Eine Befragung unter Eltern ergab: Kinder seien durch die Masken weniger fröhlich und häufiger gereizt. Furchtbar? Das ist für mich hier eher das Studiendesign.
Die Co-Ki-Studien laufen nun seit Mitte des vergangenen Jahres und bestehen aus einem Komplex aus Studien rund um „Corona bei Kindern“, so dass Akronym. Fallzahlen werden erfasst, Einzelfälle ausgewertet, Schulen befragt. Ein Teil des Komplexes beschäftigt sich mit den Mund-Nase-Bedeckungen (im weiteren „Maske“), erste Ergebnisse liegen nun vor.
In der Monatsschrift Kinderheilkunde, Band 169, Heft 4, April 2021, veröffentlichte die Arbeitsgruppe um Silke Schwarz und David Martin von der Uni Witten/Herdecke Daten des deutschlandweiten Registers zum Tragen von Masken im Kindesalter. Hierbei wurden seit Oktober Daten über eine Online-Befragung erhoben, an denen sich Eltern, Arztpraxen, LehrerInnen und andere beteiligen konnten. Über 20.000 Einträge sind ausgewertet, dies sind die Zahlen alleine der ersten Woche des Launches der Befragungswebsite (20.10.–26.10.2020). Der vorliegende Artikel wertet die Einträge der größten Gruppe (87,7 %) aus – der Eltern.
Die AutorInnen des Artikels werten ihre Ergebnisse als „ernsthaftig“, da immerhin 23 % der Teilnehmer einer Nachverfolgung mittels E-Mail zustimmten und außerdem die gleichmäßige Verteilung der Einträge auf die Bundesländer die Bevölkerungsdichte wiederspiegelte. Sie räumen ein, dass 38,5 % der Teilnehmenden einen Hochschulabschluss hatten – ein Hinweis, „dass das Register als Online-Variante und durch die Komplexität nicht allen Personengruppen gleich zugänglich war.“ Außerdem sei es nicht auszuschließen, dass „ein verzerrtes Berichten auch im Hinblick auf die präferenzielle Dokumentation besonders schwer betroffener Kinder“ erfasst werde. Anders ausgedrückt: Wer schlechte Erfahrungen macht, motzt mehr.
Sie erkennen auch, dass die Werbung für das Register via Social Media in Foren landete, die grundsätzlich die Corona-Schutz-Maßnahmen der Regierung ablehnten. Außerdem gäbe es naturgemäß keine Kontrollgruppe. Andererseits berichten TeilnehmerInnen, dass ihre Kinder eben keine Beschwerden hatten, was für eine breite Streuung der TeilnehmerInnen spreche, auch bei Befürwortern der Masken.
Den StudieninitiatorInnen gebührt für die Aufnahme ihrer Mammutaufgabe der Co-Ki-Studien ausreichend Respekt. Immerhin versuchen sie, einen Weg zu finden, die Kritik am Maskentragen bei Kindern zu objektivieren. Das vorliegende Register kann bis dato nur eine Sammlung an Symptomen sein, mehr nicht, aber auch nicht weniger. „Naturgemäß kann ein offen zugängliches Register niemals alle Eingaben ärztlich gegenvalidieren.“
Dies illustrieren sie sehr transparent und altruistisch in der Diskussion und der Schlussfolgerung des vorliegenden Artikels. Es erfolgt keine plakative Negativbewertung des Maskentragens, explizit: „Sehr wichtig ist uns, dass unsere Ergebnisse nicht dazu führen, dass Eltern grundsätzlich eine negative Meinung zum Maskentragen bei Kindern entwickeln“, vielmehr appellieren sie an eine positive Grundhaltung der Eltern zu den Masken, um „Nocebo-Effekte zu vermeiden“.
Dennoch möchte ich hier Wasser in den süffigen Wein gießen. Das Framing, das Tragen von Masken in kritischem Licht zu sehen, schimmert an vielen Stellen der Studie durch. Wer die Fragebögen selbst einmal online durchgearbeitet hat, dem fällt auf, dass die Negativaussagen überwiegen (sie sind vorgegeben), dass die Auswahl mit den Nebenwirkungen sichtbar (und anklickbar) bleibt, obwohl zuvor „keine Beeinträchtigung“ ausgewählt wurde. Ob diese Fragebögen später nicht gewertet wurden, ist nicht bekannt, im Artikel wird das nicht erwähnt. Wie die AutorInnen selbst bemerken, gibt es keine Kontrolle über die Seriösität der Angaben, auch wiederholtes Ausfüllen der Fragebögen oder mit „imaginären Kindern“ wird nicht (z. B. wenigstens durch Cookies) unterbunden.
Die Werbung für die Co-Ki-Studien erfolgte vielfach über Kinder- und JugendärztInnen, das ist naheliegend. Als ich das erste Mal davon erfuhr (über das Kinderarzt-Intranet Pädinform), bewarben vor allem kritisch eingestellte KollegInnen die Befragung. Dass die Universität Witten-Herdecke den Anthroposophen nahesteht, ist allgemein bekannt, die werbenden KollegInnen taten dies auch. Die AutorInnen des vorliegenden Artikels Silke Schwarz und David Martin sind selbst im „Arbeitskreis anthroposophischer Schul- und Kindergartenärzte“, der an anderer Stelle postuliert: „Entsprechend halten wir das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei Kindern bis zum Alter von 10 Jahren generell nicht für sinnvoll. Wo dies dennoch Vorschrift ist, lohnt es sich, diese mit Blick auf die dafür fehlende medizinische Evidenz für das Kindesalter im Dialog mit den zuständigen Kultusministerien infrage zu stellen.“ Schwarz gehört auch zu den UnterzeichnerInnen eines offenen Briefes im August 2020 an die NRW-Gesundheitsministerin gegen die Maskenpflicht, in dem es heißt: „Gesunde Kinder könnten mit dem Durchleben dieser Erkrankung relevant zum Schutz ihrer Mitmenschen beitragen […].“
Und – Schwarz et al. bemerken es selbst in ihrer Diskussion – der Link zum Register kursierte sehr schnell in regierungskritischen Internet-Foren, Anthroposophie.blog recherchierte bereits im November 2020 dazu. Wer also Kritik an Masken oder überhaupt an den Maßnahmen der Bundesregierung „wissenschaftlich“ unterfüttern wollte, musste nur mehrfach die Befragungsseite mit mehreren Kinder nutzen, so können auch Zahlen entstehen. Da wirkt das Statement der beiden HauptautorInnen Schwarz und Martin auf der offiziellen Website zur Co-Ki-Studie beinahe verzweifelt rechtfertigend: „Wir erforschen die aktuelle Situation neutral und werden die Ergebnisse peer reviewed veröffentlichen. Wir sind keine Maskengegner und gehören keiner politischen Richtung an.“
Zuletzt eine persönliche Anmerkung, ganz im Sinne der anekdotischen Relevanz: Ich leite eine kinder- und jugendärztliche Praxis mit ungefähr 2.000 Patienten pro Quartal. Kinder und Jugendliche besuchen unsere Sprechstunde, teils mit Masken, teils ohne (wenn sie unter 6 Jahre alt sind). Auch kleinere Kinder tragen die MNS mitunter wie selbstverständlich, die Eltern fordern sie dazu auf und bestärken sie positiv. Wir hatten in den zwei vergangenen Quartalen genau drei Anfragen wegen eines ärztlichen Attestes. Dreimal handelte es sich um entwicklungsverzögerte, alternativ begabte Kinder, die das Tragen der Masken im Unterricht oder ihrer Betreuungsgruppe nicht toleriert hätten.
Bei Vorsorgeuntersuchungen U10 und U11, den Schulkindern, fragen wir aktuell immer nach den Einschränkungen durch die Coronamaßnahmen, Homeschooling und das Masketragen. Es wird mitunter von „Nebenwirkungen“ wie den oben genannten berichtet, aber niemand zweifelt die Notwendigkeit des Maskentragens an. Dass in der *momentanen Situation* die Kinder und Jugendlichen „häufiger gereizt“ oder „weniger fröhlich“ sind, liegt auf der Hand. Wem geht es nicht so?
So kann man viele der unspezifischen Beobachtungen auch auf die allgemeine Lage zurückführen und sie sind nicht alleine dem Tragen eines MNS geschuldet. Ach ja, wann gibt es eigentlich eine entsprechende Befragung zum Tragen einer Zahnspange, dem Anschnallgurt im Auto oder – noch polemischer – dem Fahrradhelm?
Bildquelle: David Ramos, Unsplash