SARS-CoV-2 ist längst nicht das erste Virus aus dem Tierreich, das bei uns Menschen für Probleme sorgt. So wurde letztes Jahr ein neues Coronavirus aus Pneumonie-Patienten isoliert. Sein vorheriger Wirt: der Hund.
In den letzten 20 Jahren sind regelmäßig neue Coronaviren aus Tieren auf den Menschen übergegangen. Im Jahr 2002 war es SARS-CoV, dessen Wirte eigentlich Zibetkatzen waren, zehn Jahre später dann MERS aus dem Kamel. Vorletztes Jahr begann sich schließlich SARS-CoV-2 auf der ganzen Welt zu verbreiten. Auch hier handelt es sich um ein Virus, welches zuerst nur im Tierreich vorkam. Für viele Wissenschaftler weist dieses Muster auf einen beunruhigenden Trend hin: Ausbrüche von Coronaviren sind keine seltenen Ereignisse und werden wahrscheinlich in Zukunft etwa alle zehn Jahre auftreten, wie Experten vermuten.
Möglicherweise haben US-Forscher das neueste Coronavirus entdeckt, das von Tieren auf Menschen übergesprungen ist, wie aus einem Bericht von NPR hervorgeht. Es kommt aus einer überraschenden Quelle: aus Hunden.
Kurz nach Beginn der COVID-19-Pandemie begann der Epidemiologe Gregory Gray sich zu fragen, ob es da draußen vielleicht noch andere Coronaviren gibt, die schon jetzt Menschen krank machen und eventuell einen weiteren Ausbruch auslösen könnten. Das Problem war nur, dass er keine Möglichkeit hatte, um nach ihnen zu suchen. Denn der Test für das aktuelle Coronavirus sagt uns nur, ob ein bestimmtes Virus – in dem Fall SARS-CoV-2 – in den Atemwegen einer Person vorhanden ist.
„Die Diagostik ist sehr spezifisch. Sie konzentriert sich im Allgemeinen auf bekannte Viren“, so Gray in einem Artikel. Er arbeitet am Global Health Institute der Duke University und Professor für Medizin und Globale Gesundheit an mehreren weltweiten Universitäten. Um Antworten auf die Fragen nach anderen Coronaviren zufinden, gab er also einem seiner Doktoranden, Leshan Xiu, die Aufgabe, einen leistungsfähigeren und universelleren Test zu entwickeln.
Dieser solle wie ein COVID-19-Test funktionieren, aber alle Coronaviren aufspüren, auch die unbekannten. Xiu stellte sich nicht nur der Herausforderung – das von ihm entwickelte Verfahren funktionierte sogar besser als erwartet.
In der ersten Charge Proben, die letztes Jahr getestet wurden, fanden Gray und Xiu Hinweise auf ein völlig neues Coronavirus, das mit Lungenentzündungen, meist bei Kindern, in Verbindung gebracht wurde. Dieses Virus könnte das achte bekannte Coronavirus sein, welches in der Lage ist, beim Menschen eine Erkrankung zu verursachen. Seine Ergebnisse veröffentlichte das Team in der Zeitschrift Clinical Infectious Diseases.
Die ersten Proben stammten von Patienten eines Krankenhauses in Malaysia und wurden in den Jahren 2017 und 2018 entnommen. „Das waren tiefe Nasenabstriche, wie sie Ärzte bei den COVID-19-Patienten sammeln“, so Gray. Diese Patienten hatten etwas, das wie eine normale Lungenentzündung aussah. Aber bei acht von 301 untersuchten Proben, also 2,7 Prozent, fanden Xiu und Gray ein neues canines Coronavirus (CCoV), also ein Hundevirus, das die oberen Atemwege dieser Patienten infiziert hatte.
„Das ist eine ziemlich hohe Prävalenz für ein [neues] Virus“, erklärt Gray. „Das ist bemerkenswert.“ So bemerkenswert, dass Gray tatsächlich dachte, vielleicht hätten er und Xiu einen Fehler gemacht. Vielleicht funktionierte Xius Test nicht ganz richtig. „Man fragt sich immer, ob es vielleicht ein Problem im Labor gab“, sagt er. Um das herauszufinden, schickte er die Proben der Patienten an eine weltweite Expertin für Tier-Coronaviren an der Ohio State University. Auch sie war skeptisch. „Ich dachte: Da stimmt was nicht“, erzählt die Virologin Anastasia Vlasova. „Es wurde bisher nicht angenommen, dass Hunde-Coronaviren auf den Menschen übertragen werden. Es wurde noch nie darüber berichtet.“
Trotzdem machte sich Vlasova an die Arbeit. Sie versuchte, das Coronavirus im Labor anzuzüchten, wobei sie eine spezielle Lösung verwendete, von der sie wusste, dass sie bei anderen Hunde-Coronaviren funktionierte. Und siehe da, „das Virus wuchs sehr gut“, erinnert sie sich.
Mit einer ausreichenden Menge Virus zur Hand, konnte Vlasova schließlich sein Genom entschlüsseln. Aus den Gensequenzen des Virus konnte sie erkennen, dass es wahrscheinlich irgendwann einmal Katzen und Schweine infiziert hatte. Aber es sprang womöglich direkt von Hunden auf den Menschen über. „Der größte Teil des Genoms war ein Coronavirus des Hundes“, erzählt sie. Dann fand die Virologin einen beunruhigenden Hinweis auf die Zukunft des Virus. „Wir entdeckten eine sehr, sehr einzigartige Mutation – oder viel mehr Deletion – im Genom.“ Diese spezifische Deletion, sagt sie, ist in keinem anderen bekannten Hunde-Coronavirus vorhanden, wohl aber in menschlichen Coronaviren. „Sie ist einer Mutation sehr ähnlich, die zuvor im SARS-Coronavirus und in [Versionen von] SARS-CoV-2 sehr bald nach seinem Übergang in die menschliche Bevölkerung auftraten“, sagt Vlastova.
Diese Deletion, so glaubt sie, hilft dem Hundevirus, den Menschen zu infizieren oder zumindest in ihm zu überleben. Und sie könnte ein Schlüssel sein, der für Coronaviren erforderlich ist, um den Sprung hin zum Menschen zu schaffen. „Offenbar ist die Deletion irgendwie mit der Anpassung [des Virus] während dieses Sprungs vom Tier zum Menschen verbunden.“
Insgesamt deuten diese genetischen Daten darauf hin, dass Vlasova und ihre Kollegen dieses neue Coronavirus in einem frühen Stadium seiner Reise im Menschen erwischt haben – quasi während es noch versucht, herauszufinden, wie es Menschen effizient infizieren kann. Und möglicherweise auch bevor es sich ausbreiten und einen großen Ausbruch beim Menschen auslösen kann.
„Es gibt bisher keine Hinweise auf eine Übertragung von Mensch zu Mensch“, erklärt der Virologe Xuming Zhang von der University of Arkansas for Medical Sciences. Es sei nicht bekannt, wie sich diese Patienten mit dem Virus infiziert haben oder ob sie direkten Kontakt mit infizierten Tieren hatten. Zhang erforscht Coronaviren seit mehr als 30 Jahren. Er denkt, dass es zu früh ist, dieses neue Virus als menschlichen Krankheitserreger zu bezeichnen. „Wie die Autoren in ihrer Arbeit vorsichtig anmerken, haben sie die so genannten Kochschen Postulate nicht bewiesen“, sagt er. Das heißt, Vlasova, Gray und Kollegen haben nicht gezeigt, dass das neue Coronavirus eine Lungenentzündung verursacht. Bisher wurde es nur mit der Krankheit in Verbindung gebracht und bei diesen Patienten isoliert.
„Um das zu tun, streng genommen, müssten sie das Virus in Menschen injizieren und sehen, ob es die Krankheit auslöst“, erklärt er. „Natürlich [aus ethischen Gründen] können wir das aber nicht tun.“ Stattdessen, sagt Zhang, können sie schauen, wie häufig das Virus bei Patienten mit Lungenentzündungen auf der ganzen Welt vorkommt – und sie können testen, ob es Mäuse oder andere Tiere krank macht.
Doch Zhang sagt, er wäre nicht überrascht, wenn dieses Hundevirus tatsächlich ein neuer Krankheitserreger für den Menschen ist. Er glaubt, dass je mehr Wissenschaftler nach unbekannten Coronaviren in Patientenproben suchen, desto mehr werden sie finden. „Ich glaube, dass es viele tierische [Coronaviren] da draußen gibt, die auf den Menschen übertragen werden können.“
Um eine zukünftige Coronavirus-Pandemie zu verhindern, sagt er, müssen Wissenschaftler und Ärzte einfach mehr Tests durchführen und diese seltenen, versteckten Infektionen bei ihren Patienten aufspüren. Und das am besten, bevor sie zu einem Problem werden.
Die Publikation von Gregory Gray und seinem Team haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Cynthia Smith, unsplash