Ich hänge in der Pfizer-Warteschleife und starre die Zettel an, die am Rezept meiner Kundin kleben. Über Monate haben wir ihr Medikament angefragt – und wurden immer wieder vertröstet. Mehr zu meiner Odyssee lest ihr hier.
Als Lieferengpass wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine voraussichtlich über zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann, definiert. Doch bei Lieferengpässen von zwei bis drei Wochen können viele Apotheker inzwischen nur noch müde lächeln. In vielen Fällen dauern die Versorgungsprobleme mit einzelnen Präparaten über Monate an und die Gründe dafür sind den Kunden nur schwer zu erklären.
Ich halte den Telefonhörer in der Hand und befinde mich in einer Warteschleife der Firma Pfizer. Es geht wieder mal um das Erfragen eines Liefertermins für ein Arzneimittel, das eine unserer Kundinnen dringend benötigt und das keiner unserer Großhändler vorrätig hat. Sie hat noch für etwa 10 Tage Luft, bis sie mit der neuen Packung Depo-Clinovir® beginnen muss und ich möchte eigentlich nur wissen, ob es einen Sinn hat, noch eine Woche abzuwarten, oder ob wir gleich nach einem Ersatzpräparat suchen sollen. Vielleicht ist die Packung in der benötigten Stärke und Menge ja bereits unterwegs?
Wenn ich an das Thema Lieferengpässe denke, dann frage ich mich manchmal, seit wann es diese eigentlich in dem Ausmaß gibt, dass sie uns in den Apotheken nachhaltig aufgefallen sind? Ich denke, es sind jetzt ungefähr 15 Jahre. Das erste, was unsere Kunden wissen möchten, wenn wir ihnen mitteilen, dass das benötigte Medikament zurzeit vom Hersteller nicht geliefert werden kann, ist der Grund dafür. Warum ist das so? Und genau das ist die Frage, die wir meistens selbst nicht beantworten können, weil die Gründe, die dahinter stehen, so vielfältig sind. Bei den Sartanen damals war es sehr offensichtlich. Da war es die Verunreinigung des Wirkstoffs bei zahlreichen Herstellern mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) die während des Produktionsvorgangs aufgetreten waren. Fast alle Präparate wurden 2018 vorsorglich zur Überprüfung erst einmal zurückgerufen, und ein Stufenplanverfahren wurde eingeleitet. Das ist auch den Kunden erklärbar, denn von diesen Vorgängen hatten sie bereits durch die Presse erfahren.
Schwieriger ist es da schon, ihm nahezubringen, dass unser ganzes Versorgungssystem daran schuld sein kann, dass er auf sein gewohntes Arzneimittel verzichten muss. Der Pharmaverband ProGenerika erklärt die immer wieder auftretenden Lieferprobleme recht eindrücklich. Am Generika-Markt sei im Laufe der vergangenen Jahre durch die Rabattverträge eine Situation entstanden, in der immer weniger Hersteller die Versorgung von immer mehr Patienten sichern müssen. „Die Zahl der Wirkstoffe und Fertigarzneimittel, die nicht mehr in Deutschland oder Europa produziert, sondern in indischen und chinesischen Fabriken eingekauft werden, steigt beständig. Die Lieferketten in dieser hochkomplexen Industrie sind sensibel, anfällig für Störungen – und das kann, so sehen wir es heute, schwerwiegende Folgen für die Versorgung haben“, heißt es auf der Website des Verbands.
Ist es wirklich sinnvoll, dass immer alleine das günstigste Angebot zu einem Zuschlag der Krankenkassen führt? Ist es nicht im Gegenteil schon fahrlässig, dass der Großteil der Arzneimittelproduktion aus Kostengründen nach Asien verlagert wurde? Was darf unsere Gesundheit denn kosten?
Inzwischen habe ich es aufgegeben, etwas über mein gewünschtes Medikament zu erfahren – ich habe auch noch andere Arbeiten zu erledigen und kann nicht länger als 10 Minuten in der Warteschleife sitzen. Über die Chronologie der Versorgungsversuche, die auf einem Zettel vermerkt ist, der an der Verschreibung hängt, muss ich bitter lachen. Offenbar kam die Kundin bereits im Februar damit zu uns, und da war Depo-Clinovir® bereits nicht zu haben. Keiner unserer drei Großhändler konnte es besorgen – weder die Monats-, noch die Dreimonatspackung. Und auch keinen Reimport, egal welcher Packungsgröße. So hat es meine Kollegin auf dem Zettel vermerkt – mit dem Zusatz, dass sie die Firma angerufen hat, und der voraussichtliche Liefertermin Ende März mitgeteilt wurde.
Der nächste Vermerk ist dann von mir, mit Datum von der letzten Märzwoche. Ich habe vermerkt, dass immer noch kein Großhandel lieferfähig ist und ich mit 14 weiteren Apotheken unser Lager abgeglichen habe, ob wir uns gegenseitig weiterhelfen können. Doch keiner hatte Depo-Clinovir®.
Pfizer vertröstete uns auf „Mitte Mai“ als nächstes voraussichtliches Lieferdatum. Auch unser Kunde, der sein Aarane Dosieraerosol benötigt, muss noch ein wenig warten. Die sogenannten „Produktionsprobleme“ beim Hersteller Sanofi hat übrigens auch der Konkurrent MEDApharma, der das einzige Pendant dazu, nämlich Allergospasmin, herstellt. Wir wurden inzwischen im April auf Mitte Mai, dann auf die KW 20 und nun auf KW 27 vertröstet. Seltsamerweise gab es diese Art von Lieferschwierigkeiten bereits im vergangenen Jahr. Und ebenso im Jahr davor.
Die ABDA schreibt, dass eine Auswertung des Deutschen Arzneiprüfungsinstitutes (DAPI) im Auftrag des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) ergeben hat, dass im vergangenen Jahr deutschlandweit 16,7 Millionen Rabattarzneimittel nicht verfügbar waren. Und das war noch nicht einmal das Rekordjahr, denn 2019 waren es sogar 18 Millionen. Das ist natürlich auch in der Politik angekommen, wie eine Kleine Anfrage der FDP im Jahr 2019 zum Thema zeigt – allein die Antworten der Bundesregierung waren eher dünn und unbefriedigend. Merklich geändert hat sich seither jedenfalls nichts. Inzwischen bin ich bei Pfizer endlich an einen echten Menschen am Telefon geraten, der mir etwas von „Ende Juli“ vororakelt. Will ich das nun glauben?
Meiner Kundin hilft das leider wenig. Die Corona-Pandemie hat uns noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt, wie das enden kann, wenn wir uns von Asien zu sehr abhängig machen und die europäische Wirkstoffproduktion immer weiter abbauen.
Gute Nachrichten kommen aus Tirol, denn in Kundl werden Novartis und Sandoz in den nächsten 3 bis 5 Jahren 100 Millionen Euro in die Aufrüstung der dortigen Antibiotikaproduktion stecken. Auch in Spanien wird nun eine neue Anlage für die sterile Wirkstoffproduktion aufgebaut; ein Beispiel, das hoffentlich Schule macht. Jens Spahn hat es sich ebenfalls auf die Agenda gesetzt, die Arzneimittelproduktion nach Europa zurückzuholen. Ein Ziel, an dem er sich irgendwann einmal messen lassen muss.
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