Ein Forschungsteam der Charité hat erstmals das Senden von Informationen durch Nervenzellen im Gehirn von außen sichtbar gemacht – und dabei eine erstaunliche Variabilität festgestellt.
Um die Informationsverarbeitung im Gehirn durch die Nervenzellen beobachten zu können, ohne Elektroden direkt ins Gehirn zu legen, haben sich zwei Technologien mit hoher Zeitauflösung etabliert: die Elektroenzephalographie (EEG) und die Magnetenzephalographie (MEG).
Mit beiden Methoden lassen sich Hirnströme durch die Schädeldecke sichtbar machen – zuverlässig allerdings nur die langsamen, nicht die schnellen.
Langsame Ströme, sogenannte postsynaptische Potenziale, entstehen, wenn Nervenzellen Signale von anderen Nervenzellen empfangen. Feuern sie dagegen selbst und geben damit Informationen an nachgeschaltete Neuronen oder auch Muskeln weiter, verursacht das schnelle Ströme mit einer Dauer von nur einer Tausendstelsekunde: die Aktionspotenziale.
„Von außen konnten wir Nervenzellen bisher also nur beim Empfangen, nicht aber beim Weiterleiten von Informationen nach einem einzelnen Sinnesreiz beobachten“, erläutert Dr. Gunnar Waterstraat von der Charité. „Man könnte sagen: Wir waren gewissermaßen auf einem Auge blind.“
Waterstraats Team hat jetzt die Grundlage dafür gelegt, dass sich das ändert. Der interdisziplinären Forschungsgruppe ist es gelungen, die MEG-Technologie so empfindlich zu machen, dass sie auch schnelle Hirnströme als Antwort auf einzelne Sinnesreize erkennen kann.
Das Team reduzierte das Eigenrauschen des MEG-Geräts deutlich. „Die Magnetfeld-Sensoren in einem MEG-Gerät werden in flüssiges Helium getaucht, um sie auf -269 °C zu kühlen“, erklärt Dr. Körber, Leiter der Arbeitsgruppe.
„Dazu ist das Kühlgefäß sehr aufwendig isoliert. Diese Superisolierung besteht allerdings aus mit Aluminium bedampften Folien, die selbst ein magnetisches Rauschen verursachen und deshalb kleine Magnetfelder beispielsweise von Nervenzellen überlagern. Wir haben die Superisolierung des Kühlgefäßes jetzt so konstruiert, dass dessen Rauschen nicht mehr messbar ist. So ist es uns gelungen, die MEG-Technologie um das Zehnfache empfindlicher zu machen.“
Dass das neue Instrument tatsächlich in der Lage ist, schnelle Hirnströme zu erfassen, zeigte das Forschungsteam am Beispiel der Reizung eines Armnervs. Dazu wurde ein Nerv am Handgelenk bei vier Probanden elektrisch stimuliert und der MEG-Sensor unmittelbar über dem zuständigen Hirnareal positioniert.
Wie die Forschenden feststellten, ließen sich so Aktionspotenziale einer kleinen Gruppe synchron aktivierter Neurone messen, die in der Hirnrinde in Antwort auf einzelne Stimulationsreize entstanden.
„Wir haben also das erste Mal nichtinvasiv den Nervenzellen im Gehirn beim Senden von Informationen nach einem Berührungsreiz zugeschaut“, betont Waterstraat. „Interessanterweise konnten wir dabei beobachten, dass diese schnellen Hirnströme trotz konstanter Stimulation nicht gleichförmig sind, sondern sich von Reiz zu Reiz verändern. Diese Veränderungen waren zudem unabhängig von den langsamen Hirnsignalen. Die Information über eine Berührung der Hand wird vom Gehirn also erstaunlich variabel verarbeitet, obwohl alle Nervenreize gleichartig waren.“
Dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt einzelne Reizantworten miteinander vergleichen können, eröffnet der neurologischen Forschung neue Möglichkeiten: Durch die nichtinvasive Methode, können bisher ungeklärte Fragen untersucht und eine bessere Therapie für neurologische Erkrankungen konzipiert werden.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Fabio Ballasina, Unsplash