Für den Beruf des Heilpraktikers existieren weder einheitliche Ausbildungsstandards noch eine verbindliche Berufsordnung. Kein Wunder also, dass viele Ärzte den Heilpraktikern kritisch gegenüberstehen – dem Willen vieler Patienten entspricht das erstaunlicherweise nicht.
Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland mehr als 40.000 Heilpraktiker, ihre Zahl hat sich von 2000 bis 2011 fast verdreifacht. Verbindliche Regeln für diese Berufsgruppe gibt es jedoch nur wenige, und auch bei vielen Gesetzesvorhaben werden Heilpraktiker gerne ausgeklammert – wie jüngst beim Referentenentwurf für ein Gesetz gegen Korruption im Gesundheitswesen. Während Ärzte sich also künftig den Kopf darüber zerbrechen dürfen, ab wann ein kleines Geschenk als Bestechung gilt und was genau unzulässige Vorteilsnahme ist, gelten Heilpraktiker scheinbar nicht als vollwertige Mitglieder des Gesundheitswesens. Und das, obwohl sie in vielen Bereichen dieselben Leistungen erbringen wie Ärzte. Anamnese, Blutentnahme, Diagnosestellung, Therapie: Das Tätigkeiten-Spektrum ist breit gefächert.
Was also unterscheidet den Besuch beim Heilpraktiker vom Arztbesuch? Ein wichtiger Punkt ist, dass der Patient für den Besuch beim Heilpraktiker häufig in die eigene Tasche greifen muss, denn die gesetzlichen Krankenkassen dürfen die Kosten für eine Behandlung beim Heilpraktiker nicht übernehmen. Es gibt allerdings entsprechende GKV-Zusatzversicherungen und PKV-Angebote, die eine Kostenübernahme mancher Heilpraktikerleistungen ermöglichen. Tatsächlich scheinen die Kosten für viele Bundesbürger ein entscheidendes Kriterium zu sein: Einer 2013 im Auftrag der Ergo Direkt Versicherung veröffentlichten Umfrage zufolge würden 69 % der Befragten die Behandlung durch einen Heilpraktiker zumindest in Erwägung ziehen, 10 % würden den Heilpraktiker sogar bei vielen Erkrankungen auf jeden Fall aufsuchen – wenn die Krankenkasse die Kosten übernähme. Weshalb die Patienten trotz diskussionswürdiger Diagnose- und Therapieansätze sowie finanzieller Hürden zunehmend einen Heilpraktiker aufsuchen, das liegt für Beate Sanladerer, Heilpraktikerin mit eigener Praxis, auf der Hand: „Der wesentliche Unterschied zum Arztbesuch liegt sicherlich schon im Faktor Zeit“, erklärt sie. Ein Behandlungstermin beim Heilpraktiker nehme in der Regel mindestens 30 und bis zu 90 Minuten in Anspruch, zum Beispiel für eine Erstanamnese. Nur ein Dutzend Patienten am Tag, das wären für Ärzte geradezu paradiesische Zustände. Tatsächlich behandeln Ärzte einer Hochrechnung der Barmer-GEK zufolge im Mittel 45 Patienten pro Tag – das macht gerade einmal 8 Minuten Zeit pro Patient. Kein Wunder also, dass sich 75 % der deutschen Hausärzte mehr Zeit für die Patientenberatung wünschen. Angesichts von ärztlicher Zeitnot und Patientenwille scheint es eigentlich keine schlechte Idee zu sein, einige ärztliche Leistungen an entsprechend ausgebildetes Fachpersonal zu übertragen oder gar ganz abzugeben. Delegation und Substitution heißen hier die Zauberwörter – welche Leistungen der Arzt an wen delegieren darf, ist in der Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen geregelt. Von Heilpraktikern ist aber auch dort keine Rede, denn die Berufsordnungen der einzelnen Landesärztekammern untersagen zurecht eine enge Zusammenarbeit mit Heilpraktikern. Zur Begründung heißt es beispielsweise bei der Ärztekammer Nordrhein, dass die Berufsordnung für Heilpraktiker rechtlich unverbindlich sei und grundlegende Rahmenbedingungen wie die Schweigepflicht nicht für sie gelten würden.
Das mangelnde Vertrauen der Ärzteschaft in die Heilpraktikerzunft geht einer 2013 veröffentlichten Umfrage der Universität Regensburg zufolge insbesondere auf mangelndes Vertrauen in die Heilpraktiker-Ausbildung zurück. Die befragten Ärzte äußerten zudem die Sorge, dass die Heilpraktiker aufgrund fehlender Qualifikation gegebenenfalls die Grenzen ihrer Behandlungsfähigkeit nicht erkennen könnten. Weiterhin waren die Befragten der Meinung, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis durch Heilpraktiker gestört werden könnte, wenn diese schulmedizinische Diagnosen und Therapien gänzlich infrage stellten. Dies könne beispielsweise dazu führen, dass der Patient die ärztliche Therapie abbreche. Helfen könnte hier ein neues Heilpraktikergesetz – seit es im Jahr 1939 in Kraft getreten ist, hat sich an dem archaisch anmutenden Gesetz nämlich wenig getan. Eine Regelung von Rechten und Pflichten sucht man hier vergeblich, es findet sich nur der Hinweis, dass man die Erteilung einer Erlaubnis benötigt, um als Heilpraktiker tätig zu sein. Zur Erlangung der Erlaubnis genügt es, beim zuständigen Gesundheitsamt eine schriftliche und mündliche Prüfung abzulegen. In diesen Prüfungen wird jedoch lediglich schulmedizinisches Wissen abgefragt, um sicherzustellen, dass der zukünftige Heilpraktiker keine „Gefahr für die Volksgesundheit“ darstellt, wie es in der ersten Durchführungsverordnung des Heilpraktikergesetzes heißt. Für die spätere Arbeit relevante Kenntnisse über komplementäre und alternative Heilverfahren sind dagegen nicht prüfungsrelevant. Auch bleibt es dem Prüfling selbst überlassen, wie er sich das für die Prüfung und das spätere Berufsleben nötige Wissen aneignet. Eine beliebte Möglichkeit sind Heilpraktikerschulen, doch deren Unterrichtsinhalte sind keineswegs einheitlich oder gar verbindlich. Zudem überprüft niemand, ob der angehende Heilpraktiker auch tatsächlich die erforderlichen praktischen Fähigkeiten besitzt, um beispielsweise invasive Verfahren wie Blutentnahmen, Injektionen und Infusionen korrekt anzuwenden.
Die Schweiz geht hier einen anderen Weg: Seit einer Volksabstimmung im Jahr 2009 sind Bund und Kantone dazu verpflichtet, die Komplementärmedizin in das Gesundheitssystem zu integrieren. Die Umsetzung läuft noch, doch seit dem 28. April 2015 gibt es den in allen Kantonen anerkannten und geschützten Titel „Naturheilpraktiker mit eidgenössischem Diplom“ in vier verschiedenen Fachrichtungen: Ayurveda-Medizin, Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) und Traditionelle Europäische Naturheilkunde (TEN). Auch in Deutschland könnten eine verbindliche Berufsordnung und definierte Qualitätsstandards dazu beitragen, dass Vertrauen vieler Ärzte in eine mögliche Zusammenarbeit zu verbessern.