Pilze statt Pillen – das klingt abgedrehter, als es ist. Denn Magic Mushrooms können es durchaus mit Antidepressiva aufnehmen. Psilocybin wirkt neuen Daten zufolge genauso gut wie Medikamente.
Psilocybin, die psychoaktive Substanz in sogennanten Magic Mushrooms, scheint bei Depression so gut zu wirken wie ein handelsübliches Antidepressivum. Das zeigt jetzt erstmals eine Phase-2-Studie. Wie schafft das Halluzinogen das? Und bricht nun ein neues Behandlungszeitalter an?
In der Studie von Carhart-Harris et al., die im NEJM erschienen ist, erhielten 59 Probanden mit langjähriger mittelschwerer bis schwerer Depression über 6 Wochen entweder Psilocybin oder Escitalopram, einen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Die Patienten erhielten dabei entweder zwei separate Dosen von 25 mg Psilocybin im Abstand von 3 Wochen plus 6 Wochen tägliches Placebo (Psilocybin-Gruppe) oder zwei separate Dosen von 1 mg Psilocybin im Abstand von 3 Wochen plus 6 Wochen tägliches orales Escitalopram (Escitalopram-Gruppe). Alle Patienten erhielten zusätzlich psychologische Unterstützung.
25 mg Psilocybin gilt als mittlere bis hohe Dosis mit halluzinogener Wirkung. Die Probanden nahmen die Dosen daher unter Beaufsichtigung von mindestens einem Psychiater in möglichst entspannter Umgebung ein. Die Teilnehmer waren dazu angehalten, sich hinzulegen, ihre Augen zu bedecken und entspannende Musik zu hören.
Die niedrige Dosis von 1 mg Psilocybin in der Escitalopram-Gruppe statt eines weiteren Placebos wurde gewählt, um einen möglichen Nocebo-Effekt zu verhindern: Probanden, die keine Wirkung der halluzinogenen Droge verspüren, könnten enttäuscht sein, dass sie sich in der Vergleichs-Gruppe befinden. Das könnte sich negativ auf ihre Stimmung auswirken.
Anhand eines Fragebogens wurde die Schwere der Depression zu Studienbeginn eingeschätzt (Quick Inventory of Depressive Symptomatology (QIDS-SR16)). Ein höherer Score auf einer Skala zwischen 0 und 27 deutet dabei auf eine schwerere Depression hin. Nach 6 Wochen untersuchten die Forscher, ob sich der Score geändert hat. Außerdem führten sie 10 weitere Tests zum Wohlbefinden durch, darunter einen, der das Angstniveau erfasste, der das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen und mit der Natur messen sollte und einen weiteren, der die Funktionalität bei der Arbeit und im sozialen Umfeld beurteilte.
Der mittlere QIDS-SR-Score bei Studienbeginn lag bei 14,5 in der Psilocybin-Gruppe und 16,4 in der Escitalopram-Gruppe. Die mittleren Veränderungen des Scores bis Woche 6 betrugen -8,0 Punkte in der Psilocybin-Gruppe und -6,0 in der Escitalopram-Gruppe. Der Unterschied in beiden Gruppen war nicht statistisch signifikant. Damit schnitt Psilocybin zwar nicht besser ab als das etablierte Antidepressivum – aber eben auch nicht schlechter. Interessanterweise zeigte sich bei fast allen der anderen 10 Tests zudem ein größerer Nutzen von Psilocybin als von Escitalopram.
„Die Remedikalisierung von Psilocybin und verwandten Drogen ist das interessanteste Projekt der zeitgenössischen Psychiatrie“, sagt Guy Goodwin, emeritierter Professor für Psychiatrie an der Oxford-Universität. Die vorliegende Studie sei allerdings kein Quantensprung: „Sie ist underpowered und beweist nicht, dass Psilocybin eine bessere Behandlung ist als die Standardbehandlung mit Escitalopram bei schwerer Depression. Sie bietet jedoch verlockende Hinweise, dass das so sein könnte.“ Die Studie unterstreiche den Punkt, dass die Forschung auf dem Gebiet der Depression bisher zu sehr von der Bewertung einzelner Symptome getrieben wurde, anstatt die Rückkehr der positiven Stimmung und des Wohlbefindens der Patienten zu untersuchen, so Goodwin.
Die Ursache für die Entstehung einer Depression sind komplex und nach wie vor nur teilweise geklärt. So ist zwar gesichert, dass Neurotransmitter bei Depression eine wichtige Rolle spielen. Doch das Nichtansprechen von rund einem Drittel aller Patienten auf Medikamente, die in das Transmittersystem eingreifen, deutet darauf hin, dass noch andere Ursachen vorliegen.
So sieht es auch Seniorautor der Studie Robin Carhart-Harris, Psychologe und Neurowissenschaftler. Er will auch eine Erklärung für die Wirkung des Psilocybins bei Depressionen parat haben. Aufnahmen des Gehirns zusammen mit den gesammelten Daten scheinen Folgendes zu zeigen: „SSRI dämpfen Emotionen, indem sie die Reaktionsfähigkeit des Stress-Schaltkreises des Gehirns reduzieren und so helfen, die depressiven Symptome zu lindern“, erklärt Carhart-Harris. Psilocybin hingegen wirke nicht dämpfend sondern scheint „das Denken und Fühlen zu befreien.“ Was hier eher nach spiritueller Weisheit klingt, scheint aber tatsächlich auch wissenschaftlich erklärbar zu sein.
„Psilocybin tut dies, indem es Teile unseres Gehirns ‚dysreguliert‘.“ Genauer gesagt geht es um das Claustrum, einen Hirnteil zwischen dem Neocortex und Striatum. Veränderungen im Aktivitätsniveau des Claustrums werden mit verschiedenen Bewusstseinszuständen in Verbindung gebracht. Möglicherweise orchestriert das Claustrum die Integration von bewussten Wahrnehmungsinhalten in verschiedene corticale Regionen.
Psilocybin dämpft laut einer Studie wahrscheinlich die sogenannte Gate-Keeper-Funktion des Claustrums, was zu einem Verlust der organisierten Gehirnaktivität führt. Eine solche Dysregulation erhöht die Konnektivität zwischen Hirnregionen, die sonst nicht miteinander verbunden sind, was eine Veränderung des Bewusstseins bewirkt. In Kombination mit Psychotherapie scheint diese uneingeschränkte Interaktion zwischen Hirnregionen dabei zu helfen, gewohnheitsmäßige Denk- und Verhaltensmuster zu durchbrechen.
„Wenn diese Entkopplung von festgefahrenen Denk- und Gefühlsmustern zusammen mit professioneller psychologischer Unterstützung stattfindet, dann ist das Ergebnis eine neue Perspektive auf die Dinge und psychologisches Wachstum“, sagt Carhart-Harris. Dass psychedelische Drogen als Verstärker von Psychotherapie wirken könnten, hatten auch schon frühere Studien gezeigt. Auch hier lautet die Erklärung, dass sie die Offenheit für intensive Gefühle fördern und neue Sichtweisen auf frühere und aktuelle Verhaltensweisen ermöglichen.
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