Wann schlägt Corona hart zu und wann nicht? Für schwere Verläufe wollen US-Forscher einen Hauptschuldigen gefunden haben – obendrein könnte er auch für Long Covid verantwortlich sein.
Das Phänomen von Antikörpern, die bei COVID-Patienten auf körpereigene Strukturen abzielen, hatte man schon früh in der Pandemie beobachtet. Solche Autoantikörper stehen in Verdacht, eine besondere Rolle bei schweren COVID-19-Verläufen zu spielen.
Als eine der Ersten machte eine Arbeitsgruppe um Prof. Jean-Laurent Casanova von der Rockefeller University in New York auf die problematischen Immunglobuline aufmerksam. Sie fanden bei schwerkranken Patienten Autoantikörper vor allem gegen Typ-I-Interferone. Inzwischen zeigt sich aber, dass eine ganze Palette verschiedener Autoantikörper im Rahmen einer COVID-Erkrankung entstehen könnten.
So hatten etwa Forscher der University of Michigan Autoantikörper gegen bestimmte Phospholipide nachweisen können. Das könnte erklären, warum bei COVID-19-Patienten die Blutgerinnung gestört sein kann – einige der Phospholipide sind an der Kontrolle der Hämostase beteiligt. Andere US-Wissenschaftler hatten eine erhöhte Prävalenz von Autoantikörpern gegen Komponenten des Immunsystems bei infizierten Personen im Vergleich zu nicht Infizierten gefunden. Unter anderem richteten sich diese gegen B-Zellen.
Basierend auf Ergebnissen einer aktuellen Nature-Studie erklären Wissenschaftler der Yale-Universität um Aaron M. Ring die Autoantikörper jetzt sogar zu den Hauptschuldigen für einen schweren Verlauf.
Für ihre Studie sammelten Ring et al. Blutproben von 194 COVID-Patienten mit unterschiedlichen Schweregraden, um sie auf das Vorhandensein von Autoantikörpern zu untersuchen. Dabei verwendeten sie eine neue, von Rings Labor entwickelte Technologie namens Rapid Extracellular Antigen Profiling (REAP), um Autoantikörper-Interaktionen mit fast 3.000 humanen Proteinen zu identifizieren.
Je mehr Autoantikörper nachgewiesen wurden, desto schwerer war der Grad der Erkrankung bei den Patienten. Aber auch bei Probanden mit leichten Verläufen wurden diese Autoantikörper gefunden.
Sie zielen auf das Gewebe oder die Organe eines Erkrankten ab und ähneln den Autoantikörpern, die Autoimmunerkrankungen wie Lupus oder rheumatoide Arthritis verursachen. Im Fall von COVID-19 können sie gesundes Gewebe im Gehirn, im Endothel, den Thrombozyten, der Leber und dem Magen-Darm-Trakt angreifen. Gleichzeitig zielen sie auch auf viele verschiedene Proteine des Immunsystems ab, was die Immunabwehr stört. Zu diesen Proteinen gehörten solche, die an der Funktion und Aktivierung von Lymphozyten, dem Leukozyten-Trafficking, der Typ-I- und Typ-III-Interferon-Antwort, der Typ-II-Immunität und der Akute-Phase-Reaktion beteiligt sind.
In vielen Fällen scheint das Vorhandensein von SARS-CoV-2 die Bildung der schädlichen Autoantikörper voranzutreiben, schreiben die Autoren in ihrer Studie. Diese These stellten auch andere Wissenschaftler schon auf: In einer Studie von Wang et al. hatten einige der von ihnen untersuchten infizierten Personen Autoantikörper gegen Proteine entwickelt, die im Endothel, im Herzen und im Gehirn exprimiert werden. Genau in diesen Organen entwickelten die Personen Symptome.
Dieses Phänomen ist nicht neu. Nicht nur durch SARS-CoV-2, auch die Infektion mit anderen Erregern kann Autoantikörper induzieren. Man vermutet, dass Infektionen das Risiko von Autoimmunerkrankungen erhöht. Offenbar scheint das Immunsystem durch eine von einer Infektion verursachte Entzündung körpereigene Proteine fälschlicherweise als fremd einzustufen und Autoantikörper gegen diese Moleküle zu bilden.
Andererseits, so die Autoren, könnte es auch sein, dass einige COVID-19-Patienten bereits Autoantikörper aufwiesen, die sie anfälliger für die Infektion machten. Darauf deuten Tierexperimente hin, die die Forscher um Ring et al. durchführten: Mäuse mit denselben Autoantikörpern waren anfälliger für eine Infektion mit SARS-CoV-2 und starben mit höherer Wahrscheinlichkeit.
Die Existenz dieser langlebigen Autoantikörper könnte auch erklären, warum manche Menschen, die mit COVID-19 infiziert sind, später dauerhafte medizinische Symptome entwickeln können – das sogenannte Long Covid. Bewiesen ist diese Hypothese allerdings noch nicht.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, sich impfen zu lassen“, fügt Immunologin und Mitautorin Prof. Akiko Iwasaki hinzu. „Die Tatsache, dass selbst leichte Infektionen mit der Produktion von Autoantikörpern verbunden sind, unterstreicht das Potenzial für langfristige gesundheitliche Folgen von COVID-19.“
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