Patienten vermuten häufig einen Vitamin-D-Mangel als Ursache ihrer Beschwerden, gerade im Winter. Meistens ist die Sorge unbegründet. Bei welchen Krankheiten ist ein Zusammenhang mit einem niedrigen Vitamin D-Wert überhaupt belegt? DocCheck befragte einen Endokrinologen.
Das Interview in schriftlicher Ausführung: Prof. Dr. Helmut Schatz, Endokrinologe: „Es gibt immer heiße Themen. Einmal war es das Vitamin A, dann das Vitamin C. Heute ist es das Vitamin D. Aber warum? Weil an fast allen Geweben im Körper Vitamin-D-Rezeptoren vorkommen. Die hat z.B. Hector DeLuca ein halbes Jahrhundert lang erforscht. Nur die Frage ist: Was spielt es für eine Rolle? Für den Menschen, für die Gesundheit und für die Krankheit? Jetzt gibt es sehr viele Untersuchungen, bei denen man Querschnittsstudien macht. Das heißt, man nimmt 1000 oder 5000 Leute und schaut wie hoch ist hier der Vitamin-D-Spiegel. Auf der anderen Seite beobachtet man, wie oft welche Krankheit auftritt. Wenn der Vitamin-D-Spiegel niedrig und die Krankheitsrate hoch ist, dann ist das assoziiert, aber nicht kausal verbunden. Der niedrige Spiegel bewirkt also nicht direkt diese Erkrankung. Kann sein, ist aber nicht bewiesen. Solche Querschnittsstudien, epidemiologischen Studien oder Kohortenstudien sind alle nicht aussagekräftig.“
„Gesichert ist Vitamin D bei Neugeborenen zur Rachitis-Prophylaxe. Da kriegt das jedes Neugeborene im ersten Lebensjahr bzw. bis zum ersten Frühling nach der Geburt. Dann ist es bei der Osteomalazie gesichert. Wenn der Darm nicht genügend Kalzium aufnehmen kann und der Knochen erweicht. Gesichert ist es auch bei der Niereninsuffizienz, wenn Patienten dann schon an der Dialyse sind. Gibt es einen sekundären Hyperparathyreoidismus, dann ist das Parathormon zu hoch. Das mobilisiert dann das Kalzium aus den Knochen, weil der Darm nicht genügend aufnehmen kann. Gesichert ist es zur Behandlung des Hypoparathyreoidismus, wenn die Nebenschilddrüsen die Funktion einstellen oder bei einer Kropfoperation zufällig entfernt wurden. Dann macht man es zusammen mit Vitamin D. Lange gesichert und in der letzten Zeit ein bisschen in Frage gestellt, ist es auch bei der etablierten Osteoporose bzw. bei älteren Menschen zur Prophylaxe der Osteoporose. Alles andere ist nicht nachgewiesen. Oder wie man sagt: „geevidenced“. Da gibt es noch keine randomisierten, kontrollierten, prospektiven Studien mit genügend Power.“
„Man braucht es nicht zu nehmen. Vielleicht kann man die normale Nahrung ein bisschen mit Seefisch, also Lachs, Dorsch usw. anreichern. So kriegt der Mensch genügend Vitamin D. Er speichert das auch vor allem in der Leber. Der Mensch kommt damit gut über den Winter. Auch wenn im Winter die Werte niedriger sind als im Sommer. Aber die reichen schon noch aus bei uns. Gehen Sie lieber viel ins Freie hinaus. Auch im Winter bei bedeckter Sonne. Da ist auch UV-Licht da. Möglichst mit unbedeckten Händen, keine Handschuhe oder die Unterarme und das Gesicht frei. Das genügt eine halbe Stunde täglich. Was man nicht machen soll, ist das, was man ja immer wieder gefragt wird bei uns. Da sprechen sich alle dafür aus, dass man die Nahrungsmittel von vornherein mit Vitamin D versetzt. Das braucht nicht zu sein und soll auch nicht so sein. Sonst kann man ja alles zusetzen, wenn man will. Wenn jetzt der Patient kommt und sagt, er will es haben, dann sagen Sie ihm, er soll es sich kaufen, wenn er will. Wenn es bis zu 1000, 2000 Einheiten pro Tag sind. Dann wird ihm das nicht schaden. Aber ich würde es ihm nicht verschreiben, weil das das Budget belastet und es nicht notwendig ist. Es sei denn, er gehört einer Risikogruppe an.“
„Mit dem, was man rezeptfrei bekommt, kann man sich kaum überdosieren. Das sind Präparate, die es z.B. beim Aldi oder Lidl an der Theke zu kaufen gibt. Da ist wenig drinnen und da wird nichts passieren. Das kann man schlucken. Manche sagen: „Man muss mehr geben, das ist ungenügend, das ist nur ein Tropfen.“ Die geben dann vielleicht täglich 10- oder 20.000 Einheiten. Das wird dann aber zu viel.“
„Nierensteine, denn es wird ja oft mit Kalzium zusammen genommen. Außerdem Verkalkungen an den Herzkranzgefäßen.“
„Also der Hausarzt soll nicht den Vitamin-D-Spiegel messen lassen. Das gehört nicht zu einem Screening-Parameter, auch wenn der Patient das verlangt. Denn für die Vitamin-D-Messungen wird für die Krankenkassen genauso viel Geld ausgegeben wie für die Vitamin-D-Präparate selbst. Also das Messen ist teuer. In der englischen Zeitschrift The Lancet stand einmal, Vitamin D zu messen ist ‚unnessecary costly and confusing‘. Unnotwendig teuer und verwirrt. Also gar nicht messen. Wenn ein Patient zu mir kommt und sich irgendwo einen Vitamin-D-Spiegel hat messen lassen und wenn der Wert dann unter 30 oder meist 20 ng/ml ist sagt dieser: ‚Ich habe einen Vitamin-D-Mangel.‘ Zunächst einmal vorab: Wir Ärzte behandeln keine Laborwerte und keine Röntgenbilder. Wir behandeln Menschen mit Symptomen. Ein Mensch, der einen niedrigen Vitamin-D-Wert hat, braucht nicht behandelt zu werden. Wenn er dennoch sehr niedrig ist, schon. Es kann dann sein, dass dieser sich über längere Zeit dann auswirkt. Das muss man dann erwägen. Das Robert Koch Institut, das für uns zuständig ist, definiert folgendermaßen: Vitamin-D-Werte über 20 ng/ml sind normal. Von 10-20 ng/ml wird das suboptimale Vitamin-D-Versorgung genannt. Das Institute of Medicine in den USA nennt das ‚insufficiency‘. Das entspricht dem in ungefähr. Deficiency ist dann erst als ein richtiger Mangel bei unter 10 ng/ml festgelegt. Unter 5,2 ist es ein schwerer Mangel. Zwischen 5 und 10 ein moderater. Über 10 ist also eine suboptimale Vitamin-D-Versorgung, wo man aber nichts zu machen braucht, wenn keine Symptome da sind.“