Zur Astra-Impfung und der Entstehung von Thrombosen gibt es neue Erkenntnisse. Deutsche Forscher wissen jetzt, was genau bei diesen Patienten im Körper geschieht.
Mittlerweile wurden in Deutschland 59 Fälle von Hirnvenenthrombosen und 24 Fälle von splanchnischen Venenthrombosen nach einer Impfung mit dem Vektor-Impfstoff Vaxzevria® von AstraZeneca erfasst. Aus anderen Ländern ist bekannt, dass es auch nach der Vektorvakzine von Johnson & Johnson zu Thrombosen dieser Art kommen kann. Dieser Vektor-Impfstoff wurde in Deutschland noch nicht eingesetzt – bekam aber von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) gestern grünes Licht für die Markteinführung in Europa. Vorgeschrieben sind nun Warnhinweise auf Thrombozytopenien und die seltenen Thromboseformen in den Fachinformationen der Impfstoffe.
Als die ersten Nachrichten über Sinusvenenthrombosen nach der Impfung aufkamen, meldete sich kurze Zeit später die Greifswalder Arbeitsgruppe um den Hämatologen Andreas Greinacher zu Wort. Die Forscher hätten die Ursache für die seltenen Hirnvenenthrombosen gefunden. Es handele sich um eine Immunantwort auf das Vakzin, die bei einigen Menschen zu einer Aktivierung der Thrombozyten führe.
Bei den Geimpften, bei denen es zu diesen Nebenwirkungen kam fanden die Forscher hohe Titer von Antikörpern, die sich gegen den Plättchenfaktor 4 (PF4) richten. Dieser bindet an Oberflächen von Pathogenen und markiert sie so für das Immunsystem. Heften sich nun Anti-PF4-Antikörper an diesen Komplex, so wird eine Immunreaktion ausgelöst, bei der die Blutplättchen aktiviert werden.
Ein bekanntes Beispiel für eine solche Reaktion ist die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), bei der PF4-Moleküle an Heparin binden. An diesen Komplex binden dann wiederum Anti-PF4-Antikörper, die den oben beschriebenen Mechanismus in Gang setzen. Daran orientierend wird die Impfnebenwirkung mittlerweile auch als vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT) bezeichnet. Welcher Bestandteil der Impfstoffe hier jedoch die Rolle von Heparin übernimmt, war bisher noch unklar.
Jetzt hat die Arbeitsgruppe aus Greifswald einen neuen Fachartikel – zunächst als Preprint – auf der Online-Plattform „Research Square“ veröffentlicht. In einer Pressekonferenz berichteten die Wissenschaftler gestern von ihren Ergebnissen.
Zunächst haben die Forscher die genaue Zusammensetzung des Vakzins von AstraZeneca analysiert. Neben den Adenoviren sollen auch zahlreiche menschliche Proteine enthalten sein, die von der Anzucht der Vektorviren in menschlichen Zellen stammen. Außerdem findet sich der Komplexbildner Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) in dem Impfstoff.
Wie auch bei der HIT kommt es bei der VITT zur Bildung eines sogenanten Neoantigens, also eines neuen Angriffspunkts für Antikörper. Nach der Impfung werden die Thrombozyten am Injektionsort aktiviert, und setzen dann PF4 frei. Dieser bildet dann zusammen mit Bestandteilen des Impfstoffs Aggregate, in denen auch Adenovirus-Proteine enthalten sind. Zeitgleich erhöht EDTA die Gefäßdurchlässigkeit am Injektionsort, wodurch die im Impfstoff enthaltenen Proteine vermehrt ins Blut gelangen.
Dort werden diese Proteine und Aggregate von IgG-Antikörpern erkannt und es entstehen Immunkomplexe.
Dieses Entzündungsgeschehen führt der Arbeitsgruppe zufolge zu den akuten Impfreaktionen wie Fieber und Schüttelfrost und stellt wahrscheinlich ein wichtiges Co-Signal für die Produktion von Anti-PF4-Antikörpern durch B-Zellen dar. Die Anti-PF4-Antikörper im Blut von VITT-Patienten binden und clustern dann PF4 auf der Oberfläche von Thrombozyten und aktivieren sie. Durch die Interaktion zwischen Antikörpern, Thrombozyten und PF4 mit neutrophilen Granulozyten kommt es schließlich zur NETose. Extrazelluläre DNA in den NETs bindet weiter PF4 und die resultierenden DNA/PF4-Komplexe rekrutieren weitere Anti-PF4-Antikörper, es kommt zu einer massiven Fcγ-Rezeptor-abhängigen Aktivierung weiterer Immunzellen. Blutplättchen werden so aktiviert, verklumpen und setzen gerinnungsfördernde Substanzen frei – es kommt zu Thrombosen.
Ein wichtiger natürlicher Regulator dieses Prozesses sind extrazelluläre DNasen, die NETs abbauen. Die Arbeitsgruppe fand heraus, dass die DNase-Aktivität bei VITT-Patienten mit Thrombosen deutlich reduziert war. Das begünstigte wahrscheinlich die Akkumulation von NETs und DNA und führte letztendlich zu einer deutlichen Aktivierung des Gerinnungssystems.
Das enthaltene EDTA verstärke den Kontakt der Impfstoffbestandteile mit den Blutplättchen nach der intramuskulären Injektion. Auch die Rolle der menschlichen Proteine, die in der Astra-Zeneca-Vakzine gefunden wurden, wollen die Forscher noch näher untersuchen.
Welche Bestandteile des Impfstoffs nun genau diese Kaskade auslösen, ist weiterhin unklar. Andreas Greinacher erklärte gestern (Mittwoch) bei einer digitalen Pressekonferenz, dass es sich vermutlich um ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren handele. Laut Greinacher könnte die Komplexbildung durch Proteine der Adenoviren ausgelöst werden – dann wäre auch nach einer Applikation der anderen Adenovirus-basierten Vektorimpfstoffe von Johnson & Johnson oder auch dem russische Impfstoff Sputnik V mit diesen Reaktionen zu rechnen. Er sei in Kontakt mit Johnson & Johnson und hoffe, dass sie bald auch deren Impfstoff zur Analyse erhalten werden.
Bei Patienten, bei denen es nach einer Impfung zur VITT komme, fielen alle natürlich eingebauten Kontrollmechanismen aus, so Greinacher. Im Vorfeld könne nicht getestet werden, wer davon betroffen sei. Nach entsprechenden prädiktiven Faktoren suche man bei der HIT schon seit mehr als 30 Jahren ohne Erfolg.
Bisher sind – vor allem in Deutschland – die meisten dieser thromboembolischen Ereignisse bei jungen Frauen aufgetreten. Der Mediziner sei aber zunehmend skeptisch, dass das Geschlecht das Risiko einer VITT beeinflusst. In Kanada sei eine in etwa gleiche Verteilung der Thrombosefälle nach Impfung bei Männern und Frauen zu beobachten. Auch in Großbritannien war das Verhältnis von Männern und Frauen fast ausgewogen.
Ob es zu einer dieser seltenen Entgleisungen des Immunsystems kommt, lässt sich nach Beginn der ersten Symptome mit Hilfe eines ELISA-Tests feststellen. Die Behandlung kann dann mittels Immunglobulin-Cocktails erfolgen.
Zu den Ergebnissen der Greifswalder Arbeitsgruppe kommt ihr hier.
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