Bin ich als Arzt rechtlich abgesichert, wenn ich gegen COVID-19 impfe? Medizinrechtler listen Punkte, die jeder Impfende für sich prüfen sollte.
Stetig kommen neue Impfstoffe gegen COVID-19 auf den Markt, neue Daten zu Impfschutz und Nebenwirkungen und auch die Empfehlungen, wer welches Vakzin erhalten sollte, haben sich verändert. Inwiefern wirken sich diese Entwicklungen auf die rechtliche Sicherheit derjenigen aus, die Vakzine verimpfen, also die Ärzte? Darüber haben wir mit Medizinrechtlern gesprochen.
Aus juristischer Sicht sind hierzulande zwei Szenarien ganz besonders interessant für Mediziner. Beginnen wir mit der Booster-Impfung bei Menschen unter 60 Jahren, nachdem der Patient die erste Impf-Dosis mit dem AstraZeneca-Impfstoff erhalten hatte. Hier haben sich die Empfehlungen geändert, nachdem es zu Fällen von Sinusvenenthrombosen nach einer Impfung mit dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca gekommen war.
Die STIKO und die Gesundheitsministerkonferenz gehen hier den deutschen Sonderweg und empfehlen das Auffrischen nach 12 Wochen mit dem Biontech-Impfstoff. Eine Datengrundlage für diese Empfehlung fehlt allerdings. Zwar wird die Thematik aktuell in der britischen ComCov-Studie untersucht, Ergebnisse gibt es aber noch keine – außerdem ist die Reihenfolge hier andersrum, als Erstdosis wird also der mRNA-Impfstoff verabreicht, dann folgt das Vektor-Vakzin.
Ärzte haben in dieser Situation also zwei Möglichkeiten: Entweder sie boostern gemäß Zulassung, aber gegen die STIKO-Empfehlung, mit AstraZeneca. Oder sie folgen der STIKO-Empfehlung und impfen off-label mit einem mRNA-Impfstoff.
Das zweite Szenario: Der Impfling ist unter 60 Jahre alt und sollte der STIKO-Empfehlung zufolge keine Impfung mit AstraZeneca erhalten. Dennoch möchte er nach dem Aufklärungsgespräch mit seinem Arzt das Vektor-Vakzin verabreicht bekommen.
In allen Fällen stellt sich die Frage: Was muss der Arzt tun, um rechtlich abgesichert zu sein, sollte es zu Impf-Schäden kommen? Auf DocCheck-Anfrage an das Bundesgesundheitsministerium erhielten wir keine Antwort zur Fragestellung. „Hier können wir nicht weiterhelfen, zu Fragen des Haftungsrechts hat das Robert Koch-Institut keine regulatorischen Aufgaben“, antwortete uns die Pressestelle des RKI. Wie schätzen also Medizinrechtler die Lage ein?
Ist man als Arzt bei der Impfung gegen COVID-19 auf der sicheren Seite? „Jein – nicht automatisch“, sagt Rechtsanwalt Sven Wilhelmy aus Köln. „Jede Impfung ist auf den ersten Blick eine Körperverletzung. Sie wird erst dadurch legitimiert, indem ich als Patient in den Eingriff einwillige“, stellt er klar. Wilhelmy ist spezialisiert auf Arzthaftungsrecht. „Damit das geht, muss ich als Patient über alle relevanten Aspekte der Behandlung aufgeklärt werden, um eine Entscheidung treffen zu können.“ Und genau hier kommt der Arzt ins Spiel, der den Patienten über alle Risiken umfassend aufklären muss: Gibt es alternative gleichwertige Therapien? Was sind schlimmstmögliche Komplikationen?
Selbstverständlich kann ein Arzt nur über die Risiken aufklären, die zum Zeitpunkt der Behandlung allgemein bekannt sind. Dabei spiele der Zeitpunkt der Behandlung eine wesentliche Rolle. „Was ist mein Kenntnisstand bei den Vakzinen heute, worüber muss ich meinen Patienten aufklären? Darüber müssen impfende Ärzte Bescheid wissen.“ Was die Corona-Impfstoffe betrifft, gebe es derzeit unterschiedliche Aufklärungsbögen bei den Vakzinen von AstraZeneca und Biontech. „Man kann die momentan kaum aktuell halten, weil sich alle paar Tage etwas am Kenntnisstand ändert“, so Wilhelmy. „Es ist daher umso wichtiger, sich nicht alleine auf die Aufklärungsbögen zu verlassen, sondern die Patienten immer persönlich über aktuelle Entwicklungen aufzuklären.“
Was bedeutet das für die eingangs erwähnten Szenarien? „Bei Impfungen sollte man sich daran orientieren, was die STIKO empfiehlt. Und die empfiehlt, Patienten unter 60 Jahren nicht den Impfstoff von AstraZeneca zu verabreichen“, sagt Dr. Alexandra Jorzig. Sie ist Fachanwältin für Medizinrecht und Professorin für Gesundheitsrecht an der IB Hochschule Berlin.
„Bei Patienten unter 60, die dennoch den Vektor-Impfstoff als Zweitdosis wünschen, muss dem Patienten klar sein, dass er eventuell Gefahr läuft, seine Ansprüche zu verwirken. Schließlich wird dieser Weg ja nicht empfohlen.“ Genau darauf muss der Behandler aber unbedingt im Aufklärungsgespräch hinweisen – nur dann handelt der Arzt richtig und sicher, wie Jorzig betont.
Wer als Mediziner also gemäß STIKO-Empfehlung als Zweitdosis nach dem Astra-Vakzin dann den mRNA-Impfstoff an unter 60-Jährige verabreicht, sollte laut Jorzig im Falle eines Impfschadens keine rechtlichen Konsequenzen zu befürchten haben. „Rein theoretisch müsste hier die STIKO haften“, so Jorzig. „Wenn die STIKO etwas empfiehlt, muss man sich als Behandler darauf verlassen können, sonst hat man gar keine Sicherheit mehr.“
Ein mündliches Gespräch ist die rechtlich notwendige Grundlage, wenn es um die Aufklärung über mögliche Risiken in Verbindung mit der Corona-Impfung geht. Doch die Expertin rät zur doppelten Absicherung: „Ich kann nur empfehlen, das schriftlich festzulegen. Der Arzt kann vom Patienten verlangen, das Schriftstück zu unterschreiben und nur dann eine Impfung vorzunehmen”, erklärt die Anwältin. „Die Aufklärung muss auch laut Patientenrechtegesetz ausführlich erfolgen. Zur Unterstützung ist zu empfehlen, die Aufklärungsmerkblätter des RKI zu nutzen.“
Ergänzend zum mündlichen Gespräch empfiehlt die Expertin Medizinern, das Gesagte schriftlich festzuhalten: „Bei der ärztlichen Aufklärung des Patienten liegt die Beweislast immer beim Arzt. Deshalb: Immer schriftlich absichern.“ Ausschließlich den schriftlichen Weg zu wählen hält sie allerdings für falsch. „Da ist man ganz schnell in der Haftung, es braucht also immer auch zwingend das Gespräch.“
Ein weiterer aus ihrer Sicht essentieller Punkt ist die optimale Versicherung für Mediziner – hier stellt sie immer wieder Handlungsbedarf fest. „Jeder Arzt sollte überprüfen, ob er für die Impftätigkeit versichert ist. In der Regel ist das Teil der Haftpflichtversicherung, aber es scheint nicht immer der Fall zu sein.“ Gerade jetzt, während der Pandemie, spiele dieser Aspekt eine große Rolle: „In Impfzentren impfen auch viele Ärzte, die ansonsten mit Impfungen nichts zu tun haben. Hier ein Mal zu viel nachzufragen, ob und inwiefern man als Arzt abgesichert ist, kann nicht schaden.“
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