Sinusvenenthrombosen sind nach der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin häufiger als nach dem Einsatz von mRNA-Impfstoffen. Überraschend: Auch ältere Frauen scheinen ein erhöhtes Risiko zu haben, wie deutsche Daten jetzt zeigen.
In Hinsicht auf das Auftreten von Sinusvenenthrombosen nach einer Impfung gegen COVID-19 mit dem Vakzin von AstraZeneca gibt es neue Erkenntnisse in Form einer Preprint-Studie. Publiziert wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Sie bat im Vorfeld alle neurologischen Kliniken in Deutschland darum, alle Fälle von zerebraler Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CVT) sowie ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle, die innerhalb eines Monats nach einer SARS-CoV-2-Impfung aufgetreten waren, zu melden.
Insgesamt gingen 87 Meldungen ein, von denen bei 62 durch das Expertenteam ein möglicher Zusammenhang mit der Impfung bestätigt wurde. Das mittlere Alter der Betroffenen lag bei 46,7 Jahren. 77,4 % der Betroffenen waren unter 60 Jahre alt. In 95,2 % der Fälle waren die unerwünschten Ereignisse nach erster Gabe des Impfstoffs aufgetreten. Es gab:
Hier ließ sich ein Unterschied zwischen mRNA- und Vektorimpfstoff feststellen: Die Ereignisse traten häufiger nach Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff ChAdOx1 auf, nämlich bei 53 der insgesamt 62 bestätigten Fälle (85,5 %). Neun Fälle (14,5 %) traten nach einer Impfung mit dem Biontech-Impfstoff BNT62b2 auf. Es wurden keine Ereignisse nach Einsatz des Impfstoffes von Moderna beobachtet. Allerdings wurde dieser auch nur 1,2 Mio. Mal verabreicht im Gegensatz zu Biontech mit 16,2 Mio. und AstraZeneca mit 4,6 Mio. Dosen bis Mitte April.
Von den 45 Fällen einer CVT waren 37 nach der Impfung mit ChAdOx1 gemeldet worden (82,2 %) und 8 nach BNT62b2. Von den 9 nach Impfung gemeldeten ischämischen Schlaganfällen waren acht nach Einsatz von ChAdOx1 und ein Fall nach BNT62b2 aufgetreten. Die 4 Fälle intrazerebraler Blutungen waren nach Impfung mit ChAdOx1 beobachtet worden.
Mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit konnte etwas mehr als die Hälfte der gemeldeten Fälle (57,8 %) von Hirnvenenthrombosen offenbar auf die Impfung zurückgeführt werden – hier ließ sich die sogenannte Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT) feststellen. Derselbe Mechanismus lag nach den Befunden vermutlich auch bei 5 von 9 Patienten mit ischämischem Schlaganfall und bei 2 der 4 Fälle einer Hirnblutung vor.
Über den möglichen Mechanismus hatten Greifswalder Forscher Anfang April berichtet. Ihnen war damals aufgefallen, dass die Fälle eine große Ähnlichkeit mit einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) haben. Bei einer HIT handelt es sich um eine ernste Nebenwirkung einer Heparin-Therapie. Dabei werden Antikörper gegen einen Komplex aus Heparin mit dem Plättchenfaktor 4 (PF4) gebildet. PF4 ist ein für die Blutgerinnung wichtiges Protein der Thrombozyten. Der resultierende Antigen-Antikörper-Komplex führt über eine Aktivierung an deren Fc-Rezeptor zu einer Thrombozytenaggregation. Diese Verklumpung geht mit einer Thrombozytopenie einher.
Die Forscher schlagen vor, das Phänomen auch Vakzine-induzierte immunogene thrombotische Thrombozytopenie (VITT) zu nennen. Unklar ist aber, welcher Partner mit PF4 im Fall einer Impfung einen Komplex bilden könnte. Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN erklärt: „Wir vermuten, dass die Antikörper gegen PF4 nicht mit dem Spike-Protein von SARS-CoV-2 kreuzreagieren, sondern die Impfkomplikation mit dem adenoviralen Vektor in Zusammenhang steht. Das muss weiter untersucht werden.“
Dreiviertel aller thrombotischer zerebraler Ereignisse (75,8%) waren bei Frauen aufgetreten. Von den 45 Personen, die nach Impfung eine CVT hatten, waren 35 (77,8%) weiblich. 36 (80%) waren unter 60 Jahre alt.
In den verschiedenen Gruppen ergeben sich so folgende Inzidenzen: Bei Frauen unter 60 Jahren, die eine Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff erhalten hatten, betrug die Inzidenz für CVT innerhalb eines Monats nach der Erstimpfung 24,2/100.000 Personenjahre, bei gleichaltrigen Männern hingegen 8,9/100.000. Bei Frauen über 60 lag die Inzidenz nach Gabe des gleichen Impfstoffs bei 20,5/100.000 Personenjahre – auch ältere Frauen haben demnach ein erhöhtes Risiko, eine Sinus- und Hirnvenenthrombose zu erleiden.
Bei unter 60-Jährigen, die den Biontech-Impfstoff erhalten hatten, betrug die Inzidenz hingegen 3,6/100.000 Personenjahre bei Frauen und 3,5/100.000 bei Männern. Über 60-jährige Frauen wiesen nach Impfung mit Biontech eine sehr geringe Ereignisrate von 0,8/100.000 Personenjahre auf, bei Männern über 60 Jahre gab es keine Ereignisse, egal mit welchem Impfstoff sie geimpft worden waren.
Doch man muss auch festhalten: Angesichts mehrere Millionen verabreichter Dosen handelt es sich immer noch um eine sehr seltene Nebenwirkung. „Bei der Abwägung muss auch berücksichtigt werden, dass das Risiko einer Sinus-Venenthrombose bei einer COVID-19-Infektion um den Faktor 10 erhöht ist, die Erkrankung führt verhältnismäßig häufig zu thrombotischen Ereignissen mit Todesfolge, die Impfung nur extrem selten“ so Prof. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der DGN.
Dennoch sei das Sicherheitssignal neu, dass nicht nur jüngere, sondern auch ältere Frauen ein erhöhtes Risiko für Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin haben, was transparent kommuniziert werden müsse, meint Prof. Christian Gerloff, Präsident der DGN. „Wir stellen damit nicht die Impfung in Frage, auch nicht das AstraZeneca-Vakzin, denken aber, dass alle Personen, vor allem Frauen vor der Impfung über dieses Risiko aufgeklärt werden sollten, gerade auch im Hinblick darauf, auf welche Symptome sie im Nachgang zu achten haben. Außerdem sollte sehr zeitnah eine neue Risiko-Nutzen-Bewertung durch die zuständigen Behörden erfolgen.“
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