Wer mixt, kann mit spürbar mehr Nebenwirkungen rechnen. Das zeigen erste Daten zum heterologen Booster bei COVID-19-Impfungen. Ob das auch mit mehr Effektivität belohnt wird?
Die AstraZeneca-Saga geht weiter. Am Donnerstag hat die Zeitschrift Lancet eine Interimsanalyse der britischen Com-COV-Studie der Corona-Studiengruppe an der Universität Oxford in Form eines Research Letter publiziert. Die Com-COV-Studie ist die Studie, auf die all jene Länder gespannt warten, in denen die zuständigen Gremien beschlossen haben, bei einer Erstimpfung mit dem COVID-19 Impfstoff von AstraZeneca (Vaxzevria) eine so genannte heterologe Booster-Impfung zu empfehlen, also eine Auffrischimpfung mit einem anderen, nämlich mRNA-basierten, Impfstoff.
In Deutschland ist die Ständige Impfkommission (STIKO) diesen Weg gegangen und empfiehlt – Stand im Moment – den heterologen Booster bei all jenen Menschen, die eine Erstimpfung mit Vaxzevria erhalten haben und die jünger als 60 Jahre sind. Das sind gar nicht wenige, auf jeden Fall eine siebenstellige Zahl, denn jene AstraZeneca-Dosen, die die Generation „60 plus“ ablehnt, landen im Moment reichlich in den Oberarmen jüngerer Menschen. Andere Länder machen das teilweise anders. In Großbritannien wird aktuell empfohlen, alle Menschen unter 40 Jahren doppelt mit Vaxzevria zu impfen, und alle Menschen über 40 Jahren doppelt mit einem mRNA Impfstoff, dort wie hier in der Regel Comirnaty.
Die noch laufende Com-COV-Studie untersucht in vier Studienarmen zu je 115 Patienten, alle älter als 50 Jahre, die Kombinationen „erst Vaxzevria, dann Comirnaty“ und „erst Comirnaty, dann Vaxzevria“ und vergleicht sie mit homologen Impfschemata aus entweder zweimal Vaxzevria oder zweimal Comirnaty. Dabei werden zwei unterschiedliche Booster-Fenster untersucht, nämlich 4 Wochen und 12 Wochen.
Ursprünglich sei geplant gewesen, eine gemeinsame Publikation zu Immunogenitätsdaten und Verträglichkeitsdaten sowie zu beiden Booster-Fenstern vorzulegen, sagte Studienleiter Prof. Dr. Matthew Snape bei einer Vorab-Pressekonferenz des britischen Science Media Centers. Wegen der hohen Bedeutung der Daten habe man sich nun aber entschlossen, vorab eine Interimsanalyse zu publizieren.
Die Interimsanalyse klammert die Immunogenitätsdaten noch komplett aus, und sie klammert auch das 12-Wochen-Booster-Fenster komplett aus. Diese Daten werden Teil von Folgepublikationen im Laufe des Sommers sein. Vorgelegt wurden jetzt die Verträglichkeitsdaten für das Booster-Fenster von vier Wochen. Und die haben es in sich.
Die britischen Wissenschaftler sehen zum einen jetzt erstmals im direkten Vergleich, was die Zulassungsstudien von Vaxzevria und Comirnaty schon angedeutet hatten: Die Erstimpfung mit Vaxzevria verursacht häufiger akute systemische Impfreaktionen – Fiebergefühl, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, allgemeines Krankheitsgefühl, Fatigue und Muskelschmerzen – als die Erstimpfung Comirnaty. Und umgekehrt macht die Booster-Impfung mit Comirnaty bei homologen Impfschemata mehr Probleme als die homologe Booster-Impfung mit Vaxzevria. So weit, so wenig überraschend.
Gestaunt haben die britischen Wissenschaftler bei den systemischen Reaktionen nach den heterologen Booster-Impfungen. Egal in welcher Reihenfolge: Die heterologen Booster gehen mit deutlich mehr akuten Impfreaktionen einher als die homologen Booster. Beispiel Schüttelfrost: Die Booster-Impfung mit Vaxzevria nach Erstimpfung mit Vaxzevria produziere bei 12 % der Patienten Schüttelfrost, so Snape. Beim Impfschema „erst Vaxzevria, dann Comirnaty“ sind es 38 %, beim umgekehrten Schema noch mehr. „Comirnaty homolog“ landet bei knapp 25 %.
Beispiel Fatigue: Über 75 % der Patienten mit „erst Vaxzevria, dann Comirnaty“ erleben einen Tag bis wenige Tage Fatigue, gegenüber weniger als 50 % beim homologen Vaxzevria-Schema und etwas über 50 % beim homologen Comirnaty-Schema. Auch Kopfschmerzen treten bei den heterologen Schemata mehr als doppelt so häufig, bei annähernd sieben von zehn Patienten, wie beim homologen Vaxzevria Schema, wo es nur jeder dritte ist und wie beim homologen Comirnaty-Schema, wo es knapp jeder zweite ist.
„Das sind echte Unterschiede“, betonte Snape bei der Pressekonferenz. Und sie betreffen auch Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen und allgemeines Krankheitsgefühl. Die gute Nachricht sei, dass die Beschwerden in der Regel schnell, nach spätestens zwei bis drei Tagen vorbei seien. Ebenfalls positiv bewertete Snape, dass es sich überwiegend um milde Reaktionen handle. Allerdings träten auch moderate Reaktionen bei den heterologen Booster-Schemata deutlich häufiger – je nach Symptom bei einem Fünftel bis einem Viertel der Patienten – auf als beim homologen Vaxzevria-Schema und zumindest etwas häufiger als beim homologen Comirnaty-Schema. Und auch die seltenen, schweren UAW sind in den Booster-Schemata im Trend häufiger. Keine relevanten Unterschiede gab es dagegen bei den Lokalreaktionen.
In Summe sind die heterologen Booster-Schemata also deutlich schlechter verträglich als die homologen Booster, und hier insbesondere schlechter veträglich als die homologe Vaxzevria-Impfung, zumindest bei einem Impfabstand von vier Wochen. Noch unklar ist, ob die Verträglichkeit der heterologen Zweitimpfung bei einem Impfabstand von zwölf Wochen vielleicht besser ist. Er erwarte das nicht, so Snape, aber das sei vorerst eine persönliche Einschätzung. Ebenfalls unklar ist, ob die stärkeren systemischen Impfreaktionen mit einer höheren Effizienz des heterologen Booster-Schemas einhergehen. Das werden erst die Immunogenitätsdaten zeigen, die in einigen Wochen erwartet werden.
Snape betonte, dass individuelle Nebenwirkungen keinen zuverlässigen Rückschluss auf eine gute Impfreaktion zuließen. Es gebe aber bei vielen Impfstoffen zumindest auf aggregierter Ebene eine Korrelation zwischen Immunogenität und akuten systemischen Reaktionen. Insofern erscheint eine hohe Effektivität des heterologen Schemas denkbar. Darüber hinaus gibt es die Ende März publizierte Maus-Studie aus China, die gezeigt hatte, dass beim heterologen Booster-Schema „erst Vektor-Vakzine, dann mRNA Vakzine“ mehr neutralisierende Antikörper generiert wurden. Auch die Th1-Zell-Antwort wurde in dieser Studie durch das heterologe Vorgehen verbessert.
Die entscheidende Frage ist natürlich die nach den praktischen Konsequenzen. Sollten Länder wie Deutschland, sollten Expertenkommissionen wie die STIKO, die bisher (ohne Daten) zumindest bei jungen Menschen heterologe Schemata propagieren, umsteuern? Möglicherweise wird man den bequemen Weg gehen und warten, bis die kompletten Ergebnisse von Com-COV vorliegen. Bis dahin wird sich eine siebenstellige Zahl an Menschen in Deutschland aber schon überlegt haben müssen, was sie tut. Die ersten heterologen Booster werden schon appliziert
Snape hielt sich mit konkreten Empfehlungen zum jetzigen Zeitpunkt zurück. Er wies allerdings darauf hin, dass die zweite Vaxzevria-Impfung bisherigen Daten zufolge recht gut vertragen werde und dass es bei jetzt sechs Millionen Briten mit Vaxzevria-Booster keine Häufung von Sinusvenenthrombosen mit oder ohne Thrombopenie gebe. Auch das sind sicher noch keine endgültigen Daten. Es ist weiterhin viel im Fluss.
Eine zusätzliche Fragestellung haben die Briten jetzt spontan noch in ihre Studie integriert: Beim 12-Wochen-Booster werden sie die jeweils 90 Probanden großen Gruppen zusätzlich randomisieren in eine Hälfte, die präventiv Paracetamol erhält und eine Hälfte, bei der Paracetamol nur nach Bedarf nach der Impfung gegeben wird. Die Hoffnung wäre, dass die präventive Gabe die Verträglichkeit der heterologen Booster-Schemata vielleicht verbessert.
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