Patient wird mit Nasenbluten in der Notaufnahme vorstellig. Mein Vorgehen bisher: Komprimieren und Tamponade mit Tranexamsäure. Eine starke Studie wirft das jetzt aber komplett über den Haufen.
Nasenbluten ist ein typischer Fall der klinischen wie auch mobilen Notfallmedizin. Da ich als Kind häufig davon geplagt war, ist es mir eine Herzensangelegenheit, darüber aufzuklären. Bisher ist mein Ansatz, den ich mir aus diversen Quellen zusammen gesucht habe, gewesen:
Mittlerweile sind allerdings im Annals of Emergency Medicine die Ergebnisse des NoPAC-Trial publiziert worden und könnten das teilweise zumindest verändern.
Bei dieser Publikation handelt es sich um einen Randomised Controlled Trial (RCT) – in der Evidenzbasierten Medizin (EBM) Goldstandard. Bisherige Studien, die den Einsatz von Tranexamsäure bei Epistaxis untersucht haben, variierten sehr in ihrer Methodologie und hatten meist nur eine kleine Stichprobengröße. Ein 2019 publiziertes systematischer Literature Review mit Metanalyse identifizierte insgesamt drei Studien mit 408 Patienten. Er fand zwar keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Zeit bis zum Stopp der Blutung, jedoch weniger Nachblutungen, wenn Tranexamsäure verwendet wurde. Den Review findet ihr hier.
Durch die Heterogenität, schlechte Methodologie sowie kleine Stichprobengröße ist klar, dass ein hochwertiger Trial die Ergebnisse der bisherigen Studien verändern könnte. Der nun publizierte NoPAC-Trial füllt genau diese Lücke, ist somit hochinteressant und einen genaueren Blick wert.
Beim NoPAC-Trial handelt es sich um eine Multicenterstudie, die an 26 Kliniken für Notfallmedizin in ganz Großbritannien vom 5. Mai 2017 bis zum 31. März 2019 durchgeführt wurde.
Inkludiert wurden erwachsene Patienten, die sich mit Nasenbluten in der Notaufnahme vorstellten, das durch einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen (Komprimieren der Nasenflügel für 10 Minuten, Kühlen der Nase, oder beides) sowie einer Zahnwatterolle mit einem Vasokonstriktor im betroffenen Nasenloch und einer speziellen Nasenklammer auch nach weiteren 10 Minuten immer noch blutete. Somit handelt sich bei der Studienpopulation um eine sehr selektierte Patientengruppe, bei der bereits einfache Erste-Hilfe-Maßnahmen und die Applikation einer anterioren Tamponade mit Vasokonstriktor nicht erfolgreich war.
Ausgeschlossen von der Studie wurden alle Patienten mit hämodynamischer Instabilität, Trauma, Nasentamponade bereits außerhalb des Krankenhauses, Allergie gegen Tranexamsäure, Tumor im Bereich des Nasopharynx, Schwangere und Patienten, die unter Hämophilie leiden.
Eine 9 x 39 mm große Zahnrolle, die in 2 ml Tranexamsäure (100 mg/ml) getränkt wurde, wurde für 10 Minuten in der Nase belassen. Dabei wurde wieder die zuvor verwendete spezielle Nasenklammer eingesetzt. Bei anhaltenden Blutungen wurde die gleiche Dosis ein zweites Mal wiederholt.
Als Vergleich wurde ein Placebo (steriles Wasser) verwendet. Durch die Verblindung (Umschlag mit Medikament + zwei Zahnrollen) wussten weder Patient noch Behandler, was sie gerade verwendeten.
Das Primäre Outcome war der weitere Einsatz jeglicher Art von anteriorer Nasentamponade, unabhängig von anderen Behandlungen, die zusätzlich zur Studienbehandlung unternommen wurden.
Sekundäre Outcomes waren zudem: Hospitalisierung, Notwendigkeit von Bluttransfusionen, wiederkehrende Epistaxis und alle thrombotischen Ereignisse, die eine erneute Behandlung im Krankenhaus innerhalb einer Woche erforderten.
Insgesamt 2.622 Patienten wurden gescreent und waren geeignet, an der Studien teilzunehmen, letztendlich wurden jedoch nur 496 Patienten randomisiert. Das lässt natürlich einen gewissen Selction Bias vermuten. Begründet wird dies u. a. dadurch, dass eine Research Nurse (n = 834) nicht vor Ort war, dass es zu großes Patientenaufkommen (n = 161) gab, oder, und das ist interessant, die Blutung stoppte, nach dem die Patienten bereits der Studie zugestimmt hatte (n = 143). Das Durchschnittsalter der Studienkohorte lag bei 70 Jahren, antikoaguliert waren rund 61 % in der Interventionsgruppe und 69 % der Patienten in der Placebogruppe.
111 Patienten (43,7 %) in der Interventionsgruppe mit TXA benötigten eine weitere anteriore Nasentamponade, 100 Patienten (41,3 %) in der Placebogruppe. Somit gibt es hier keinen statistisch signifikanten Unterschied (OR 1.11 (95 % CI 0,77 bis 1,59) zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe für das primäre Outcome.
Auch was das sekundäre Outcome angeht, wurde hier kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen gefunden. Interessanterweise wurden fast 45 % der Patienten hospitalisiert.
In D-A-CH ist die klinische Notfallmedizin keine eigenständige Fachrichtung, die hier angewendete Strategie ist jedoch ziemlich straight forward, somit sollte sie wahrscheinlich auch auf unsere Gegebenheiten anwendbar sein. In D-A-CH wird meist Adrenalin als Vasokonstriktor verwendet, während in Großbritannien (und auch im NoPAC-Trial) Phenylephrin genutzt wurde. Auch spezielle Nasenklammern, wie sie in dieser Studie verwendet wurden, sind nicht überall Standard bei uns.
Anekdotisch habe ich in einer Handvoll Fälle gute Erfahrungen mit TXA gemacht, doch der methodologisch sehr gut aufgesetzte NoPAC-Trial zeigt, dass steriles Wasser ebenso gut gewesen wäre.
Die Autoren stellten fest, dass eine Zahnrolle nicht mehr als 200 mg der Tranexamsäure aufnehmen kann, somit ist es unwahrscheinlich, dass eine höhere TXA-Dosis einen anderen Effekt gezeigt hätte.
Was einem bei dem Paper direkt ins Auge stößt, ist die Hospitalisierungsrate von ca. 45 % der Patienten. Patienten mit Nasenbluten sind in meiner Erfahrung eher „Läufer“, weil sie laufend in die Klink für Notfallmedizin kommen und auch nach kurzer Zeit wieder hinaus laufen können. Die Autoren begründen die hohe Hospitalisierungsrate mit dem 4-h-Target in Großbritannien und der Hospitalisierungspflicht für Patienten, die eine anteriore Tamponade erhalten haben. Zudem ist bei einem Durchschnittsalter von 70 Jahren und Antikoagulierung von mehr als zwei Dritteln der Studienpopulation auch eine höhere Hospitalisierung duch Komorbiditäten wahrscheinlich.
Die Berechnung der Stichprobengröße basierte auf der Annahme, dass 95 % der Studienpopulation eine anteriore Tamponade benötigten. Am Ende waren es jedoch nur 41,3 % in der Kontrollgruppe und 43,7 % in der Interventionsgruppe. Somit ist die Studie technisch gesehen unterpowered. Ein Typ-2-Fehler, also ein falsch negatives Ergebnis, ist dennoch unwahrscheinlich, da die Ergebnisse der Interventionsgruppe schlechter als die der Kontrollgruppe waren.
Der NoPAC-Trial ändert mein Vorgehen in der Art, dass ich Tranexamsäuretamponaden aus meinem Repertoir rausstreichen werde. Der wichtigste Learningpoint für mich ist jedoch „Basics done well – always!“
Rick Body, einer der Investigatoren der Studie, schrieb auf Twitter, dass sie weniger Patienten inkludieren konnten als sie dachten, denn gute Erste-Hilfe-Maßnahmen (Komprimieren der Nasenflügel, Kühlen der Nase, oder beides) sind sehr effektiv, wenn sie kontinuierlich und konsequent eingesetzt werden.
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Gerade die Nasenklammer, als einfaches, nicht invasives und nicht medikamentöses Tool nehme ich für mich aus dem NoPAC-Trial mit in die Praxis. Mehr Daten hierzu zu generieren, wird interessant in der Zukunft.
Bildquelle: Peter Ivey-Hansen, Unsplash