„Jetzt hab ich die Faxen dicke. Gerade vergeben wir Astra-Folgetermine in 12 Wochen, plötzlich verlangen Patienten eine Vorverlegung, weil Spahn das gesagt habe“, sagt ein Hausarzt. Das sorgt nicht nur für Chaos – sondern reduziert auch den Impfschutz.
Vermutlich ist er nicht der einzige Hausarzt, dem es zur Zeit so geht: „So. Jetzt habe ich die Faxen dicke. Wir sind mitten in der Impfsprechstunde, vergeben AstraZeneca-Folgetermine in 12 Wochen, plötzlich verlangen die Patienten, die Termine um 4 Wochen vorzuverlegen, weil Jens Spahn das gerade im Fernsehen gesagt habe. Wir stellen jetzt das Impfen ein. So kann man nicht arbeiten“, schreibt er in einem Tweet.
Dabei bezieht sich der Allgemeinmediziner auf eine Meldung von gestern. Der Bundesgesundheitsminister hatte in den Medien verkündet, die Impf-Priorisierung beim Impfstoff Astrazeneca aufheben zu wollen.
Mit den 16 Landesgesundheitsministern wolle er heute (Donnerstag) darüber beratschlagen, dass bald jeder mit dem Vakzin von AstraZeneca geimpft werden könne – sowohl in Impfzentren als auch in Arztpraxen und „unabhängig von Alter und Vorerkrankung.“ Zudem habe er vor, den Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung von zwölf auf vier Wochen zu verkürzen.
„Ständig andere Rahmenbedingungen, kein Plan, heute Hü, morgen Hott. Nach wie vor keine verlässlichen Impfstofflieferungen. Wenn man sich einen Plan ausdenken müsste, die Ärzte maximal zu demotivieren, müsste er genauso aussehen. So, der letzte Patient ist gerade zur Tür raus. Wir haben 176 Leute geimpft, bis kurz vor elf“, schildert der Hausarzt seinen Arbeitstag – und entschärft die eigene Aussage direkt: „Natürlich stellen wir nicht das Impfen ein, jetzt, wo mein Ärger etwas verraucht ist – aber solche Mega-Aktionen machen wir sicher nicht mehr – solange uns die Politik so behandelt.“
Dass er mit seiner Frustration nicht alleine ist, zeigt alleine schon die Diskussion, die sich unter dem Tweet ergibt. „Feel you! Es ist wie der Versuch, mit gefesselten Füßen über eine gerade Linie zu balancieren und dann ständig von allen Seiten umgeschubst zu werden“, antwortet ein Kollege.
„Volle Zustimmung. Ich bin auch sauer“, meldet sich ein weiterer Arzt zu Wort. „Bin gespannt, wie viele der Erst-Geimpften (Astra) sich heute bei mir melden und den Termin vorverlegen wollen. Unmöglich realisierbar. Ständig neue Regeln und Empfehlungen. Wir arbeiten am Anschlag und versorgen ‚nebenbei‘ unsere Patienten.“
Warum also das zusätzliche Chaos, das durch die Verkürzung der Impf-Abstände entsteht? „Aber 12 Wochen war doch bei AZ laut Studien das Optimum, um eine größtmögliche Wirksamkeit zu erlangen? Ahhh ich lese gerade, es geht nicht um Wirksamkeit, es geht um Sommerurlaub“, wirft ein User ins Gespräch ein. Und tatsächlich wirkt dieses Vorhaben wie eine ausgestreckte Hand an die potenzielle Wähler, die gerne vollständig geimpft in die Sommerferien wollen.
Medizinisch nachvollziehbar ist dieser Schritt nämlich nicht: „Die 12 Wochen Abstand zwischen den beiden AstraZeneca-Impfungen sind notwendig, um eine Effektivität von 80 % zu erreichen. Bei Verkürzung auf 4 Wochen sind das nur rund 60 %! Das sollte man den Leuten auch sagen“, argumentiert etwa Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGFI) und Leiter des Forschungsbereichs Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund.
Wäre es vielleicht doch sinnvoller, den Menschen schon einige Wochen nach Erstimpfung gewisse „Freiheiten“ zurückzugeben? Zumindest zeigen Real-Life-Daten aus Israel und Großbritannien, dass drei Wochen nach erster Impfung schon ein hoher Impfschutz gegeben ist, insbesondere, was schwere Verläufe angeht. Der AstraZeneca-Impfstoff Vaxzevria® bleibt jedenfalls weiterhin für Diskussionen gut.
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