Mit einem Modellgehirn gelang es Forschern, Änderungen in der Hirndynamik vorherzusagen, die durch die Aktivierung verschiedener Rezeptoren ausgelöst werden. Das ist vor allem für psychiatrische Therapien interessant.
Ein internationales Forschungsteam hat den Einfluss der Aktivierung bestimmter Nervenzellrezeptoren auf die neuronalen Netzwerke im Gehirn untersucht. Dazu stellten die Autoren und Autorinnen ein Konzept vor, um rezeptorspezifische Modulationen von Gehirnzuständen quantifizieren zu können.
Über den molekularen Aufbau von neuronalen Rezeptoren ist bereits viel bekannt, weniger aber über den Einfluss der einzelnen Rezeptortypen auf die Dynamiken im Gehirn.
Um dies zu untersuchen, erstellten Forschende ein Computermodell aus Daten, die aus drei verschiedenen bildgebenden Verfahren zusammengestellt wurden:
Anhand dieses Inputs konnten die Forscher ein für jeden Probanden individuelles Rezeptom erstellen, welches die Gesamtverteilung von Rezeptortypen im Gehirn erfasst. Damit konnten Wechselwirkungen zwischen Nervenzellen und die Aktivierungen einzelner Rezeptortypen im Computermodell simuliert werden.
So aktivierten die Wissenschaftler beispielsweise virtuell den Serotonin-Rezeptor 5-HT2A und beobachteten die Veränderungen im Modellgehirn.
„Sie waren erstaunlich ähnlich zu denen, die andere Gruppen im Scanner beobachtet hatten, nachdem die Probandinnen und Probanden Psilocybin oder LSD verabreicht bekommen hatten – beides psychodelisch wirkende Substanzen, die spezifisch an den 5-HT2A-Rezeptor binden“, erklärt Dr. Dirk Jancke, Erstautor.
Das Computermodell war also in der Lage, Änderungen in der Gesamtdynamik des Gehirns nach Aktivierung eines einzelnen Rezeptortyps vorherzusagen.
Pharmakologische Substanzen sind meist nicht spezifisch für nur einen Rezeptortyp und haben zudem den Nachteil, dass Nervenzellen damit nicht lokal und gezielt aktiviert werden können. Dadurch sind komplexere Voraussagen und Tests an menschlichen Probanden nur eingeschränkt möglich.
Die Autoren schlagen daher vor, ihre Hypothesen durch den Einsatz optogenetischer Methoden weiterzuentwickeln und in tierexperimentellen Ansätzen zu prüfen.
In früheren Studien zeigten die Autoren bereits, wie Serotonin die visuelle Informationsverarbeitung beeinflusst.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der 5-HT2A-Rezeptor aktuelle visuelle Eingänge unterdrückt“, erklärt Jancke. „Äußere Reize werden dadurch weniger wichtig für das Gehirn und gleichzeitig intern ablaufende Prozesse relativ verstärkt. Halluzinationen könnten ihre Ursache darin haben, dass dieses Ungleichgewicht zu stark geworden ist.“
Psychische Erkrankungen beruhen häufig auf Funktionsstörungen von Transmittersystemen und damit auf Veränderungen in der Aktivierung verschiedener Rezeptoren im Rezeptom.
Das geht mit spezifischen Modulationen von Gehirnzuständen einher, die sich in subtilen Änderungen der Dynamik weitverzweigter neuronaler Netzwerke im Gehirn äußern können. Die Wissenschaftler hoffen, durch ihre Forschung neue Konzepte anzustoßen, um psychische Erkrankungen durch Biomarker besser diagnostizieren und gezielter behandeln zu können.
„Denkbar sind spezifische pharmakologische Therapien und Stimulationstechniken in Kombination mit begleitenden psychiatrischen Behandlungen, die helfen, neue Kontexte zu lernen, um pathologische Gehirnzustände neu auszubalancieren“, so Jancke.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum. Die Orginalpublikation findet ihr hier.
Bildquelle: Paweł Czerwiński, unsplash.