Die Versorgung psychisch Kranker könnte sich bald an einem festen Raster orientieren, wenn es nach Spahn geht. Therapeuten und Betroffene rebellieren.
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) sorgt derzeit für Diskussionen, genauer gesagt, ein aktueller Änderungsantrag.
Der Gesundheitsausschuss des Bundestages hatte darin den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragt, die Versorgung psychisch Erkrankter in Deutschland bis Ende 2022 auf Bedarfsgerechtigkeit und Schweregradorientierung zu prüfen, wie unter anderem die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) berichtet.
Verbände deutscher PsychotherapeutInnen kritisieren: Dies sei bereits der Fall und orientiere sich an der Psychotherapie-Richtline des G-BA sowie individuellen Entscheidungen von Therapeut und Patient. Die Verbände sehen in dem Änderungsantrag eher einen Angriff auf ihre berufliche Expertise.
„Das Vorhaben klingt stark danach, dass in die Therapiehoheit der Therapeutinnen und Therapeuten eingegriffen werden soll“, sagt Dr. Thomas Kriedel, KBV-Vorstand. Auch die Qualität der Therapie sei dadurch in Gefahr. Denn wenn ein für jede psychische Erkrankung vorgegebenes Raster Beginn, Dauer, Art und Aufwand der Therapie bestimme, würden zwangsläufig Mängel in der Patientenbetreuung auftreten und einige Betroffene durch ebendieses Raster fallen. „Das ist holzschnittartige Psychotherapie, oberflächlich und lückenhaft“, meint Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).
In den sozialen Medien finden sich unter dem Hashtag #RasterPsychotherapie unzählige Beiträge zum Thema. „Der Psychotherapie ein Raster aufzuerlegen zeugt von empathieloser, kapitalistischer Idiotie, die Menschen mit psychischer Erkrankung im System/in der Gesellschaft klar erniedrigt und gar nicht wahrnehmen will“, argumentiert etwa eine Sprachtherapeutin.
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„Lungenkrebs? ‚4 x Chemo, 2 x Bestrahlen, dann ist der Patient durch!’ – das tut kein Arzt! Und warum?! Weil jeder Mensch individuell erkrankt und heilt“, erklärt sie.
„Irgendjemand hat mal gesagt, das Bundesgesundheitsministerium würde mittlerweile wie ein Arm des Wirtschaftsministeriums geführt und das zeigt sich an der #RasterPsychotherapie mal wieder“, findet eine Journalistin.
Auch der Zeitpunkt des Änderungsantrags wird kritisiert. Er sei, laut BPtK, nicht nur „in letzter Minute“ in das GVWG eingefügt worden – wie unter anderem die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) betont, bestehe auch nach § 92 Abs. 6b bereits eine ähnliche Richtlinie. Wörtlich heißt es darin: „Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt bis spätestens zum 31. Dezember 2020 in einer Richtlinie nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 Regelungen für eine berufsgruppenübergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung, insbesondere für schwer psychisch kranke Versicherte mit einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf.“
Laut der Verbände sollte diese Richtlinie erst einmal in der Versorgung ankommen. Ihre Auswirkungen müssten dann analysiert werden, bevor neue Regulierungen dazukämen. Über eventuelle Anpassungen könne man dann erneut diskutieren.
Das Klima der Diskussion scheint indessen vergiftet: „Gesundheitspolitik gegen psychisch kranke Menschen in letzter Minute in ein Gesetz einzufügen, das bereits im Bundestag und Gesundheitsausschuss beraten wurde, zeugt außerdem von einem zweifelhaften Verständnis demokratischer Prozesse“, so BPtK-Präsident Munz. Die eigentlich für den 20. Mai angesetzte Beschlussfassung des Gesetzes wurde nun auf Juni verschoben.
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