Ein schwerer Verlauf von COVID-19 geht oft mit Zytokinstürmen einher. Forscher haben jetzt zwei Zytokinprofile identifiziert. Dadurch lässt sich die Therapie womöglich personalisieren – und verbessern.
Es gilt als gesichert, dass schwere Verläufe von COVID-19 in Zusammenhang mit Zytokinstürmen stehen. Dabei werden Zytokine so übermäßig ausgeschüttet, dass die Immunreaktion außer Kontrolle gerät, was zu Organversagen und Tod führen kann. Eine Studie von Forschenden der Universität Augsburg und der Pariser Sorbonne hat nun zwei Typen von Zytokinstürmen identifiziert, die durch SARS-CoV-2 ausgelöst werden.
Mit der Bestimmung des spezifischen Zytokinprofils eines Patienten oder einer Patientin lässt sich möglicherweise eine auf die jeweilige Immunreaktion genau zugeschnittene medikamentöse Behandlung finden, um die Immunreaktion einzudämmen.
Die Arbeitsgruppen von Prof. Guy Gorochov (CIMI Research Center, Sorbonne University/INSERM, Paris) und Prof. Avidan Neumann (Lehrstuhl für Umweltmedizin, Universität Augsburg) bestimmten eine große Anzahl verschiedener Zytokine im Blut von insgesamt 115 COVID-19-Patienten und -Patientinnen am Tag ihrer Aufnahme ins Krankenhaus während der ersten Pandemiewelle. Die Ergebnisse dieser Proben wurden durch eine Validierungskohorte von 86 Patienten und Patientinnen während der zweiten Pandemiewelle bestätigt.
Die Höhe der einzelnen Zytokine im Blut der einzelnen Patientinnen und Patienten variierte dabei stark, es wurden komplexe Analysen durchgeführt. „Anhand der Zytokin-Kombinationen konnten die Patientinnen und Patienten klassifiziert werden“, erklärt Neumann. „Wir fanden zwei unterschiedliche Zytokinprofile, die jeweils mit dem Schweregrad der Erkrankung in Zusammenhang stehen.“
Mittelschwer erkrankte Patienten, die ursprünglich keine schwere Erkrankung der Atemwege aufwiesen, entwickelten eine Immunantwort, die von Typ-I-Interferonen dominiert ist. Sie steht in Zusammenhang mit einer hohen Viruslast und relativ niedrigen Konzentrationen entzündungsförderlicher Zytokine. Umgekehrt zeigten Patienten mit schwerwiegenden Atemwegssymptomen eine höhere Konzentration proentzündlicher Zytokine. Überraschenderweise waren die Konzentrationen von SARS-CoV-2-Antigenen, beziehungsweise die Viruslast, bei Patienten in kritischem Zustand niedriger und auch die antivirale Interferonantwort weniger ausgeprägt.
„Diese Ergebnisse widersprechen der bisherigen Annahme, dass eine schwer verlaufende COVID-19-Erkrankung immer mit einer exzessiven Virusvermehrung einhergeht“, betont Gorochov.
Aus der Reaktion des Immunsystems konnten die Forschenden auch Schlüsse zum Sterberisiko ziehen. In der Gruppe der mittelschwer Erkrankten konnte die Mortalitätsrate durch eine stärkere Konzentration an Typ-1-Interfereonen vorhergesagt werden, während die Sterblichkeitsrate bei kritisch erkrankten Patienten mit einer höheren Konzentration proentzündlicher Zytokine in Zusammenhang stand. Dabei hing das Sterberisiko sehr von den Konzentrationen ganz bestimmter Interleukine und Interleukin-Kombinationen ab.
Dieses Phänomen könnte die geringe Effektivität bisheriger Anti-Zytokin-Therapien erklären. „Unsere Ergebnisse legen eine neue therapeutische Herangehensweise nahe”, fügt Gorochov hinzu. „Die am schwersten betroffenen, künstlich beatmeten Patienten haben ein größeres Sterberisiko, wenn sie niedrigere Konzentrationen von Interleukin-17 und Interleukin-18 aufweisen, die mit einer antibakteriellen Immunantwort in Zusammenhang stehen. Eine Behandlung, die deren Werte erhöht, könnte die Überlebenschancen der Patienten verbessern.“
Schweregrad und die Mortalitätsrate bei COVID-19 scheinen mit mindestens zwei unterschiedlichen Zytokinprofilen zusammenzuhängen und nicht allen Erkrankten scheint die gleiche Behandlungsmethode zu helfen.
Auf der einen Seite kann der Krankheitsverlauf nicht positiv beeinflusst werden, wenn denjenigen Erkrankten Typ-I-Interferone verabreicht werden, die ohnehin hohe Mengen dieser Zytokine im Blut haben. Auf der anderen Seite sollte die Therapie mit biologischen Wirkstoffen, die bestimmte entzündungsfördernde Zytokine gezielt blockieren, präzise verwendet werden, um nur diejenigen Werte zu verringern, die bei individuellen Patienten auch tatsächlich erhöht sind.
„Diese Befunde bedeuten einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung von COVID-19. Personalisierte Präzisionsmedizin auf der Grundlage der Charakterisierung von Zytokinprofilen sollte zur Optimierung der Covid-19-Behandlung herangezogen werden“, erklärt Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin für Umweltmedizin an der Universität Augsburg und dem Universitätsklinikum Augsburg.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Augsburg. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: FLY:D, unsplash