Gynäkologische Fachgesellschaften fordern, Schwangere gegen COVID-19 zu impfen. Doch in Deutschland ist die Empfehlungslage nicht hinreichend geklärt.
Ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft werden Antikörper der Mutter aktiv über die Plazenta zum Embryo transportiert. Diesen Mechanismus kann man sich auch für Impfungen zu Nutze machen. So wird aktuell empfohlen, Schwangere im letzten Drittel der Schwangerschaft gegen Pertussis zu impfen, da es in den letzten Jahren in Deutschland zu schweren Keuchhustenverläufen bei Neugeborenen aufgrund eines unzureichenden Nestschutzes kam. Es wird ebenso empfohlen, enge Kontaktpersonen des Kindes zu impfen.
Schwangere Frauen haben außerdem ein höheres Risiko für schwer verlaufende Infekte, wie zum Beispiel Influenza. Daher wird auch eine Influenza-Impfung für alle Schwangeren empfohlen. Dies gilt auch für Frauen mit Multipler Sklerose und ist unabhängig von der immunmodulatorischen Therapie.
„Leider ist in Deutschland die Empfehlungslage zur Impfung gegen SARS-CoV-2 noch nicht vollständig geklärt und die Datenlage begrenzt, obwohl verschiedene Länder und gynäkologische Fachgesellschaften empfehlen, Schwangere gegen SARS-CoV-2 zu impfen“, so Prof. Kerstin Hellwig, Leiterin der neurologischen Ambulanz und Poliklinik am Katholischen Klinikum Bochum.
Was das Schwangerschaftsoutcome betrifft, kann eine COVID-19-Infektion mit einem höheren Risiko für Frühgeburten assoziiert sein. Noch gibt es keine allgemeine Empfehlung der STIKO, Schwangere zu impfen, während hingegen bis zu 2 Kontaktpersonen geimpft werden können und sollen. Die fehlende Empfehlung beruht auf einer zu kleinen Datenlage: Während bereits > 100.000 Schwangere in den USA von einer Impfung berichten, wurden bislang erst knapp 5.000 dieser Schwangeren tatsächlich in einem Register erfasst und ausgewertet.
Auch für die SARS-CoV-2-Impfung konnte ein transplazentarer Übergang der maternalen Antikörper zum Feten nachgewiesen werden, was einen theoretischen Nestschutz der Neugeborenen vermuten ließe. Ebenso konnte ein Antikörper-Übergang in die Muttermilch nachgewiesen werden.
Frauen mit MS können unter speziellen Konstellationen zusätzliche Risikofaktoren für schwere COVID-19-Verläufe aufweisen, insbesondere bei aktiver Erkrankung, wenn die Gabe von hochdosierten Steroiden notwendig werden kann, oder auch bei Vortherapie mit z. B. B-Zell depletierenden Antikörpern. Einschränkend muss festgestellt werden, dass zu keiner dieser Konstellationen Daten zu Schwangeren vorliegen. Postpartum ist das Schubrisiko erhöht, daher ist auch häufig die Gabe von Steroiden nötig.
„Wenn möglich, sollten sich Frauen mit MS und Kinderwunsch schon vor einer Schwangerschaft impfen lassen“, sagt Prof. Tania Kümpfel, Leiterin der Neuro-immunologischen Ambulanz am Institut für Klinische Neuoimmunologie des Klinikums Großhadern der LMU-München, „was jetzt mit der Impfung der Priorisierungsgruppe 3 realistisch erscheint.“ Sollte es zu einer Exposition in der Frühschwangerschaft gekommen sein, ist nach jetzigem Wissen nicht mit Gesundheitsnachteilen zu rechnen. Ohnehin ist bislang bei keinem Impfstoff oder dessen Inhaltsstoffen Teratogenität beschrieben.
Insbesondere Schwangere, die ein höheres Risiko für Schübe haben oder eine Immuntherapie erhalten haben, die mit einem schweren COVID-19-Verlauf assoziiert sein kann, könnten eine Impfung auch in der Schwangerschaft erhalten. Auch in der Stillzeit sollten sich nach jetzigem Wissen keine Gesundheitsnachteile für das Kind ergeben und Frauen mit MS sollten wegen des erhöhten postpartalen Schubrisikos geimpft werden. Aktuell sind keine Lebendimpfstoffe gegen SARS-CoV-2 zugelassen. Auf diese sollte auch generell in der Schwangerschaft verzichtet werden, da zum Beispiel Fälle von Enzephalitiden bei Kindern beschrieben worden sind, deren Mütter gegen Gelbfieber geimpft wurden.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass eine Impfung idealerweise vor Eintreten einer Schwangerschaft erfolgen sollte. Aktuell wird eine Impfung noch nicht für alle Schwangeren grundsätzlich empfohlen, kann aber bei erhöhtem Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs in Erwägung gezogen werden. Alle Empfehlungen beziehen sich auf die m-RNA Impfstoffe. Im DMSKW-Register sind derzeit nur wenige Frauen (ca. 10) mit MS erfasst, die in der Schwangerschaft oder Stillzeit geimpft wurden. Inwieweit eine Schwangerschaft das Risiko einer Sinusvenenthrombose, welches für die AstraZeneca-Impfung beschrieben wurde, verändern würde, ist nicht bekannt. Dieser Impfstoff sollte in der Schwangerschaft vermieden werden.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose.
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