Wie sieht das Medizinstudium der Zukunft aus? Mehr Allgemeinmedizin, mehr Praxis und ein anderer Zugang? Mit dem Masterplan Medizinstudium 2020 möchten Politiker Antworten finden. Doch auch die Studenten wollen mitreden und bringen sich in Stellung.
Erstes Maiwochenende, Campus Charité Mitte, die Sonne scheint. Statt in Lübeck zu entspannen, hat sich Esther zusammen mit gut 45 anderen Medizinstudierenden aus ganz Deutschland auf nach Berlin gemacht, um die studentische Konferenz der bvmd zum „Masterplan Medizinstudium 2020“ zu besuchen. Esther und die anderen haben viele Anliegen zur Verbesserung ihres Studiums: So ist der Lübecker Studentin vor allem mehr Wahlfreitheit im Praktischen Jahr wichtig, also zwei Wahlquartale statt eines Wahltertials. Jan aus Oldenburg wünscht sich mehr Kommunikationstrainings. Und Raffael aus Erlangen erhofft sich mehr gemeinsame Ausbildungsabschnitte mit anderen medizinischen Berufen wie Pflegern oder Rettungsassistenten. Ein Wunsch, der alle Besucher eint, ist es, bei der anstehenden Reform des Medizinstudiums mitreden zu können. Dass eine solche Reform bald kommt, ist schon seit dem Koalitionsvertrag der Regierung im November 2013 bekannt. Hier findet sich nicht nur das erste Mal das Begriffskonstrukt „Masterplan Medizinstudium 2020“, es sind auch schon erste Kernanliegen formuliert: Mehr Praxis und Allgemeinmedizin fürs Studium, aber auch der Zugang dorthin wird überarbeitet. Fast eineinhalb Jahre danach beginnen die zuständigen Ministerien für Gesundheit und Bildung nun, dieses Thema anzupacken. So trafen sich Anfang Mai erstmalig Vertreter von Bund und Ländern. Wie genau die Ziele der Reform umgesetzt werden sollen, steht noch nicht fest. Die Medizinstudenten haben aber schon klare Vorstellungen, wie ihr Studium zukünftig gestaltet werden soll. „Wir wollen nicht warten, bis uns die Politik ihren Masterplan Medizinstudium 2020 auferlegt, sondern von Beginn an aktiv an dieser Reform mitarbeiten“, so Simon Drees, einer der Organisatoren der studentischen Konferenz und stellvertretender Bundeskoordinator für Medizinische Ausbildung der bvmd. Antonius Ratte, ebenfalls Organisator und Bundeskoordinator für Medizinische Ausbildung, erklärt, dass „das Wochenende den Studierenden eine Austauschplattform und ein Forum zur Zusammenarbeit bietet, um sich gegenseitig zu stärken“.
Dass diese Chance zum Austausch genutzt wird, merkt man sofort: Quasi jede freie Minute verbringen die Teilnehmer damit, Ideen auszutauschen, Vorschläge zu diskutieren oder zu erklären, was ihrer Meinung nach im Studium schief läuft. So werden die Vorteile einer Quartalisierung des PJs besprochen, der Nutzen des Präparierkurses im Studium gegen den Aufwand abgewogen oder Kriterien für den Zugang zum Medizinstudium debattiert. Dabei bleiben die Mediziner von Morgen nicht nur unter sich: Prof. Heinze, Leiter des Ausschusses Medizin im Wissenschaftsrat, stellt die Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Deutschland vor. Wie auch die bvmd, spricht sich der Wissenschaftsrat für eine kompetenzbasierte Lehre und die Stärkung der Wissenschaftlichkeit im Studium durch eine verpflichtende Projektarbeit aus. Weiter sollen zukünftig Fächer eher organzentriert sowie eine stärkere Verschränkung von Vorklinik und Klinik angestrebt werden. Außerdem spricht sich der Wissenschaftsrat, ganz zur Freude von Esther, für mehr Wahlfreiheit im PJ durch eine Quartalisierung aus. Die Teilnehmer der bvmd-Konferenz.
„Das Studium muss nicht aus politischen, sondern vornehmlich aus inhaltlichen Gründen reformiert werden“, erklärt Tabea Schmidt-Ott, eine der drei Organisatoren und stellvertretende Bundeskoordinatorin für Medizinische Ausbildung. „Wir wollen am Prozess beteiligt werden und unseren eigenen Input über die Ziele der Bundesregierung hinaus mit in die Reform geben.“ Welche inhaltliche Vielfalt die eingeforderte studentische Partizipation hervorbringt, erkennt man leicht, wenn man die Studierenden nach ihren Wünschen und Vorstellungen fragt: Marius aus Ulm wünscht sich die Digitalisierung von Vorlesungen durch flächendeckende Podcasts – jederzeit verfügbar, wenn Studierende sie brauchen und nicht wenn die Professorin mal Zeit hat. Der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog der Medizin (NKLM) ist Sara aus Berlin für die Weiterentwicklung des Medizincurriculums besonders wichtig. Bei einem ständig wachsenden Wissen in der Medizin hilft es nicht mehr, alle Fakten zu lernen – man braucht Werkzeuge, um sich die wichtigsten Informationen selbst aneigenen zu können. Das könnte Zeit für Christophs Wunsch schaffen: „Mehr Freiraum für persönliche Interessen“ fordert der Freiburger Medizinstudent.
Doch diese Interessen wollen auch finanziert werden. So ist Antje aus Kiel eine bundeseinheitliche Aufwandsentschädigung mit Bindung an den BaföG-Höchstsatz im Praktischen Jahr ein großes Anliegen. Während dieses letzten stressigen Studienabschnittes haben Studierende einfach keine Chance, sich ihren Lebensunterhalt anderweitig zu verdienen. Aber die Teilnehmer haben sich nicht nur zum Ende des Studiums Gedanken gemacht. So ist Leonore aus Bochum der Meinung, dass die Abiturnote nicht das einzige Kritierium für die Auswahl zukünftiger Studierenden sein darf. Mit dieser Forderung ist sie nicht allein: Auf ihrer letzten Mitgliederversammlung in Mannheim verabschiedete die bvmd ein Positionspapier zum Auswahlverfahren zum Medizinstudium. Dieses fordert, die Abibesten- und die Wartezeitquote abzuschaffen und in ein neues Verfahren zu überführen. Da Abiturienten mittlerweile bis zu 13 Semester – also mehr als die Medizin-Regelstudienzeit – auf einen Medizinstudienplatz warten müssen, spricht sich die bvmd dafür aus, neben der Abiturnote auch einen Studierfähigkeitstest sowie eine eventuelle Berufsausbildung und ein eventuelles FSJ in die Auswahlkriterien miteinzubeziehen. Ein neues Auswahlverfahren soll dann bundeseinheitlich gelten, um einerseits die Bewerbung zu erleichtern, andererseits die Ortspräferenz nicht mehr als Strategiespiel nutzen zu müssen.
„Ein neues Auswahlverfahren muss evidenzbasiert, objektiv, kostenlos und frei von unsachlichen Auswahlkriterien wie Alter, Herkunft oder Geschlecht sein“, unterstreicht Tabea Schmidt-Ott, selbst Medizinstudentin in Oldenburg. Sie fasst die Forderungen der studentischen Konferenz so zusammen: „Ein moderenes Curriculum ist kompetenzbasiert, patientenbezogen und interprofessionell. Es stärkt die wissenschaftliche Kompetenz und wird ständig evidenzbasiert erneuert.“ Nach drei Tagen studentischer Konferenz sammeln sich Esther, Jan, Raffael und alle anderen Teilnehmer in einem Hof des Charite-Campus. Ihre Forderungen sollen über das Wochenende hinaus dauern. So formuliert jeder einzelne von ihnen seine Wünsche und Vorstellungen für den „Masterplan Medizinstudium 2020“, wobei dieses Video entsteht. https://www.youtube.com/watch?v=NRsKpQMcjbg