Die Corona-Impfungen bringen viele Hausärzte an den Rand des Wahnsinns. Warum das so ist? Eine Allgemeinmedizinerin findet dafür klare Worte.
„Es gibt akuell 2 Impfstoffe für die Praxis, nennen wir sie doch A und B. Diese kommen in kleinen Fläschchen.“ So beginnt eine Hausärztin auf Twitter ihren Erklärversuch zur Frage: „Wieso bringt uns das Impfen an den Rand des Wahnsinns?“
Impfstoff sei nach wie vor Mangelware, die Menge schwanke stark. In der Vorwoche könne man zwar bestimmte Mengen bestellen, doch „was wir bekommen, ist dann Glückssache. Als Beispiel: Diese Woche (wo niemand Urlaub hat) wollten wir ‚richtig viel‘ impfen. Bekommen haben wir 6 x A und 4 x B.“
Die Planung kann also erst dann losgehen, sobald Fläschchen eingetroffen sind. Dabei ist Impfstoff B das einzige Vakzin, das derzeit in Deutschland für Menschen unter 60 Jahren zugelassen ist. In der Impfliste müsse die Ärztin also nach U60-Jährigen mit entsprechend priorisierten Erkrankungen suchen. Impfstoff A hingegen ist nur für Ü60 zugelassen. „Da schauen wir dann entweder nach Alter (Alle Ü70 sind dran) oder nach den entsprechenden Vorerkrankungen. Die Liste füllt sich. Jetzt geht der Spaß los.“
Denn: Die Patienten, denen die Dosen nun verabreicht werden sollen, werden kontaktiert. Die Rückmeldungen lösen nicht selten ein Orga-Chaos aus: „Ja, aber da kann ich nicht. Ach so, ich hab im Impfzentrum aber schon einen Termin. Aber ich muss arbeiten. Und ich hab Frühschicht. Ach und ich kann Samstag ins Impfzentrum, will aber zu Ihnen“, zählt die Medizinerin häufige Rückmeldungen auf.
Das sei schon anstrengend, aber nur der erste Teil. Weiter geht es mit Impfstoff A – und auch hier ergeben sich Probleme. „Wir haben viele alte Patienten, also eigentlich kein Problem. Denkste. Fast alle Ü60 lehnen den Impfstoff ab. Nicht nur im MFA-Gespräch, auch im Arztgespräch. Auch nach guter, einfach verständlicher Aufklärung.“ Die Laune der Ärztin? Verzweifelt trifft es vermutlich am besten.
„Aber weiter gehts. Wir schauen jetzt auch nach Ü60, die eigentlich gesund sind. Irgendwann haben wir die 60 Leute, die kommen sich die Impfunterlagen abholen. Ebenso die 28 B-Leute. Und das war noch nicht der Impftag!“ wie sie betont. Unterschieden werde grundsätzlich zwischen Impftag A und Impftag B – „da Krieg ausbricht, wenn Impfstoff A+B an einem Tag geimpft werden, gibt es zwei Impftage.“
Impftag A läuft so ab: „Das Fläschchen ist schon fertig verdünnt, jetzt werden 12 x 0,5 ml da rausgezogen, das geht fix und unkompliziert. Die Impflinge wurden hier auch mit etwas mehr Abstand einbestellt, da mehr Redebedarf besteht“, erklärt die Ärztin – und äußert Kritik an Medien und Politikern, „die den A-Impfstoff so krass verunglimpft haben und dies auch weiterhin tun.“
Auf getätigte Terminvergabe-Anrufe und Aufklärungs-Telefonate folgt also die Vorbereitung der Aufklärungsunterlagen und der Prüfung, ob der jeweilige Impfling für das Vakzin geeignet ist. Dann ist Impfen angesagt.
„Der Impftag B läuft so ab: Eine MFA muss hochkonzentriert die Spritzen mit dem Impfstoff anmischen, um den Anforderungen entsprechende 7 Dosen aus jedem Fläschchen zu ziehen.“ Für Nichtimpfende geht die Ärztin ein wenig ins Detail. „Das ist nicht so: Ich zieh mal ne Spritze auf. Sondern eher so: Ommm, ich drehe das Fläschchen 10x, ommm, ich spritze 1,8 ml Kochsalz hinein, ommm, ich drehe wieder 10x, ommm, jetzt muss ich die Verdünnung aufziehen UND ES MÜSSEN 7 DOSEN MIT JE 0,3 ML RAUSKOMMEN SONST …“
Wie Impfende wissen, kann nicht ein Mal eine Dosis entnommen werden, sondern es müssen alle sieben auf einen Streich gezogen werden. „Die aufgezogenen Spritzen sind ‚bis‘ 6 h haltbar, sollen aber möglichst rasch, also innerhalb 1–2 h verimpft werden.“ Konzentration ist hier oberstes Gebot, wie sie betont. „Das Fläschchen oder die Spritzen mit dem B-Impfstoff sind hochsensibel und jederzeit zu behandeln wie ein goldenes, rohes Ei also MINDESTENS so. Wenn's runterfällt, isses kaputt.“
An dieser Stelle ergänzt die Medizinerin noch einen Punkt zur Kühlung des Vakzins: „Impfstoff B war vorher tiefgekühlt und dann 96 h haltbar. Also nix mit Samstag impfen – oder nach dem Urlaub oder oder oder. Impfstoff A ist unaufgezogen längere Zeit haltbar.“
Dann wird geimpft. Zwar läuft die Impfung selbst reibungslos ab, doch die Planung hört mit dem Piks nicht auf, schließlich folgt der nächste Impftermin dann in 6 Wochen. „In genau 6 Wochen – und nein, Frau Meier, wenn Sie da im Urlaub sind, können wir keine Dosis zurückstellen“, schildert die Ärztin derzeit typische Situationen. „Und wehe dem, der dann Praxisurlaub hat.“
Fertig ist der Impftag aber noch immer nicht. „Jetzt müssen noch für jeden Impfling je nach Impfstoff Abrechnungsziffern eingetragen werden.“ Außerdem auf der To-Do-List: Aufklärungsbögen einscannen. Zweitimpfungstermine planen (denn an den Tagen der Zweitimpfung können z. B. keine Erstimpfungen durchgeführt werden). Kranke Patienten versorgen. Und tagesaktuell die Anzahl der Geimpften an die KV melden.
„Jetzt sind alle am Ende! Müde!!“ fasst die Medizinern den Zustand ihres Teams zusammen. Neben den Impf-Aufgaben laufen natürlich noch einige Dinge nebenher, wie sie erklärt: Die Versorgung der Kranken inklusive Hausbesuche, Telefonate mit Menschen, die wütend nachfragen, wieso sie noch nicht dran waren mit der Impfung oder wieso es für sie nur den ‚schlechten‘ Impfstoff gab. Auch vor der Tür stehen Menschen, die wütend sind, weil sie telefonisch nicht durchgekommen sind. Andere wollen ihre Zweitimpfung früher und wiederum andere wollen ihr PCR-Ergebnis als „Genesene“ haben.
„Ach so, dafür bekommen wir 20 €/ Impfung“, ergänzt sie nüchtern. „Wir gehen wirklich auf dem Zahnfleisch, alle im Team schieben Überstunden. Und wir müssen uns noch von Patienten beschimpfen lassen, dass wir ihnen 1. nicht direkt einen Termin geben, 2. nicht für ihren Wunschimpfstoff und 3. nicht die Zweitimpfung am nächsten Tag machen und 4. nicht die ganze Familie (die gar nicht bei uns Patienten sind) mitimpfen.“
Am 7. Juni wird die Priorisierung für alle Corona-Impfstoffe bundesweit aufgehoben – die Erwartungen der Patienten sind groß, dann auch zügig an ihre Impfung zu kommen. Sollten die Impfstoffmengen weiterhin knapp bleiben, ist Frust und Ärger seitens der Patienten garantiert. Zu Lasten von Impfärzten und ihren MFA-Teams, die nebenher den Regelbetrieb am Laufen halten. Schon jetzt warnt der Hausärzteverband Nordrhein: Angesichts des Ansturms steigen zahlreiche Hausarztpraxen sogar wieder aus dem Impfen aus.
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