Erst 1.300 der 200.000 eingekauften Antikörper-Dosen kamen bisher gegen COVID-19 zum Einsatz. Jetzt wurde erneut eingekauft. Das Problem mit dem Verabreichungszeitpunkt soll nun gelöst werden – durch ambulante Ärzte.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) stockt seinen Bestand an SARS-CoV-2-Antikörpern auf, die zur Frühtherapie bei COVID-19 in Risikokonstellationen genutzt werden. Schon im Januar wurden drei Antikörper-Medikamente gekauft, jetzt wird mit Etesevimab ein vierter beschafft. Das Medikament soll voraussichtlich ab Ende April zur Verfügung stehen, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit.
Bisher wurden für Deutschland insgesamt 200.000 Dosen Antikörper eingekauft. Dabei handelt es sich um die Mittel Casirivimab und Imdevimab, die nur gemeinsam appliziert werden dürfen, sowie Bamlanivimab, das bislang sowohl allein als auch in Kombination mit Etesevimab eingesetzt werden durfte.
In den USA hat sich das jetzt aber geändert: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat dem Antikörper-Medikament Bamlanivimab vor einigen Tagen die Notfallzulassung für die Monotherapie wieder entzogen. Grund dafür ist, dass sich dort resistente Virus-Varianten von SARS-CoV-2 verbreitet haben, gegen die das Medikament allein nicht mehr ausreichend wirksam ist. Somit habe es bei einer Monotherapie eine negative Nutzen-Risiko-Bilanz, schreibt die FDA in ihrer Begründung.
Der Einsatz der Kombination mit Etesevimab bleibt weiterhin erlaubt. Daher setzt auch das BMG jetzt auf die Kombination dieser beiden Präparate. Relevant ist das weniger bei der derzeit in Deutschland prävalenten Virusvariante B.1.1.7 als vielmehr bei der Südafrika-Variante B.1.135, die Escape-Mutationen besitzt, die den Antikörpern das Leben schwer machen. Die individuellen Sensibilitäten der Varianten auf Antikörper und Antikörper-Kombinationen gehen auch aus dieser RKI-Tabelle hervor. Das Paul-Ehrlich-Institut weist zudem darauf hin, dass insbesondere immunsupprimierte Patienten möglicherweise mit Antikörper-Kombinationen besser bedient sind.
Empfohlen wird laut US-National Institutes of Health eine Kombination aus Bamlanivimab (700 mg) plus Etesevimab (1.400 mg). Wie viele Dosen des neuen Antikörpers Etesevimab sich das BMG gesichert hat, ließ das Ministerium auf eine Anfrage der Pharmazeutischen Zeitung offen.
Bislang kommen monoklonale Antikörpern bei COVID-19-Patienten hierzulande nur selten zum Einsatz. Von den 200.000 Dosen wurden bis zum 13. April 2021 nur rund 1.300 Dosen angewendet, wie Medical Tribune berichtet. Diese Zahlen sollen jetzt deutlich gesteigert werden, zumindest wenn es nach Jens Spahn geht.
Ein Grund dafür, warum es bisher schwierig war, die Antikörper in die Anwendung zu bringen, ist, dass sie in Krankenhäusern zum Einsatz kommen. De facto sind es aber Frühmedikamente, die möglichst rasch nach Infektion gegeben werden sollten. Genau für solche Situationen sind die Studiendaten auch sehr gut, bei einer späteren Gabe dagegen nicht mehr. Tatsächlich wurde genau auf dieses Problem schon beim Erwerb der ersten Antikörper vielfach hingewiesen. Damals haben allerdings nicht zuletzt Krankenhausärzte gegen einen ambulanten Einsatz lobbyiert. Mittlerweile kommt auch von Krankenhausseite der Vorschlag, die Antikörper doch lieber ambulant einzusetzen.
Damit das geht, bringt Spahn eine neue Vergütungsverordnung auf den Weg, die die Anwendung dieser (bisher nicht zugelassenen) Arzneimittel nach individueller Nutzen-Risiko-Einschätzung durch den behandelnden, ambulanten Arzt ermöglicht. Der vom BMG vorgelegte Referentenentwurf zur Monoklonalen Antikörper-Verordnung, kurz MAK-VO, soll Ärzten mehr Sicherheit bei der Verordnung geben und so den Einsatz ankurbeln.
Seit einigen Tagen wird sich über die neue Regelung mit den Verbänden abgestimmt. Im Detail ist eine Honorierung von 450 Euro pauschal je Einzelfall vorgesehen. Außerdem soll der Proteom-Urin-Test DiaPat-CoV-50 mit 900 Euro erstattet werden. Dieser Test soll – in Ergänzung zu klinischen Risikokriterien – dazu beitragen, geeignete Patienten für die Antikörpertherapie zu identifizieren. Der Test ist allerdings umstritten und ihn durchzuführend soll auch nicht verpflichtend sein.
Von Spahns MAK-VO-Vorstoß sind manche Verbändevertreter wenig begeistert. Für den Verband der Ersatzkassen (VDEK) ist die Angelegenheit heikel: Der Einsatz dieser Arzneimittel zur Antikörpertherapie sei bislang weder von der EU zugelassen, noch sei der medizinische Nutzen ausreichend nachgewiesen. Auch unter Pandemiebedingungen müssten neue Behandlungsmethoden einen medizinischen Nutzen für Patienten haben und zugelassen sein, bevor sie für mehreren Millionen Euro eingekauft würden, so Vorsitzende Ulrike Elsner. Deshalb dürfe es sich bei dem Einsatz nur um eine vorübergehende Regelung handeln.
Die Kritik des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (EbM-Netzwerk) geht noch weiter: Es sei ein potenziell „schädlicher Fehlanreiz“, wenn vonseiten des BMG eine Vergütung und damit indirekt eine Behandlungsempfehlung für SARS-CoV-2-neutralisierende Antikörpertherapien etabliert werde. Das ist allerdings etwas schief: Eine Vergütungsoption ist keine Behandlungsempfehlung, nicht direkt und nicht indirekt. Entscheiden muss und wird der behandelnde Arzt.
Das EbM-Netzwerk will in jedem Fall mehr Studien zu Antikörpern: „Wünschenswert sind Anreize zur Teilnahme deutscher Zentren an internationalen, aussagekräftigen Studien zum Nutzen und Schaden solcher Therapie“, heißt es in der Stellungnahme des Netzwerks. Studienfreier Raum ist die Antikörpertherapie allerdings keinesfalls, sonst gäbe es die FDA-Notfallzulassungen nicht. Bisherige Daten sprechen bei frühem Einsatz für weniger Krankenhauseinweisungen und eine geringere Sterblichkeit.
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