurosphären durchgeführt. Dazu werden Zellen aus dem Tumor eines Patienten in der Kulturschale mit bestimmten Wachstumsfaktoren gezüchtet. Die in der Zellmischung vorhandenen Krebs-Stammzellen bilden im Nährmedium dreidimensionale gewebeartige Strukturen, die eine vergleichbare Zellzusammensetzung wie der ursprüngliche Tumor besitzen. Sie sind daher besonders geeignet, um die Wirksamkeit von Medikamenten oder Wirkstoffkombinationen ohne den Einsatz von Tieren zu testen. Mäuse, denen Glioblastome übertragen wurden, lebten länger ohne Tumorsymptome, wenn in den Krebszellen AXL stillgelegt war. Jedoch entwickelten auch diese Tiere später, nach etwa einem Monat, Tumoren – ein Hinweis darauf, dass die Kinase das Krebswachstum, nicht aber die Krebsentstehung reguliert.
Bei Analysen in molekularen Datenbanken entdeckten die Forscher bei anderen Hirntumoren sowie auch bei Bauchspeicheldrüsen-, Darm- und Eierstockkrebs Fälle mit AXL-Überexpression – die in der Regel mit einer ungünstigen Prognose einhergingen. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es sich lohnen könnte, den AXL-Inhibitor gegen Gliobastome der mesenchymalen Gruppe klinisch zu erproben“, sagt Lichter. „In diesem Fall wäre wahrscheinlich die Kombination mit anderen Wirkstoffen sinnvoll, um Resistenzentwicklungen von vornherein zu vermeiden.“ Originalpublikation:
Kinome-wide shRNA Screen Identifies the Receptor Tyrosine Kinase AXL as a Key Regulator for Mesenchymal Glioblastoma Stem-like Cells
Peng Cheng et al.; Stem Cell Reports, doi:10.1016/j.stemcr.2015.03.005; 2015